In seinem 21. Film widmet sich Martin Scorsese einem düsteren Teil der US-Geschichte. Mit Robert De Niro und Leonardo DiCaprio als geldgierigen Weißen ist „Killers of the Flower Moon“ ein dreieinhalbstündiger Ritt durchs tödliche Land der Osage in den 1920er-Jahren.
Angesichts der an einigen Stellen doch etwas zähen 209 Minuten, die manche an Martin Scorseses dennoch starkem Mafia-Epos „The Irishman“ 2019 verzweifeln ließen, könnten einem die 206 Minuten von „Killers of the Flower Moon“ Sorge bereiten. Reichen das Sitzfleisch sowie die Aufmerksamkeitsspanne, die zumindest bei jüngeren Zuschauern durch Tiktok- und Instagram-Reels geprägt wurde, für einen Film dieser Länge? Wer Zweifel hat, dem sei gleich vorab gesagt, dass der Kauf einer Kinokarte für das True-Crime-Drama durchaus belohnt wird.
Nach Scorseses Kooperation mit dem Streaming-Riesen Netflix, ohne den es „The Irishman“ nie gegeben hätte, war dieses Mal dessen Mitbewerber Apple TV+ für die Finanzierung zuständig. Und auch hier gilt: Aufgrund der immensen Produktionskosten von gut 200 Millionen Dollar wäre „Killers of the Flower Moon“ ohne einen solchen Partner wohl nicht möglich gewesen. Klassische Hollywood-Studios nehmen derartige Summen höchstens noch für die nächste Comic-Verfilmung in die Hand. Gesteckt wurde das Geld zum einen in den Scorsese-üblichen Top-Cast, aber auch in tolle Kostüme, eine detailgetreue Ausstattung und authentische Kulissen. Investitionen, die sich auszahlen und „Killers of the Flower Moon“ zu einem der eindrucksvollsten Blockbuster des Jahres machen.
Weiße umgarnen reiche Indigene
Es sind die USA der 1920er-Jahre. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg kehrt Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) in seine Heimatstadt Fairfax im Bundesstaat Oklahoma zurück, in dem sich in den vergangenen Jahren viel verändert hat. Dem indigenen Osage-Stamm war vor geraumer Zeit von den immer mehr Land einnehmenden Weißen ein Reservat in der kargen Steppe im Nordosten Oklahomas zugeteilt worden. Wie sich herausstellte, war dieses Land aber nur auf den ersten Blick nichts wert. Es verfügt nämlich über ein riesiges Ölvorkommen, was die Ureinwohner zu reichen Leuten macht, die nun von den Weißen geradezu umgarnt und hofiert werden.
Vermeintlich mit den Osage befreundet ist Ernests Onkel William Hale (Robert De Niro), genannt Bill. Er spricht sogar die Sprache des Stammes und ist Ansprechpartner für viele Belange seiner Mitglieder. Als Ernest die indigene Mollie (Lily Gladstone) kennenlernt, der er als Taxifahrer dient, legt ihm Bill zwar nahe, sie aus finanziellen Gründen zu heiraten, doch ist Ernest auch tatsächlich verliebt. Die zwei schließen den Bund fürs Leben und bekommen drei Kinder, aber ihr Glück wird überschattet von zahlreichen ungeklärten Todesfällen unter den Mitgliedern des Osage-Stammes. Auch Mollies eigene Familie, bestehend aus ihrer Mutter und vier Schwestern, wird immer mehr dezimiert.
Dass es sich bei diesen Todesfällen um Morde handelt, ist spätestens dann nicht mehr zu leugnen und zu ignorieren, als Gift und Schusswaffen zum Einsatz kommen. Irgendjemand möchte sich der Ureinwohner entledigen, um sich an deren Besitz und dem Öl zu bereichern. Offenbar ist der allseits beliebte Bill gar nicht der Wohltäter, für den ihn alle halten. Mit seiner Gier steckt er alsbald auch seinen naiven Neffen Ernest an, der vor kaum noch etwas zurückschreckt, um sich seinen Wohlstand zu sichern.
Scorsese-üblicher Cast in Höchstform
Für Robert De Niro und Martin Scorsese, beide sind über 80 Jahre alt, ist „Killers of the Flower Moon“ inzwischen der zehnte gemeinsame Film. Neben fantastischen Performances in „Taxi Driver“, „GoodFellas“, „Casino“ oder auch „The Irishman“ zählt nun auch De Niros Darstellung des Bill Hale zu den Highlights seines Könnens. Die gekünstelte Güte und die dahinter versteckte Eiseskälte dieser Figur spielt De Niro mit der ihm eigenen Leichtigkeit und Eleganz. Dabei wirkt er wie die Western-Version eines manipulativen Mafia-Paten.
Leonardo DiCaprio – für ihn ist es übrigens auch schon der sechste Scorsese-Film – gibt Ernest durch sein komplexes Spiel eine ganz eigene Note, die zwischen einfältigem Gehorsam und gieriger Verschlagenheit changiert. Bisweilen wirkt das Ganze vielleicht ein wenig overacted, was aber beim Bemessen auch dieser hervorragenden schauspielerischen Leistung nicht weiter ins Gewicht fällt. Lily Gladsone als an Diabetes und permanenter Trauer leidende Mollie ist der Kitt, der alles zusammenhält. Auch wenn man sich schon mal fragen kann, warum sie so lange ahnungslos ist hinsichtlich der Mörder ihrer Osage-Familie, schließlich teilt sie mit einem von ihnen das Bett. Aber sei’s drum … Dass sich alle drei für den Film die Sprache der Osage draufschafften, ist schon eine Leistung an sich.
Viel Wahrheit, weniger Tiefe
Auch sonst sind alle noch so schrägen Figuren und Handlanger von Hale bis in die kleinste Rolle toll besetzt, darunter Brendan Fraser als sein Anwalt W.S. Hamilton und Jesse Plemons als einziger Cowboyhut tragender FBI-Agent Tom White. Nicht zu vergessen all die Indigenen, die Gegenstände ihrer Osage-Großeltern zur Verfügung stellten, damit sie in die originalgetreuen Kostüme eingearbeitet werden konnten.
„Killers of the Flower Moon“ ist ein Gangsterepos in klassischer Scorsese-Hollywood-Manier, für dessen Vorlage sich der Regisseur und sein Autor Eric Roth stark an den wahren Ereignissen orientiert haben. Zugrunde lag dem Film der Sachbuch-Bestseller „Das Verbrechen“ von David Grann. Zudem führten sie und ihr Haupt-Cast viele Gespräche mit den Osage-Ältesten. Dafür mögen die Figuren selbst an psychologischer Tiefe und Entwicklung eingebüßt haben, die von Kameramann Rodrigo Prieto eingefangenen Bilder tragen den Zuschauer dennoch über Längen hinweg und machen die dreieinhalb Stunden zu einer kurzweiligen US-Geschichtsaufarbeitung. Den einen oder anderen Oscar wird es im kommenden Jahr dafür sicher geben.