„Irgendwann werden wir uns alles erzählen“: Zwischen Frust, Freiheit, Lust und Liebe

„Irgendwann werden wir uns alles erzählen“: Zwischen Frust, Freiheit, Lust und Liebe

„Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ läuft zunächst im Wettbewerb der Berlinale und kommt nun offiziell in die Kinos. Die Verfilmung des Bestsellers von Daniela Krien wirft einen Blick zurück in den Osten kurz nach der Wende und erzählt von einer fragwürdigen Liebesbeziehung.

2011 veröffentlicht Daniela Krien ihren Roman „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“, in dem die 16-jährige Maria in der einst ostdeutschen Provinz im Sommer nach dem Mauerfall auf der Suche nach sich selbst ist und dabei an den 40-jährigen Henner gerät. In der Verfilmung des Bestsellers ist Maria nun volljährig, Henner aber dennoch weiterhin mehr als doppelt so alt wie sie. Bei der Berlinale lief das ungewöhnliche Beziehungsdrama von Emily Atef im Wettbewerb, ging allerdings am Ende leer aus. Jetzt kommt der Film offiziell ins Kino.

Erst kurz zuvor ist die Mauer gefallen und auf dem Land in Thüringen befinden sich die Menschen noch in einer Art Schockstarre, überfordert und überrollt von den Ereignissen und unsicher, wie es weitergehen wird. Hier wächst die 19-jährige Maria (Marlene Burow) auf, die bei ihrer Mutter (Jördis Triebel) ausgezogen ist und derzeit bei ihrem gleichaltrigen Freund Johannes (Cedric Eich) und dessen Familie wohnt.

Junge Frau statt Jugendliche

Als der vor vielen Jahren in die BRD entschwundene Onkel von Johannes mit seiner jetzt vierköpfigen West-Familie auf den Hof zurückkehrt, prallen Welten aufeinander. Ebenso wie bei Maria und dem den Nachbarhof unterhaltenden Henner (Felix Kramer), der zwar ähnlich literaturverliebt ist wie sie, aber eben mehr als doppelt so alt ist und von einem dunklen Geheimnis umgeben. Bei ihm findet Maria die Aufmerksamkeit, die ihr sonst oft verwehrt bleibt, und so entspinnt sich zwischen den beiden eine sinnliche bis gewalttätige Romanze.

„Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ ist somit nicht nur ein Film über die Nachwendezeit, Menschen auf dem Land in der eben gestorbenen DDR und eine ungewöhnliche Liebesbeziehung, sondern eigentlich auch eine Coming-of-Age-Geschichte. Eben diese Mischung sowie der prosaische Schreibstil von Daniela Krien, die auch am Drehbuch mitwirkte, machten den Roman seinerzeit zu einem gefeierten Besteller. Auf der Leinwand funktioniert das aus verschiedenen Gründen nur bedingt.

So hat man sich – wie schon erwähnt – entschieden, Maria um drei Jahre altern zu lassen, um womöglich die Beziehung zum deutlich älteren Henner, die einer gewissen Übergriffigkeit und Brutalität nicht entbehrt, weniger toxisch erscheinen zu lassen. Dennoch, nach den #MeToo-Debatten der vergangenen Jahre bleibt ein Geschmäckle, so sehr man sich davon auch lösen möchte.

Voyeurismus und Sinnlichkeit

Marias Volljährigkeit geht außerdem zulasten ihrer Figur, die fast zu erwachsen scheint für dieses Leben und ihre Beziehung zum kindlich-naiven Johannes, der davon träumt, ein erfolgreicher Fotograf zu werden. Welche Wünsche und Ziele Maria so kurz vor ihrem 19. Geburtstag selbst verfolgt, bleibt offen. Alles, was sie will, ist lesen. Und Henner. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Geht es um ein rein körperliches Verlangen oder echte Gefühle? Bei den expliziten Sexdarstellungen sowie den sinnlich-intimen Momenten zwischen Maria und Henner, setzte man einen – weiblichen – Intimacy Coach ein, choreografierte die Szenen minutiös. Ein wenig voyeuristisch wird es an der einen oder anderen Stelle dennoch.

Erzählt wird all das in schönen Bildern, die die Weite von Wiesen, Wäldern und Feldern zeigen, verschrobene Figuren und ein gelungenes Stimmungsbild. Insgesamt recht artifiziell, was eine gewisse Distanz statt echter Nähe zwischen Zuschauer und Figuren schafft. Auch die vielen unterschiedlichen Themen, die das Buch aufmacht und die nun auf 133 Minuten heruntergebrochen wurden, tun ein Übriges. Die Wut der Abgehängten, der Landbevölkerung, die realisiert, dass die Wende ihnen womöglich nichts Gutes bringen wird. Die durch die Flucht des Bruders gespaltene und noch immer verletzte Familie … all das wird zwar angerissen, emotional aber nie so richtig zu Ende geführt.

„Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ ist ein verkopfter Film in romantischen Bildern über wechselnde Gefühle zwischen Frust, Freiheit, Lust und Liebe sowie eine Amour Fou mit bitter-süßem Beigeschmack, dem an der einen oder anderen Stelle ein bisschen weniger gutgetan hätte.

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