„Ich bin Dagobert“: Die clevere Rache des kleinen Mannes

„Ich bin Dagobert“: Die clevere Rache des kleinen Mannes

Sechs Jahre hält Kaufhaus-Erpresser „Dagobert“ die Polizei in Atem. Die Bevölkerung feiert ihn für seine Coups, bis er 1994 verhaftet wird. Nun erzählt die RTL+ Miniserie „Ich bin Dagobert“ diesen berühmten Fall der deutschen Kriminalgeschichte mit viel Liebe zum Detail.

Sechs Jahre lang jagte die Polizei den gewieften Kaufhaus-Erpresser „Dagobert“, ehe sie ihn am 22. April 1994 endlich dingfest machen konnte. Hinter dem Pseudonym steckte der Berliner Arno Martin Franz Funke, der sich von einem Nobody zum bekanntesten Bombenleger in der deutschen Kriminalgeschichte hochkulten konnte. Die Sympathien innerhalb der Bevölkerung waren ihm sicher, nachdem er die Ermittler über einen so langen Zeitraum immer wieder geschickt an der Nase herumgeführt hatte und sie wie absolute Volltrottel aussehen ließ.

Besser kann man sich den Aufstieg und den Fall eines aus der Not geborenen Ganoven nicht ausdenken. Das dachte sich wohl auch Drehbuchautor Ronny Schalk, der gemeinsam mit Zeitsprung Pictures im Auftrag von RTL die sechsteilige Miniserie „Ich bin Dagobert“ entwickelte, die ab sofort auf RTL+ gestreamt werden kann.

Es ist 1988. Arno Funke (Friedrich Mücke) arbeitet als Lackierer in einer Auto- und Motorradwerkstatt, wo er nicht nur unfreiwillig giftige Dämpfe einatmet, sondern sich damit auch schon mal berauscht oder beruhigt, wenn gerade kein Alkohol in Reichweite ist. Ob seine Depressionen daher rühren oder er versucht, diese so behandeln, ist die berühmte Frage nach dem Huhn und dem Ei. Fest steht, dass es einen massiven Einfluss auf sein Kurzzeitgedächtnis hat. Zudem herrscht bei Funke ständig Geldknappheit, die sich in seinem hoffnungslosen Fall ohne ein bisschen kriminelle Energie wohl nicht abstellen lässt. Allerdings fehlt dem 38-Jährigen der Mut, um eine Bank zu überfallen. Und so kommt er auf die Idee, stattdessen ein Kaufhaus – in der Realität das KaDeWe – zu erpressen. Dafür platziert Funke eine Bombe in der Bekleidungsabteilung und scheucht die Ermittler, darunter Ulrich Strack (Mišel Matičević) mächtig auf. Es gelingt ihm, 500.000 DM zu ergaunern. Dem folgen weitere Erpressungen beziehungsweise Erpressungsversuche und im Zuge dessen einige Sprengstoffanschläge.

Zwischen Gaunerkomödie und Krimidrama

„Ich bin Dagobert“ erzählt von Arno Funkes Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei, von den gewieft ausgetüftelten Bomben mit Zeitschaltuhr, Explosionen mit Sach- , aber ohne Personenschaden und den spektakulären Geldübergaben, bei denen Dagobert den Ermittlern immer ein Schritt voraus ist. Fiktionaler wird es, wenn es ums Private geht. Um Freundschaft, Liebe und Vaterschaft und das nervenaufreibende Doppelleben, das Funke führt und das mehr als einmal aufzufliegen droht. Denn nicht nur tappt die Polizei bezüglich seiner Identität lange im Dunkeln, auch ahnt seine Ehefrau Anais (Carol Rovira) nicht, was ihr Mann treibt, wenn er angeblich arbeiten ist, und vermutet alsbald eine Affäre. Dass die inzwischen dreiköpfige Familie von dem Geld der letzten Kaufhaus-Erpressung lebt, weiß sie nicht. Und der 70-Quadratmeter-Wohnung in Berlin-Mariendorf ist das auch nicht anzusehen.

Immer wieder wechselt die Serie zwischen Drama, Komödie und Satire, ist gespickt mit einer Menge origineller erzählerischer Ideen und Kniffe. Unter anderem wird Arnos dunkle Dagobert-Seite von einer übergroßen Horror-Ente mit rotglühenden Augen und langen Krallen verkörpert, die ihm immer wieder Tipps gibt, um seinen Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen. Rückblenden in die Kindheit des Erpressers erklären zudem seinen Werdegang und seine Motivation. Original-TV-Beiträge von RTL mit einem jungen Peter Kloeppel begleiten die Ereignisse. Und der heute 73-jährige echte Arno Funke hat in Folge 5 hat einen Cameo-Auftritt, bei dem er seinem jüngeren Ich gegenüber steht.

Vom Nobody zum (Anti-)Helden

„Ich bin Dagobert“ ist dank der visuell starken Bilder von Kameramann Frank Cramer und der punktgenauen Inszenierung von Regisseur Hannu Salonen ein fantastischer Mix aus Gaunerkomödie, Horrorfilm und Krimidrama, bei dem der Zuschauer – wie einst die deutsche Bevölkerung – auf der Seite des Erpressers steht. Auch wenn er seinerzeit oft als moderner Robin Hood gefeiert wurde, ging es Funke allerdings immer nur ums Geld und um sich selbst. Die Kohle verjubelte er gern für Reisen und in der Spielbank, wurde so vom Nobody zum gefeierten Liebling. Und trotz allen Erfolges, möchte man es denn so nennen, haderte Funke immer wieder mit seinem Tun, was auch in der Serie nicht ausgelassen wird. So hält er sich so manches Mal die Waffe unters Kinn, um abzudrücken und dem Ganzen ein Ende zu setzen.

Das Ende kommt aber auch so, eben am 22. April 1994. Wieder ruft Arno Funke aus einer Telefonzelle bei Karstadt an, meldet sich noch einmal mit „Guten Morgen, hier ist Onkel Dagobert“ und gibt seine Forderungen durch. Kurz danach klicken die Handschellen. An seinem 45. Geburtstag wird er zu neun Jahren Haft verurteilt, die Hirnschäden von den Lösungsmitteldämpfen rechnet man ihm schuldmildernd an. Seit 24 Jahren ist Arno Funke nach seiner vorzeitigen Entlassung nun wieder auf freiem Fuß.

Noch in der Haft fragte das Satiremagazin „Eulenspiegel“ ihn als Zeichner an. Er veröffentlichte eine Autobiografie, landete 2013 als Kandidat im RTL-„Dschungelcamp“ und stand eben jetzt für „Ich bin Dagobert“ zumindest kurz vor der Kamera. Sein Leben habe durch die Taten eine völlig andere Richtung bekommen, sagte Arno Funke mal. Jetzt im Mittelpunkt einer solch gelungenen Serie zu stehen, dürfte ihm ebenfalls gefallen.

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