Isolation Berlin: Zu dir oder zu mir?

Isolation Berlin: Zu dir oder zu mir?

Tag XYZ in der Isolationshaft. Ich beginne, mich damit zu arrangieren. Nachdem ich bereits einige Arbeitsplatzverbesserungen vorgenommen habe – inzwischen sitze ich auf einem rückenschonenden Ballsitzkissen – weiß ich die Vorzüge des Homeoffice langsam zu schätzen. Die Toilette zuhause ist viel schöner und näher als die im Büro. Und ich kann mir auch schon eine halbe Stunde vor Feierabend das erste Glas Rotwein einschenken, es sieht ja keiner. Allerdings habe ich gemerkt, dass Rotwein meiner Schwermütigkeit ein wenig zu zuträglich ist. Also wurde heute stattdessen Sekt gekauft. Es wäre doch gelacht, wenn ich mich aus dem Tief nicht heraustrinken könnte. Über die Spätfolgen meines derzeit doch ungewöhnlich hohen Alkoholkonsums mache ich mir Gedanken, wenn der ganze Corona-Spuk vorbei ist, und das kann ja noch dauern. Inzwischen checke ich die aktuelle Nachrichtenlage aber nur noch in Momenten der absoluten Langeweile. Und natürlich an den Tagen, an denen ich fürs Newsdesk von ntv.de arbeite, dann lässt sich das leider nicht vermeiden. Ansonsten möchte ich über die neueste Zahlen an Infizierten und Toten gar nichts wissen. Es werden mehr, wir bleiben zu Hause. Das genügt doch wohl.

Gestern habe ich mich mit einem Bekannten getroffen und bin dabei gleich zwei Mal straffällig geworden. Zum einen hatte dieser seinen kleinen Sohn mitgebracht, sodass wir eigentlich zu dritt und nicht wie vorgeschrieben zu zweit unterwegs waren. Zum anderen saßen wir eine Weile im Park auf einer Bank, und wie ich heute gelesen habe, ist auch das Verweilen nicht erlaubt. Bewegung an der frischen Luft gern, innehalten bitte nicht. Obwohl ich ja glaube, dass sich das eher aufs Picknicken bezieht, denn die Sorge ist, dass dort, wo sich zwei Personen niederlassen, ganz schnell weitere dazukommen. Das wäre auf der Bank mit einem Sicherheitsabstand von 1,5 Metern gar nicht möglich gewesen. Sei’s drum, wir wurden ja nicht erwischt. In Bayern hätte ich jetzt 200 Euro gespart und könnte mir was Schönes zum Anziehen kaufen, was nach der Isolation dann auch schon wieder aus der Mode ist.

Aber ich stelle fest, wie wichtig mir gerade in diesen Zeiten Kontakte außerhalb meines kleinen privaten Zweimann-Kosmos sind. Zwar drehen sich unsere Gespräche auch dann meist nur um das eine Thema, doch ab und an kommen wir auch mal auf etwas anderes, weniger existenzielles. Das funktioniert natürlich am besten mit Menschen, die ich noch nicht in- und auswendig kenne. Ein Plädoyer fürs Tindern ist das jetzt aber nicht, auch wenn die Berliner Polizei scherzhaft meint, das sei schon in Ordnung, schließlich ginge es da doch sowieso nur ums Reden. Eine gefährliche Aussage, denn nicht wenige sind vermutlich schon jetzt so einsam, dass sie bereit wären, sich im Stundentakt zu daten. Und was das für die Ausbreitung des Virus bedeutet, kann sich doch wohl auch die Social-Media-Abteilung der Polizei Berlin denken.

Nehmen wir also mal an, jemand ist aufgrund der aktuellen Lage gerade ohne Beschäftigung und trifft genug andere bei Tinder, OkCupid oder irgendeiner anderen Dating-App, denen es ganz ähnlich geht. Natürlich schläft diese Person X erstmal aus, wo er oder sie gerade frei hat. Doch nach dem Frühstück, so gegen 10 Uhr, kann es auch schon losgehen. Bis 0 Uhr trifft Person X also bis zu 14 fremde Menschen mit dem Ziel des Austauschs von Körperflüssigkeiten. Dabei wird die Sache mit dem Sicherheitsabstand naturgemäß vernachlässigt. Nehmen wir weiter an, dass sich 50 Prozent der Dates tatsächlich auf mehr als Reden einlässt. Bleiben 7, die mit Person X in engen Kontakt treten. Gehört Person X nun also zu der Gruppe der unwissendlich Infizierten, steckt er oder sie diese 7 mit Corona an – plus noch 2 weitere, die versehentlich angehustet oder beim Reden angespuckt wurden. Das wären also 9 Menschen, die im schlimmsten Falle wie Person X ticken und an diesem einen Tag ihrerseits ebenfalls Kontakt zu 13 weiteren Dates haben. Und das ist nur ein Tag von sieben, die so eine Woche zu bieten hat. Die Mathematiker unter uns dürfen das gerne mal hochrechnen. Spätestens jetzt müsste klar sein, wie unverantwortlich der lustige Tweet der Berliner Polizei ist. Nennt mich gerne eine Spielverderberin.

Allerdings wäre in dem Fall zumindest gesichert, dass Tinder und Co. nicht – wie zunächst von mir befürchtet – nach der Pandemie pleite sind, weil ihnen jetzt die Bezahlkunden weglaufen. Weil es sich gerade nicht lohnt, Geld in ein Dating-App-Abo zu investieren, wenn man sich ohnehin mit niemandem treffen kann. Das würde das Aus für viele Anbieter oder gar alle bedeuten, und das wiederum stellt die Leute später vor ein noch größeres Problem. Wo sollen sie sich denn dann bloß kennenlernen? Wie spricht man gewünschte Sexualpartner im realen Leben an, wenn man nicht einfach nach rechts wischen und auch kein Superlike verteilen kann? Flirt-Coaches hätten Hochkonjunktur. Wer also für die Zukunft vorsorgen möchte und gerade ohnehin nichts zu tun hat, sollte sich rasch nach Fortbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich umtun.

Man merkt schon an diesem weniger weinerlichen Text, dass ich mich emotional gerade ganz gut aufgestellt habe. Dass ich die Dinge geändert habe, die für mich nicht gut waren, dieser Lernprozess läuft aber noch. Ich weiß nun, dass ich ganz ohne soziale Kontakte außerhalb der eigenen vier Wände nicht sein möchte, diese aber auf ein Minimum reduzieren kann. Dass sich Konferenzen und Trinkgelage auch sehr gut über Skype, Zoom, FaceTime oder ähnliches organisieren lassen. Ich hoffe mal, dass Unternehmen und Auftraggeber an diesem Konzept auch später noch festhalten. Innerdeutsche Flüge für irgendein Business-Meeting sollten für immer verboten werden. Diese Pandemie hat also auch ihre guten und lehrreichen Seiten.

Es ist schon möglich, dass ich gerade in einer manischen Phase stecke, ausgelöst durch den strahlenden Sonnenschein, der durch die Fenster fällt. Und es kann auch sein, dass ein am Abend geschriebener Text nach zwei Gläsern Rotwein anders klingen würde. Doch ich nutze den Moment, um mir und anderen zu versichern, dass noch immer ein Funken an positiver Lebenseinstellung in mir vorhanden ist.

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