Rechtsextremisten sind heute nicht mehr an Springerstiefeln, Glatze und stumpfen Parolen auszumachen. Oft sind sie intelligent, eloquent und charismatisch. Genau das macht sie umso gefährlicher, wie Christian Schwochows neuestes Werk „Je suis Karl“ aufzeigt.
Die Liste der gefeierten Produktionen, die unter der Federführung von Regisseur Christian Schwochow in den vergangenen Jahren entstanden, ist lang. Zu nennen wären da zum Beispiel der erste Teil der „Mitten in Deutschland: NSU“-Trilogie, die Neuverfilmung des Siegfried-Lenz-Klassikers „Deutschstunde“ und die erste Staffel von „Bad Banks“. Für „Je suis Karl“ hat sich Schwochow gemeinsam mit Drehbuchautor Thomas Wendrich nun erneut des Themas Rechtsextremismus angenommen und zeigt auf, warum die neue Rechte so gefährlich ist.
Der Film beginnt mit einer Rettungsaktion in Griechenland. Die Französin Inès (Mélanie Fouché) und ihr deutscher Ehemann Alex (Milan Peschel) helfen dem Geflüchteten Yusuf über die ungarische Grenze nach Deutschland. Einige Jahre und drei Kinder später lebt das Paar irgendwo in Berlin, während Yusuf längst an einem anderen Ort ist. Tochter Maxi (Luna Wedler) sitzt gerade mit ihrer Großmutter in einem Pariser Straßencafé, als sich der Rest der fünfköpfigen Familie aufs Abendessen freut.
Über Europas Grenzen hinweg
Alex verlässt die Altbauwohnung eigentlich nur für einen kurzen Moment, um den vergessenen Wein aus dem Auto zu holen, als das Haus hinter ihm plötzlich in die Luft fliegt. Schuld daran ist ein Paket für die Nachbarin, das er kurz zuvor angenommen hat und in dem eine Bombe deponiert war. Sämtliche Bewohner sterben, darunter auch Inès und die beiden Söhne der Familie. Von nun an ist in Alex‘ und Maxis Leben nichts mehr, wie es wahr.
Vater und Tochter trauern auf unterschiedliche Weise. Während sich Alex mehr und mehr zurückzieht, ist Maxi weitgehend auf sich allein gestellt und strotzt nur so vor Wut. Als Journalisten sie belagern, eilt ihr der gutaussehende und charismatische Karl (Jannis Niewöhner) zur Hilfe – und zieht den Teenager schnell in seinen Bann. Doch ist Karl nicht irgendwer, sondern eins der Aushängeschilder einer neuen Rechten, die den Tod von Maxis Familienangehörigen für ihre Zwecke nutzt. Bald wird klar, dass der Anschlag, der von den Behörden als islamistischer Terror eingestuft wurde, auf das Konto von Karl und seiner Organisation geht, die damit Stimmung machen, Politik betreiben will. Nur Maxi selbst übersieht die Zeichen, überhört die Lügen oder redet sie sich schön. Und so versinkt sie immer tiefer im Strudel der europaweit agierenden Bewegung.
Zwar kommt der vor Corona in Berlin und Prag entstandene Film erst jetzt in die Kinos, doch ist er bereits in mehreren Kategorien für den Deutschen Filmpreis nominiert. Auf eine Auszeichnung hoffen dürfen nicht nur Luna Wedler für die beste weibliche Hauptrolle und Jannis Niewöhner für die beste männliche sowie Milan Peschel in einer Nebenrolle. Auch der Film selbst tritt in der Königsklasse „Bester Spielfilm“ an. Ob er Chancen gegen Konkurrenten wie die Erich-Kästner-Verfilmung „Fabian oder Der Gang vor die Hund“ von Dominik Graf und das ebenfalls das Thema Rechtsextremismus behandelnde Drama „Und morgen die ganze Welt“ hat, muss sich allerdings erst noch zeigen.
So mitreißend wie platt
Die zwischen Überzeugung und Wahn changierenden Reden Karls sind mitreißend vorgetragen, inhaltlich aber oft auch etwas platt populistisch. „Sieg Heil“-Rufende werden von ihm souverän in ihre Schranken gewiesen, denn das sei Vergangenheit. Dieses Mal will man es anders angehen, deutlich gemacht wird das immer mal wieder mit dem Holzhammer. Die Nazis im 21. Jahrhundert sind eben keine stumpfen Skinheads in Thor-Steinar-Klamotten mehr, sondern hip gekleidet, sie sprechen mehrere Sprachen und wurden an Universitäten in ganz Europa ausgebildet. Die rechtsextremistische Ideologie als moderner Lifestyle für den Patrioten von heute.
Allerdings besteht hier eine weitere Schwäche des Films, denn dass Maxi all das entgeht, ist schwer nachzuvollziehen. Ja, sie ist noch jung. Ja, sie ist verliebt. Aber dass sie sich derartig von den längst entlarvten Rechten vor den Karren spannen lässt, wirkt bisweilen doch etwas unglaubwürdig. Luna Wedler selbst aber überzeugt wie auch Jannis Niewöhner – sie haben ihre Nominierungen für den Filmpreis also durchaus berechtigterweise erhalten.
Und ist man bereit, das eine oder andere nicht infrage zu stellen, unterhält „Je suis Karl“ mit seinem 126-minütigen Mix aus spannenden wie emotionalen Momenten durchaus. Entstanden ist so ein Film, der zwar das gute und wichtige Thema der Identitären Bewegung ambitioniert aufgreift, ihm aber dann leider doch nur bedingt gerecht wird.
„Je suis Karl“ läuft ab dem 16. September im Kino.