Die RTL+Serie „Faking Hitler“ beleuchtet den Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher. Den darin verwickelten Journalisten Gerd Heidemann verkörpert mit Lars Eidinger einer der gefragtesten Schauspieler des Landes. Mit ntv.de spricht er über seine Arbeitsmoral und darüber, weshalb er lieber „spielt als ist“.
Wenn es so etwas wie den Schauspieler der Stunde gibt, dann ist das Lars Eidinger – und das schon seit Jahren. Immer wieder begegnet er dem Kino- und TV-Zuschauer in den unterschiedlichsten Projekten, seien es Serien wie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ und „Babylon Berlin“, Filme wie „Nahschuss“ oder „Persischstunden“, die drei Borowski-„Tatorte“ um den Psychopathen Kai Korthals oder zuletzt der „Tatort“ aus Wiesbaden, „Murot und das Prinzip Hoffnung“. Und dann ist da noch „Richard III.“, als der Eidinger seit 2015 das Publikum der Berliner Schaubühne begeistert. Nebenbei ist er noch Familienvater, DJ und Fotograf.
Nun steht das nächste Projekt des 45-Jährigen in den Startlöchern. In der neuen RTL+ Serie „Faking Hitler“ um die angeblichen Tagebücher von Adolf Hitler, die der Kunstfälscher Konrad Kujau Anfang der 1980er-Jahre dem „Stern“ unterjubelte, spielt Eidinger den dafür zuständigen Journalisten Gerd Heidemann. Mit ntv.de spricht er über seinen Umgang mit der der strittigen Figur, die Liebe zu seinem Job und über das, was seine Fotos über ihn aussagen.
ntv.de: Als der „Stern“ die Hitler-Tagebücher veröffentlichte, warst du sieben Jahre alt. Bewusste Erinnerungen an den Skandal dürftest du also eher nicht mehr haben.
Lars Eidinger: Ich hätte ohne nachzurechnen wirklich gedacht, ich könne mich daran erinnern. Aber das kann natürlich gar nicht sein. Es ist so, als ob sich das im kollektiven Gedächtnis verklärt. Es ist wie mit der Geschichte von der Badewanne von Joseph Beuys, die im Museum gereinigt wurde. Die stimmt ja auch nicht. Da haben sich zwei Geschichten vermischt. Einmal gab es einen SPD-Parteitag. Bei dem brauchten die was, um ihre Getränke zu kühlen, sind in die Katakomben, haben eine Wanne von Beuys gereinigt und ihr Bier reingestellt. Und das andere war eine „Ata“-Werbung, in der eine Frau im Museum eine Badewanne reinigte. Und so war es bei mir auch. Ich habe bestimmt weitaus später von dem Skandal erfahren, bilde mir aber ein, mich erinnern zu können. Allerdings bin ich mit dem „Stern“ groß geworden, meine Eltern hatten ihn abonniert. Diese Art der Berichterstattung, das Visuelle, davon bin ich schon auch beeinflusst.
Ich habe schon beim Hören des „Faking Hitler“-Podcasts, der auf originalen Tonbandaufnahmen der Telefongespräche zwischen Gerd Heidemann und Konrad Kujau fußt, einen kleinen Soft Spot für deine Figur, den tragischen Helden, entwickelt. Ging es dir auch so mit deiner Rolle?
Tatsächlich versuche ich das zu vermeiden, denn um Sympathie geht es da nicht. In der Schule habe ich gelernt, bei einer Analyse oder Interpretation von einem Gedicht erstmal zu beschreiben, und am Ende kann man vielleicht noch seine Meinung einfließen lassen. Beim Journalismus ist es im Grunde genauso. Da stört es mich, wenn ich das Gefühl habe, es fließt die ganze Zeit die Meinung des Schreibenden mit ein. Beim Spielen versuche ich es eigentlich genauso, versuche erstmal zu verstehen, was den treibt, um ihn nachvollziehbar zu machen. Aber das hat nichts damit zu tun, ob ich ihn sympathisch finde oder nicht – und es soll auch keine Wertung sein. Da käme ich in einen Konflikt.
Also ist Gerd Heidemann für dich eher ein Unsympath – oder gelingt es dir, ihn neutral zu betrachten?
Ich bin mir gar nicht so sicher, was ich vom Heidemann halte. Die Tatsache, dass er Nazi-Devotionalien gesammelt hat, da kann man ja nicht einfach drüber hinweggehen. Das erzählt schon was über eine Persönlichkeit. Das kann man nicht trennen, finde ich. Den Vorwurf muss er sich gefallen lassen: Dass gerade so jemand ein Hitler-Tagebuch entdeckt und auch nur über diesen Fetisch darauf stößt … er ist ja nur darauf gekommen, weil er in den Kreisen von Sammlern der Hitler-Devotionalien verkehrte. Das macht ihn mir jetzt nicht unbedingt sympathisch.
Es hat bei mir vielleicht etwas damit zu tun, dass ich das Gefühl gut nachspüren kann, das er gehabt haben muss, als nach Abdruck der Bücher klar wurde, dass sie gefälscht sind …
Mit dem Gefühl beginnt die Serie, und so spoilert man auch nicht zu viel, wenn man sagt, er wollte sich das Leben nehmen. Das erzählt er auch in dem Podcast. Er fährt auf der Autobahn und spielt mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen. Der Druck war extrem.
Nun ist er 89 Jahre alt und muss noch immer damit klarkommen …https://www.youtube-nocookie.com/embed/DQQIRQEfmZc?rel=0&showinfo=0
Ich habe ihn nie getroffen. Es hätte die Möglichkeit gegeben, aber ich war mir nicht so sicher, ob es gut ist. Wir haben uns dann verabredet, aber ich wurde positiv auf Corona getestet – der Test war allerdings falsch. Ich war aber zwei Tage in Quarantäne, deswegen sind wir uns nicht begegnet. Aber Tommy Wosch, einer der Produzenten, durch den ich überhaupt erst zu diesem Projekt gekommen bin, der hat einen sehr engen Kontakt zu Gerd Heidemann. Er hat mir oft von den Gesprächen mit ihm erzählt.
War das deine Vorbereitung auf die Rolle – in Kombination mit den Tonbandaufnahmen? In diesem Fall gibt es ja einfach sehr viel Material …
Man wird immer wieder nach der Vorbereitung gefragt. Ich finde, das hat so etwas Akademisches, Unkünstlerisches. Das ist, wie wenn meine Tochter eine Bio-Arbeit schreibt und ich sie frage, ob sie sich darauf vorbereitet hat. Ich bereite mich auf Filme nicht vor. Ich lerne meinen Text und beschäftige mich mit der Person.
Aber ist die Herangehensweise an eine reale Figur nicht dennoch anders als bei einer fiktiven?
Ich mache den Beruf ja schon sehr lange, habe mit zehn Jahren angefangen, Kinderfernsehen zu machen. Jetzt bin ich 45 und spiele seit 35 Jahren. Ich bin wirklich zu dem Punkt gekommen, dass es besser ist, relativ unvorbereitet in ein Projekt zu gehen. Weil man dann die nötige Offenheit hat, die einem erlaubt, mit den Kollegen zu spielen. Ich habe eher Probleme mit Schauspielern, die so übervorbereitet kommen. Die schon genau wissen, wann sie wie wohin gucken und mit welchem Gesichtsausdruck, und die gar nicht mehr mit mir spielen. Es gibt ein tolles Zitat von der Brecht-Schauspielerin Helen Weigel, die gesagt hat: „Hast du eine Idee, vergiss sie.“ Und danach handele ich. Aber Vorbereitung genug war für mich tatsächlich der Podcast mit den Mitschnitten der Telefonate.
Lenkt es dich ab, „zu viel“ über eine Figur zu wissen? Heidemann ist ja etwas anderes als der fiktive Kai Korthals im „Tatort“.
Am Ende ist es kein Unterschied, habe ich gemerkt, weil ich dann auch der falsche Schauspieler wäre. Wenn jemand den Anspruch hätte, einen zu finden, der aussieht wie Gerd Heidemann, so spricht und sich bewegt – das kann ich nicht leisten. Ich spiele Gerd Heidemann. Das ist der entscheidende Unterschied. Ich glaube auch nicht in der Konsequenz an das Ideal von Method Acting. Ich kann nicht jemand anders werden. Es ist immer als Kompliment gemeint, wenn jemand sagt: „Er spielt nicht, er ist …“ Nein, ich spiele, und das ist der Reiz meines Berufs. Ich glaube, dass es reicher wird dadurch, dass jemand einen anderen spielt, als wenn er zu demjenigen wird. Ich kann das auch gar nicht. Am Anfang sieht man sich bei einer realen Figur aber schon in einer anderen Verantwortung, das muss ich zugeben. Andererseits ist der Gerd Heidemann, den ich spiele, ja fiktional. Dennoch fände ich es schwierig, wenn jemand einen Film über mich macht und sagt, der und der spielt jetzt Lars Eidinger.
Also müsste schon Lars Eidinger Lars Eidinger spielen?
Nein, auch nicht. Das ist mir in den letzten Jahren fünfmal angeboten worden. Ich habe bestimmt an die fünf Mal ein Drehbuch bekommen mit der Anfrage, Lars Eidinger zu spielen.
Aber wer soll es dann tun?
Am besten keiner. H.P. Baxxter hat mal in einem Interview gesagt, wenn sein Leben verfilmt wird, solle ich ihn spielen. Deswegen würde ich sagen, dann soll mich doch H.P. Baxxter spielen.
Neben „Faking Hitler“ bei RTL+ warst du kürzlich mit „Nahschuss“ im Kino. Und nach dem Borowski-„Tatort/Kai Korthals“-Finale kam eben erst auch noch ein Murot-„Tatort“ mit dir. Hast du schon mal Sorge, dass die Leute eines Tages genug von Lars Eidinger haben könnten?
Solange ich noch in den Bus einsteigen kann und mir sicher bin, dass mich da keiner kennt…
Liegt das nicht eher an Berlin als an dir? Hier schert sich keiner groß um TV- oder Filmstars im öffentlichen Raum …
Nein, da machen sich die Leute echt was vor. Aber zu deiner Frage … Unter dem Gesichtspunkt sind diese sozialen Netzwerke interessant. Da geht es um Follower. Leute, die einem bewusst folgen. Wenn die sich jetzt darüber beschweren, dass ich überpräsent bin, dann denke ich immer: „Dann folg mir doch nicht.“ Ich klingel ja nicht bei den Leuten an der Tür und sage: „Da bin ich wieder!“ Wenn ich Theater spiele, da muss man schon entschieden hingehen. Interviews gebe ich nur in Zusammenhang mit Filmen, nicht einfach so, um etwas über meine Persönlichkeit zum Besten zu geben. Gewisse Medien bediene ich erst gar nicht. Ich finde also, bei mir hält sich das in Grenzen. Es wird immer Leute geben, die sagen: „Den kann ich nicht mehr sehen.“ Das geht gar nicht anders. Auf der anderen Seite: Ich liebe meinen Beruf und habe immer darauf gehofft, viel und groß zu spielen. Da tue ich mich schwer damit zu sagen: „Ich mache mich jetzt rar.“ Dafür arbeite ich einfach viel zu gerne.
Auf deinem Instagram-Account sieht man weniger dich selbst als skurrile Dinge und Situationen. Zudem gibt es inzwischen auch einen „Autistic Disco“-Fotoband von dir …
… und eine Fotoausstellung in der Hamburger Kunsthalle: „Klasse Gesellschaft“. Die startet jetzt, und man kann sie noch bis zum März sehen. Dort habe ich einen kompletten Raum für mich. Jedenfalls: Ich habe einen Freund, der sehr intelligent ist, viel recherchiert und von dem ich viel profitiere und Denkanstöße kriege. Der hat neulich gesagt, dass er gelesen habe, die Augen seien der einzige sichtbare Teil des Gehirns. Sie sind Teil des Vorderhirns. Das heißt, dass ich im Grunde gar nicht unbedingt zeige, wie ich sehe, sondern wie ich denke. Ich finde es einen interessanten Ansatz, dass diese Bilder Ausdruck meines Denkens sind.
Das sagt im Umkehrschluss sehr viel über so manch anderen Instagram-Account aus …
Stimmt. (lacht) So habe ich es noch gar nicht gesehen, dass es umgekehrt auch verräterisch ist und entlarvt, wie man denkt. Aber klar, es ist auch selektive Wahrnehmung. Gewisse Sachen sieht man, weil man sich darin wiederfindet oder sie einem entsprechen. Wenn man traurig ist, sieht man viele traurige Menschen. Wenn man gebrochen ist, sieht man plötzlich nur Kaputtes. Das sagt viel über eine Persönlichkeit aus.
Wenn ich jetzt das, was ich bei dir so sehe, Revue passieren lasse – da ist schon viel …
… Kaputtes. (lacht)
Richtig.
Das Gute ist ja, dass wir nicht darüber reden müssen. Du musst dir nur meine Fotos angucken, dann weißt du, wie es mir geht. Das ist das Tolle an Fotografie. Deswegen genieße ich es so, mich über Bilder mitzuteilen. Ich finde den Begriff der Bildsprache interessant. Ich muss es nicht erklären, ich kann es über das Bild deutlich machen, wie es mir geht.
Sieht man wiederum Fotos und Videos von dir, die dich beim Auflegen auf einer der „Autistic Disco“-Partys zeigen, gewinnt man schon einen anderen Eindruck. Sieht immer nach Spaß aus. Wie optimistisch bist du, dass die nächste „Autistic Disco“ in Berlin am 17. Dezember stattfinden kann?
Och Mann. Ich habe gerade gestern gehört, es sind schon 750 Tickets verkauft. Es wäre so schade, wenn es nicht stattfindet. Aber wir sind nicht sehr optimistisch. 2G plus … was weiß ich. Meine Tochter sitzt jeden Tag mit einer Maske in der Schulklasse. Wie sollen 750 Leute zusammen im Saal ohne Maske tanzen und schwitzen? Es ist schon niederschmetternd, wenn man immer denkt, es geht wieder besser und dann …
… ist es plötzlich schlimmer denn je …
Wir alle hoffen darauf, dass es aufhört, dass es besser wird. Wir alle hoffen, dass wir wieder zurück zur Normalität finden. Wir alle müssen aber verstehen, dass das, woraus diese Pandemie entstanden ist, alles andere als normal war. Das, was wir jetzt erleben, ist die Konsequenz unseres Handels, und wenn wir es beenden wollen, müssen wir unser Handeln ändern und uns komplett infrage stellen. Nicht nur in Ansätzen und im Kleinen, sondern wir müssen es radikal ändern. Und die Frage ist, ob wir dazu bereit sind. Ich habe manchmal so das Gefühl: „Warum merkt eigentlich keiner, dass das das Ende der Welt ist?“ Apokalyptischer kann ich mir Szenerien kaum vorstellen als die, die ich jetzt tagtäglich sehe. Ich habe gestern – apropos „Autistic Disco“-Fotoband – mit meinem Fotolabor in Berlin telefoniert, weil es um Prints ging. Die haben mir gesagt, sie haben kein Papier mehr.
Neulich gab es eine ganze Weile aus demselben Grund keine Papiertüten mehr im Supermarkt … Bereitet dir der Blick in die Zukunft, wenn du schon jetzt von Apokalypse sprichst, gerade auch als Vater Sorgen?
Ich werde eher fatalistisch, weil ich bei mir selbst anfange und mich frage: „Bin ich überhaupt bereit zu einer radikalen Veränderung?“ Will man gewisse Privilegien überhaupt aufgeben? Ohne das geht es nicht. Da muss dann schon ein Kind kommen: „Das Haus brennt. Wir sollten in Panik geraten.“ Und wir hören trotzdem nicht hin und ändern nichts. Auf jeder Klimakonferenz heißt es weiterhin nur „Blablabla“. Klar, das finde ich schon beängstigend oder auch … niederschmetternd. Dass man einfach merkt, der Mensch ist unverbesserlich. Die Sehnsucht, dass es anders ist, habe ich schon. Die Sehnsucht, dass Generationen nachkommen, die ein anderes Bewusstsein entwickeln.