Mensch oder Monster? „Führer und Verführer“ wählt einen neuen Ansatz, Hitler zu erzählen, für dessen öffentliches Bild sein Propagandaminister Goebbels verantwortlich war. Das Doku-Drama rückt den Meister der Desinformation in den Mittelpunkt und ist dabei bestürzend aktuell.
Mehr als 90 Jahre sind seit der Machtergreifung der Nazis unter der Führung von Adolf Hitler vergangen. Was dem folgte, war nichts als Krieg, Zerstörung und der Tod Millionen Unschuldiger. Wie konnte es nur so weit kommen, fragt sich heute so mancher und stellt dann mit Erschrecken fest, dass die Menschheit nichts dazugelernt hat. Denn im Grunde geschieht damals das, was auch heute im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und dem Krieg Israels in Gaza gang und gäbe ist: Es wird mit Propaganda und Desinformation gegen den vermeintlichen Feind aufgewiegelt, um im Machtrausch und ohne Rücksicht auf Verluste die eigene Agenda durchzudrücken.
Während Terrororganisationen, Populisten und Diktatoren heutzutage soziale Medien wie Telegram und X für die schnelle Verbreitung ihrer Fake News nutzen, war es im Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem ein Mann, der das Steuer in der Hand hielt: Joseph Goebbels. Er war es, der Adolf Hitler durch strategisches Geschick in der öffentlichen Wahrnehmung zum Heilsbringer hochstilisierte, womit er den Großteil des Volkes auf seine Seite zog und gegen die Juden aufbrachte. Er war es, der Adolf Hitler zu dem machte, was wir in ihm noch heute sehen: das personifizierte Böse. Ein Monster. Diesem Phänomen widmet sich Joachim A. Langs Doku-Drama „Führer und Verführer“, um es zu dechiffrieren.
Blick in Hitlers Inner Circle
Und so startet der Film mit einer Stimme, die wohlbekannt, aber in ihrer Tonlage kaum wiederzuerkennen ist. Es ist ein Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen Adolf Hitler und Carl Gustaf Emil Mannerheim, Oberbefehlshaber der finnischen Armee, aus dem Jahr 1942. Vom bekannten Duktus seiner Reichsparteitagsreden ist das hier gehörte und im Internet zu findende Sprachdokument meilenweit entfernt. Die allseits bekannte Art von Hitlers Auftreten entstand – glaubt man Lang – erst unter dem Einfluss von Joseph Goebbels, im Film gespielt von Robert Stadlober. Seiner Darstellung liegen unter anderem die Inhalte von Goebbels Originaltagebüchern zugrunde sowie Aufnahmen aus jener Zeit – darunter die wohlbekannte „Wollt ihr den totalen Krieg“-Ansprache.
Des Weiteren stützt sich Journalist, Autor und Regisseur Lang, der diesen Film mit wissenschaftlicher Hilfe des Historikers Thomas Weber schrieb, auf Originaldialoge aus Briefen und Protokollen sowie Hitlers „Mein Kampf“. Der Film wirft einen Blick in den Inner Circle des Führers und erzählt die Ereignisse von 1938 bis 1945, immer wieder unterbrochen von Interviews mit Holocaust-Überlebenden wie Margot Friedländer, aber auch Originalbildern von KZ-Häftlingen, Leichenbergen und Exekutionen. Wahrlich keine leichte Kost.
Mensch statt Monster
„Führer und Verführer“ zeigt, dass Hitler, gespielt von Fritz Karl, nicht etwa ein Monster war. „Onkel Hitler“, wie ihn Goebbels‘ Kinder nennen, gibt fröhlich Beziehungstipps und hat auch sonst genug menschliche Züge, die der sonst üblichen Dämonisierung und Entmenschlichung der Figur entgegenwirken. Das eigentlich Diabolische ist die Manipulation der Bevölkerung über sämtliche Kanäle – vom Rundfunk über „Die Deutsche Wochenschau“ bis hinein in den Kunst- und Kulturbetrieb. Der Film zeigt Goebbels als federführenden Entscheider in Sachen Propaganda, der diese zwar nicht erfand, aber auf ein ganz neues Level hob.
Dass Goebbels auch privat kein besonders netter Mann war, sondern einer, der seine Frau Magda (Franziska Weisz) schlecht behandelte und sie betrog, bedarf wohl keiner gesonderten Erwähnung und ist auch im Film eher eine Randnotiz. Eine, die das Bild des Mannes vom Niederrhein, der so gern hochdeutsch geklungen hätte, allerdings komplettiert. Der Österreicher Stadlober imitiert Goebbels Versuch, ein anderer zu sein, mit gepresstem Singsang und hat sich den Unsympathen regelrecht einverleibt.
Was am Ende der 136 bedrückenden und anspruchsvollen Minuten bleibt, ist ein mulmiges Gefühl und die nur schwer aufrecht zu erhaltende Hoffnung, dass die im Film entlarvten Tricks, auf die die Populisten von heute noch immer zurückgreifen, nicht länger funktionieren, wenn sie erstmal alle verinnerlicht haben. Ein vernünftiger Schritt wäre wohl, „Führer und Verführer“ zur Pflicht für den Schulunterricht zu erklären. Ein sommerlicher Gute-Laune-Film ist das Geschichtsdrama jedenfalls nicht.