„&Julia“: Pop-Musical schreibt alte Literatur neu

„&Julia“: Pop-Musical schreibt alte Literatur neu

Seit 2022 wird am Broadway die Geschichte von Shakespeares Julia neu erzählt. Mit Hits von Britney Spears bis Katy Perry blüht Romeos Witwe auf und lebt endlich ein selbstbestimmtes Leben. Nun kommt das Musical „&Julia“ bald nach Deutschland. ntv.de traf vorab dessen Kreativteam in New York.

Was wäre passiert, hätte Julia ihren Romeo überlebt und die Chance bekommen, noch einmal neu anzufangen? Dieser Frage widmen sich im Jukebox-Musical „&Julia“ Shakespeare und seine Ehefrau. Mit einem neuen Denkansatz zwischen Coming-of-Age und Feminismus geben die zwei ihrer Figur einen frischen Drive – und das in jeglicher Hinsicht. Natürlich nicht, ohne jeden Schritt Julias auf der Bühne ausgiebig und mit spitzer Zunge zu diskutieren.

Konträr dazu steht der Fakt, dass der Autor des Stücks, das seit zwei Jahren bereits am Broadway aufgeführt wird und im Herbst nun nach Deutschland kommt, ein Mann ist. David West Read, unter anderem für die gefeierte Serie „Shitt’s Creek“ verantwortlich, haucht Julia unter Einbeziehung von viel Humor und diversen Popsongs aus dem Kosmos von Songwriter Max Martin neues Leben ein. Interpretiert werden unter anderem bekannte Hits von Britney Spears, Pink, den Backstreet Boys, Katy Perry, Bon Jovi und Céline Dion.

In New York traf ntv.de neben Read noch Musik-Supervisor Bill Sherman sowie die deutsche Hauptdarstellerin Chiara Furhmann. Für die 29-Jährige, zuvor unter anderem in den Musicals „Hamilton“ und „Die Eiskönigin“ zu sehen, ist es die erste große Hauptrolle als Erstbesetzung. Aus diesem Anlass gönnte ihr ihr Arbeitgeber nahe des Times Square sogar ein sie feierlich in New York City begrüßendes LED-Display. Eine Geste, mit der Fuhrmann sichtlich nicht gerechnet hatte. Und auch die Show selbst war für sie eine Premiere.

ntv.de: Chiara, du hast das Musical „&Juliet“ gestern Abend zum ersten Mal gesehen. Was hat das mit dir gemacht?

Chiara Fuhrmann: Es war so spannend für mich, weil ich natürlich das Skript und die Songs schon kannte, aber dann das Ganze wirklich lebendig auf der Bühne zu sehen, das war so anders. Ich fand den Sound und die Lichttechnik fantastisch. Und dann das ganze Ensemble, wie es diese Geschichte erzählt, das war echt Wahnsinn. Aber ich habe natürlich die ganze Zeit auf die Hauptdarstellerin geschaut und so Sachen gedacht wie: „Okay, gut, den schnellen Kleiderwechsel mache ich dann auch bald.“

Hast du für die deutsche Julia eine Art Interpretationsspielraum oder wirst du dich stark an der US-Juliet orientieren?

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Fuhrmann: Das ist eine gute Frage. Ich denke, so wie ich das Team bisher kennengelernt habe, sind sie dort sehr offen für alles. Und solange man zusammenarbeitet und gemeinsam etwas Neues entwickelt, glaube ich, ist alles im Bereich des Möglichen.

Es ist deine erste große Erstbesetzung. Hast du dich an den Gedanken schon gewöhnen können?

Fuhrmann: Es ist noch keine Routine, überhaupt nicht. Die Aufregung kommt in Wellen. So war es auch, nachdem ich den Anruf mit der Zusage bekommen habe. Da war ich natürlich ein paar Tage auf Wolke sieben. Und dann kamen immer wieder diese Phasen, in denen ich es ein bisschen vergessen hatte. Dann fällt es mir aber natürlich wieder ein und ich denke: „Oh Gott, stimmt ja!“ Und jetzt sind wir alle für die Show hier, und dann steht da oben an diesem Display auch noch mein Name. Da wird es einem dann wieder noch ein bisschen klarer. (lacht)

„&Julia“ verfolgt einen feministischen Ansatz. Hat das bei deinem Wunsch, dabei zu sein, eine Rolle gespielt?

Fuhrmann: Ich finde es wichtig und schön zu sehen, wie das alles funktioniert. Zu sehen, was passiert, wenn die Frau für sich denkt, ihren eigenen Weg geht und ihre Liebe zu sich selbst entdeckt.

Am Broadway läuft das Musical seit 2022, die Vorbereitungen haben entsprechend früher begonnen – also vor dem Hype um feministische Filme wie „Barbie“ und „Poor Things“. Siehst du dich als Vorreiter, David?

Read: Absolut. Ich verdiene einen Oscar voller Anerkennung für „Barbie“. (lacht) Aber im Ernst, die Julia im Originalstück von vor 400 Jahren ist meiner Meinung nach schon eine ziemlich starke Figur. Sie führt Romeo an und hat das Sagen. Unsere Julia ist eine Version für die 2020er-Jahre von dieser starken jungen Frau, die sich ausdrückt und ihr Abenteuer sucht. Das fühlte sich gar nicht so weit entfernt vom Original an.

Wie ist die Idee zu dem Musical überhaupt entstanden?

Read: Anfang 2016 rief mich mein Agent an und fragte, ob ich Lust hätte, ein Max-Martin-Musical zu pitchen. Ich wusste nicht mal, wer Max Martin ist. Dann habe ich mir eine Playlist mit 300 seiner Songs zusammengestellt. Daraus könnte man zehn Musicals machen. Zur gleichen Zeit bin ich mit dem Kopf gegen einen Küchenschrank gestoßen und habe mir eine Gehirnerschütterung zugezogen. Deswegen konnte ich eine Weile nicht auf Bildschirme schauen. Stattdessen saß ich also mit geschlossenen Augen in einem dunklen Raum und habe mir die Musik immer und immer wieder angehört. Das war dann der Punkt, an dem mir die Idee kam: Was, wenn Julia sich am Ende von „Romeo & Julia“ nicht umgebracht, sondern sich wieder auf die Suche nach Liebe und Leben gemacht hätte?

Bill, was bedeutete das im nächsten Schritt für dich, der du für die Musik verantwortlich bist?

Bill Sherman: Mein Ziel ist es grundsätzlich, die Songs für sich selbst sprechen zu lassen. Auch wenn Songs wie „Hit Me Baby One More Time“ dann nicht mehr wie das Original klingen … da hat Max Martin mir von Anfang an freie Hand gelassen. Er hat mir erlaubt, den ganzen Weg in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Das Schwierige war, dass diese Songs aus so vielen verschiedenen Epochen und von so vielen verschiedenen Künstlern stammen. Wir haben versucht, die Instrumentierung und die Art und Weise, wie wir an die Nummern herangegangen sind, ähnlich zu halten, damit alles zusammenpasst.

David, deine Kernkompetenz ist ein ganz besonderer Humor. Machst du dir Sorgen, dass sich dieser im Deutschen vielleicht nicht vermitteln lässt – auch wenn die Songs ihre englischsprachigen Lyrics behalten …?

Read: Wir arbeiten eng mit den Übersetzern zusammen, die alle sehr gut sind, denn ich halte mich wirklich nicht für einen Experten in Sachen deutschen Humors. (lacht) Aber wir versuchen natürlich schon, mit dem Musical etwas Universelles zu schaffen. Ich bin Kanadier, Bill ist Amerikaner, Max ist Schwede, unser Regisseur Lukas ist Brite. Es war also ohnehin schon eine Art internationale Zusammenarbeit. Und natürlich sind William Shakespeare und Max Martin auf der ganzen Welt bekannt und beliebt. Aber was den Humor angeht, muss ich mich auf die Übersetzer verlassen, die besser Deutsch können als ich.

Sherman: Wir starten mit dem Musical auch in Großbritannien, dafür mussten wir wieder andere Akzente setzen, weil der Humor dort noch mal ein anderer ist.

Chiara, hilft es dir, dass du die Songs schon kennst oder macht das die Interpretation schwieriger, weil du dich mit Stars wie Spears und Dion messen musst?

Fuhrmann: Mir hilft es total. Und ich finde es toll, dass so viele verschiedene Songs neu arrangiert werden und hinterher oft das komplette Gegenteil sind, wie Bill schon sagte. „Hit Me Baby One More Time“ ist ein solcher Song, bei dem man die Grundstruktur noch erkennt, der aber trotzdem ganz anderes als das Original klingt. Das macht es so spannend. Das Arrangement geht so ans Herz und ist so dramatisch und toll. Das war auch der erste Song, den ich für mich allein zu Hause geübt habe.

Als du aus der Audition zu „&Julia“ kamst, hattest du da schon das Gefühl, dass das was werden könnte?

Fuhrmann: Ich sage mir immer, das Wichtigste ist, dass du mit einem guten Gefühl aus einem Vorsingen herauskommst. Den Rest hast du nicht in der Hand. Du kannst nur schauen, dass du dein Bestes gibst, dann muss man sehen, was passiert. Aber natürlich hilft es, wenn du daran glaubst, dass du es schaffst. Das ist aber auch riskant, weil dann natürlich die Enttäuschung umso größer ist, wenn es nicht klappt. Doch das gehört dazu. Und ich habe mich von Anfang an sehr gut mit der Rolle verstanden. Das hat sicher auch geholfen, das herüberzubringen. So haben die Leute gesehen, dass es passt.

David und Bill, seid ihr zufrieden mit der Wahl der deutschen Julia?

Read: Absolut, ja!

Sherman: Ich habe nur ein Kriterium für alle Julia-Darstellerinnen, welches mir in letzter Zeit klar geworden ist: Habe ich Gänsehaut, wenn sie „Hit Me Baby …“ singen? Wenn das passiert, dann weiß ich, dass alles gut wird. Und heute ist es passiert, als ich Chiara zum ersten Mal live gehört habe. Ich dachte nur: Heilige Scheiße!

Chiara, ist ein Stück dabei, dass zu einer besonderen Herausforderung werden könnte?

Fuhrmann: Ich habe kein Lied, an das ich da jetzt speziell denke. Für mich ist es immer eher das Ding, wie ich gut durch eine Vorstellung komme – also konditionell. Es gibt natürlich Probenphasen, damit man sich mit der Rolle akklimatisieren kann. Aber woher nimmst du die Energie technisch? Was esse ich vorher? Wann kann ich trinken, wann auf die Toilette gehen? Wo muss ich richtig Gas geben, und wie mache ich es, damit ich all das sechsmal die Woche abliefern kann? Aber das ist in jeder Rolle so, und man gewöhnt sich dran. Irgendwann findet man in eine Art Routine für die Show.

Was war dagegen für euch die größte Herausforderung, Bill?

Sherman: Die erste Regel beim Musical ist, dass jeder Song die Geschichte vorantreiben muss. Alles ist immer eine Story und eine Erzählung, so wie auch die Popmusik. Wir haben uns gefragt, was wir tun müssen, um die Essenz des Songs zu bewahren, aber auch unsere Geschichte mit ihnen voranzutreiben. Der Anfang eines Stücks war immer Max Martins Ding. Also sind viele der Songs gekürzt und haben verschiedene Teile, die nicht unbedingt im Original enthalten sind. Manchmal wiederholen wir Dinge, um die Choreografie und die Geschichte immer so weit wie möglich voranzutreiben. Ich denke, diese Herausforderung haben wir gemeistert.

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