In der Dramedy „Over & Out“ werden drei langjährige Frauenfreundschaften auf den Prüfstand gestellt. Autorin, Regisseurin und Schauspielerin Julia Becker, Jessica Schwarz und Petra Schmidt-Schaller sprechen mit ntv.de über neue Frauenrollen und den Haltbarkeitswert echter Freundschaften.
Mit „Over & Out“ legt Schauspielerin Julia Becker nach „Maybe! Baby“ von 2017 ihren zweiten Langfilm vor, bei dem sie das Drehbuch schrieb, Regie führte und eine der Hauptrollen spielte. Ihr zur Seite standen diesmal mit Jessica Schwarz und Petra Schmidt-Schaller zwei der gefragtesten deutschen Schauspielkolleginnen. In einer weiteren Rolle, die allerdings deutlich weniger Text hat als der Rest, was sich aus der Geschichte der Tragikomödie ganz natürlich ergibt, ist Nora Tschirner zu sehen.
Mit ntv.de haben Julia Becker, Jessica Schwarz und Petra Schmidt-Schaller über die Vorteile eines Filmdrehs gesprochen, an dem viele Frauen beteiligt sind, aber auch darüber, warum es sich lohnt, für echte Freundschaften zu kämpfen.
ntv.de: Julia, du hast bei „Over & Out“ nicht nur eine der Hauptrollen gespielt, sondern auch das Drehbuch geschrieben und Regie geführt. Wie lange hat es alles in allem gedauert, das Projekt umzusetzen?
Julia Becker: Es waren ziemlich genau vier Jahre von der ersten Idee über das Treatment, das Drehbuch, den Dreh und die Fertigstellung. Und es ist zwischendurch ja noch das eine oder andere passiert, Corona zum Beispiel.
Während eurer Dreharbeiten, die in Kroatien stattfanden, lag die Inzidenz dort bei 5. Aus heutiger Sicht klingt das nahezu lächerlich wenig …
Jessica Schwarz: Wir hatten auch keinen einzigen Fall im Team, oder?
Becker: In der DIT-Abteilung hatte jemand Corona, aber das war niemand, der direkt mit uns zu tun hatte. Wir hatten wirklich riesiges Glück.
Wie fühlt es sich jetzt – wenige Stunden vor der Premiere – für dich an?
Becker: Mega! (lacht)
Und wie groß ist die Nervosität kurz vor den ersten Reaktionen von Publikum und Kritikern?
Becker: Das ist ein ständiges Auf und Ab zwischen absoluter Begeisterung und totaler Panik. Aber egal, wie jetzt die Kritiken sind: Ich wollte den Film machen, er wurde gemacht, und allein das ist schon so toll. Ich bin so dankbar dafür. Alles, was jetzt positiv wird, ist on top.
Gab es – abseits von der Pandemie – Momente, in denen du nicht mehr damit gerechnet hast, das Projekt umsetzen zu können? Was waren die größten Hürden?
Becker: Als Frauke Kolbmüller als Produzentin dazu kam, haben wir verschiedene Leute getroffen, und es wurde öfter abgelehnt mit dem Satz: „Ist echt gut, aber wir haben ja schon einen Film mit Frauen.“ Es kann bei denen demnach also nur einen einzigen Film mit Frauen geben, dann noch einen mit Hunden und einen mit Delfinen- oder was soll das bedeuten?
Aber dafür zig Filme mit Männern …
Becker: Das war für mich schon so ein bisschen der Subtext, klar. Aber rückblickend waren das wohl eben einfach nicht die richtigen Partner. Seit wir Warner an der Seite hatten, die das direkt machen wollten, ist nichts Gravierendes mehr passiert, was die Sache aufgehalten hätte.
Hast du dich beim Schreiben der Figuren von deinem eigenen Freundeskreis inspirieren lassen?
Jessica Schwarz: Das würde mich auch interessieren. Kommt heute zur Premiere eine Lea? (lacht)
Becker: (lacht) Nein, keine ist eine einzige Freundin, aber sie sind alle aus vielen Freundinnen und Frauen, die ich kennengelernt habe, zusammengesetzt. Deswegen sind sie auch so facettenreich und können viel Identifikationspotenzial bieten. Als ich das Drehbuch geschrieben habe, habe ich mich auch selbst in jeder der drei Frauen – ob Lea, Toni oder Steffi – an bestimmten Punkten wiedererkannt. Das ist eine Botschaft des Films: Du kannst dich auch in anderen Frauen wiederfinden, die erstmal anders sind als du, wenn du nur genau hinschaust.
Wie kam die Besetzung zustande? Kanntet ihr euch alle drei schon vorher?
Becker: Nein, Jessi und ich kannten uns gar nicht. Aber Petra hatte ich an ein paar Drehtagen für eine Serie kennengelernt, und wir haben uns sofort gut verstanden. Ich dachte, es sei spannend, sie in der Rolle der Toni zu sehen. Sowas hatte sie auch noch nicht gespielt, denke ich.
Petra Schmidt-Schaller: Null. Dass du mich da gesehen hast, fand ich schön.
Becker: Petra hat ein Knaller-E-Casting gemacht, und dann waren auch alle anderen überzeugt, die vorher ihre Zweifel hatten. (lacht) Bei Jessi war es etwas anders. Mit ihr hatte ich telefoniert. Danach habe ich die Produzentin angerufen und ihr gesagt, dass ich einfach hoffe, dass das E-Casting so wird wie dieses Telefonat, denn sie atmet diese Figur quasi. Alles, was sie gesagt hat, hat mir gezeigt, dass sie es verstanden hat. Die Businessfrau Lea kann man ja auch sehr hart und eindimensional spielen, aber bei Jessi war alles total vielschichtig.
Petra und Jessica, was waren eure ersten Gedanken und Emotionen, als euch Julia von dem Film erzählt hat beziehungsweise ihr das Drehbuch gelesen habt?
Schwarz: Ich habe es gelesen und den Film innerlich direkt durchgespielt. Man ist schon an den Orten, fast in der Figur, man hat schon die Dialoge. Ich habe gelacht und geweint. Es war schon alles da. Ich merke schnell, ob ich mehr über ein Projekt wissen will. Außerdem wollten Petra und ich schon immer mal zusammen in einem Film spielen. Normalerweise werden wir immer nur gegeneinander gecastet, aber nie gemeinsam. Dieses Mal hat alles gestimmt.
Schmidt-Schaller: Julia hatte angekündigt, dass sie da was hat. Das ist mir schon öfter passiert, aber dann kam nie ein Drehbuch. Und jetzt kam eins. Das habe ich gelesen und dachte: „Oh Gott, das ist so kostbar.“ Solche Drehbücher liest man so selten. Und dann habe ich aber auch gedacht: Wie geil, es kann doch gar nicht sein, dass diese Rolle für mich gedacht ist. Ich musste noch mal nachfragen. Ich habe so selten die Chance, Charaktere wie Toni zu spielen, so rausgekotzt und rausgeschissen, die dann aber auch noch von einer anderen Seite gesehen werden.
Becker: Man ist eben nicht nur der Rockstar, nur die Geschäftsfrau, nur die Hausfrau und Mutter … Es steht doch immer eine Latte an Mensch dahinter, das habe ich bei beiden direkt gesehen. Dass sie diesen ganzen Hintergrund spielen können.
Schwarz: Und bei mir war dann auch noch viel Slapstick dabei. (lacht)
Würdet ihr sagen, dass eine Frau Frauenfiguren anders schreibt und dann auch anders inszeniert, als Männer das tun? Mit mehr Fingerspitzengefühl vielleicht?
Schwarz: Kein Regisseur, keine Regisseurin ist wie der oder die andere. Jeder bringt seine eigene Farbe mit. Das macht es so spannend, und jeder ist im Vorgespräch dann auch noch mal anders als am Set. (lacht) Manche sind mehr für die Schauspielführung, manche für den Gesamtlook oder die Thematik. Ich fand es toll, wie Julia uns mit eingebunden hat. Das ist bei Frauen tatsächlich manchmal einfacher. Gerade bei den körperlichen Geschichten, wie man damit umgeht, wenn sich jemand geniert beispielsweise. Und man kann am Set auch eher mal sagen, ich habe PMS und mir geht es nicht so gut, da wird dir mehr Verständnis entgegengebracht.
Becker: Jessi und ich hatten beide einen solchen fiesen Tag mit Krämpfen, und klar, man muss dann ja trotzdem arbeiten. Doch alle wissen, das ist jetzt so und dann nimmt man eben etwas Rücksicht.
Schwarz: Man unterstützt sich dann eher.
Schmidt-Schaller: Da gab es einen echten Zusammenhalt.
Schwarz: Bei allen Produktionen, an denen viele Frauen beteiligt waren, war es sehr kreativ und sehr produktiv. Ein großes Miteinander, kein Gezicke. Viele denken, es gäbe da eine Menge Stutenbissigkeit, doch das ist nicht so.
Es hält sich tapfer die Annahme, dass es Männer beruflich immer weitergebracht haben, weil sie sich gegenseitig protegiert haben, während Frauen in manchen Situationen die Ellenbogen gegen andere Frauen ausfahren. Das deckt sich demnach nicht mit euren Erfahrungen?
Becker: Ich glaube, es hat sich in den letzten Jahren verändert … dass man mehr miteinander ist anstatt gegeneinander. Aber ich bin, seit ich mit der Schauspielschule angefangen habe, schon auch gegen viele „Frauenwände“ gerannt. Mit Aussagen, die ich gar nicht wiederholen will und die so kleinmachend waren, dass das hart zu verdauen war. Momenten, in denen mir ältere Frauen zu verstehen geben wollten: „Du hast keine Chance.“ Ich würde niemals zu einer 20-jährigen Schauspielschülerin irgendwas sagen, was ihr Selbstbewusstsein zerstört.
Schwarz: Das gab es tatsächlich. Ich kenne aber auch viele tolle Frauen aus der Generation vor uns, die viel für den Kampf getan haben, ein anderes Frauenbild herzustellen. Ein Bild von Frauen, die alles unter einen Hut kriegen, ihre Arbeit, Kinder und noch die Lebenspartnerin zu sein. Das sind Frauen, die vielleicht sogar selbst auf Kinder verzichtet haben, um in dieser Arbeitswelt ernst genommen zu werden. Das ging mit dem Kampf ja schon in den 60ern los, aber jetzt sind wir tatsächlich an diesem Punkt: Es ist jetzt vorbei mit Stutenbissigkeit.
Haben jetzt auch Schauspielerinnen jenseits der 40, die früher nicht selten einen Karriereknick erlebten, weil sie eben nicht mehr die junge Geliebte mimen konnten, andere Chancen?
Schwarz: Ich dachte so vor zehn Jahren. Das war es jetzt mit Film. Ich mache gerade nur noch Kinderfilme, wo ich Muttis spiele oder die Lehrerin. Und ab und zu vielleicht mal ein schönes Fernsehstück, einen Krimi. Aber durch die Serien, das Streaming sind die Rollen vielfältiger. Frauen erzählen jetzt Frauen, und Männer trauen sich auch langsam mit einer anderen Sensibilität an Frauenfiguren heran. Da hat sich schon echt eine Menge getan. Ich bin seit vier oder fünf Jahren wieder ganz happy, was für Rollen kommen.
Becker: Ich bekomme als Regisseurin auch schon mal was geschickt, in dem alle Hauptfiguren Männer sind. Dann frage ich mich, was die genau von mir wollen? So was sage ich dann ab. Das kann jemand anders erzählen.
Wie ist es, wenn man nicht nur Schauspielerin am Set ist, sondern als Regisseurin auch noch sich selbst und die anderen inszenieren muss?
Becker: Es war ein tolles Miteinander. Ich halte eh nichts von König- beziehungsweise Königin-Strukturen. Klar bin ich dafür verantwortlich, dass alles zusammen läuft, und habe eine klare Vision. Aber jeder hat doch auch mal Grenzen. Film ist eben Teamarbeit. Ich freu mich immer, wenn jemand anders auch tolle Ideen hat. Und mal ganz ehrlich: Da habe ich drei der besten deutschen Schauspielerinnen um mich herum, warum sollte ich denen sagen: „Ich will von euch nix hören!“ (lacht) Das wäre doch bescheuert.
Schmidt-Schaller: Dadurch, dass Julia meinte, wir sollen ihr sagen, wenn wir was sehen, ist eine Tür für mich aufgegangen. So konnten wir ihr in bestimmten Momenten ein Spiegel sein. Das machen viele Regisseure und Regisseurinnen nicht, und das ist Wahnsinn. Je älter man wird, desto krasser durchleuchtet man das. Derjenige ist ein offenes Buch in dem Moment. Ich sehe, dass das einfach nur ein Kompetenzding ist.
Becker: Die haben vielleicht Angst, die Kontrolle zu verlieren.
Schmidt-Schaller: Das ist doch schade. Es sollte Teamarbeit sein. Und klar, jetzt schreiben mehr Autorinnen, mehr Frauen führen Regie, aber mir ging es schon immer so: Wenn man Drehbücher gelesen und gemerkt hat, das hat ein Mensch geschrieben, dann war es toll. Das Geschlecht ist dann eigentlich völlig egal. Und so ist es auch bei der Regie, das Herz schlägt in diesen Menschlichkeiten, da sind wir uns dann doch alle ähnlicher, als wir denken.
Hat der Film euren Blick auf Freundschaften noch einmal verändert?
Becker: Ja, bei mir ist das schon beim Schreiben passiert. Es war mir ein Anliegen, dieses Thema von allen Seiten zu beleuchten und einen Film zu machen, der von Freundschaft bestimmt ist und nicht der Suche nach der Liebe oder so etwas. Ich habe gelernt, wieder besser hinzugucken, Unterschiede nicht zu bewerten. Dass der andere anders ist, kann doch voll der Gewinn sein und dabei helfen, mal über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.
Schwarz: Gerade in der Corona-Zeit mit all den Ängsten, die da zusammengekommen sind. Ich habe gespürt, wie ganz viele Freunde in so eine Empfindlichkeitsphase gerutscht sind. Da waren auf einmal ganz viele Empfindlichkeiten, jeder hat sich sehr schnell persönlich angegriffen gefühlt. Nach dem Film habe ich gedacht: Das muss aufhören, und wir müssen uns alle mal wieder in den Arm nehmen. Normalerweise hätte ich auch patzig zurückgeschrieben, aber stattdessen habe ich durchgeatmet, überlegt und verstanden, dass das diese Phase ist. Dann habe ich bewusst dagegen gesteuert.
Aber man kann sich schon auch von Freunden trennen, wenn es nicht mehr geht?!
Schwarz: Man kann sich auf jeden Fall von Freunden trennen. Bei mir ging es aber um Menschen, die mir sehr am Herzen liegen.
Becker: Man muss sich sogar von Freunden trennen, wenn es nicht mehr geht.
Schmidt-Schaller: Auf jeden Fall. Das Ding bei der Geschichte ist, dass die Figuren ja trotzdem alle noch zusammenhingen und sich nicht wirklich lösen konnten. Sie haben sich Nachrichten geschrieben, sich ab und zu getroffen, waren nur nicht mehr so eng wie früher. Für mich war es nach den Dreharbeiten so, dass ich dachte: Du hast Freundschaften, die kommen und gehen. Und dann gibt es welche, die sind so wahnsinnig konstant. Selbst, wenn man sich zwei Jahre nicht gesehen hat, du suchst und findest dich immer wieder. Ich habe sieben Freundinnen in meinem Leben, und ich habe jetzt gemerkt, warum die da sind, wo meine Wurzeln sind. Die wohnen in mir. Und da sitzen zwei, die könnten jetzt noch dazu kommen …