Seit 45 Jahren sind Lazy Giants im Geschäft, wenn auch unter anderem Namen. Warum sich eine Band plötzlich für eine so gravierende Veränderung entscheidet und wie es ist, den musikalischen Underground nie verlassen zu haben, erzählen Craig Gray und Paul Hood im Interview mit ntv.de.
Im Jahr 1979 gründete sich in San Francisco eine Punkband namens Toiling Midgets. Lediglich fünf Alben entstanden in all den Jahren, und dennoch gibt es die Band um die zwei Gründungsmitglieder Craig Gray und Paul Hood bis heute. Allerdings hat sich zuletzt einiges verändert. Nicht nur gibt es mit Daniel Cherny und Daniel Benyamin zwei Neuzugänge, auch firmiert das Quartett seit diesem Jahr unter dem Namen Lazy Giants. Mit ihm und dem neuen Album „Toiling Days Are Over“ im Gepäck, geht es jetzt außerdem auf Tour.
Warum eine Band nach über vier Jahrzehnten eine so gravierende Veränderung vornimmt und wie es ist, trotz bester Kritiken und Gigs mit Bands wie den Ramones nie über den Underground-Status hinausgekommen zu sein, erzählen Gray und Hood ntv.de im Interview.
ntv.de: Die erste Frage muss natürlich lauten, warum ihr euch für das neue Album auch einen neuen Namen gegeben habt – nach all der Zeit als Toiling Midgets (zu Deutsch: Fleißige Zwerge im Sinne von Kleinwüchsige).
Craig Gray: Es ist erst in den letzten paar Jahren passiert, dass die Leute auf den Namen negativ reagiert haben. Als wir letztes Jahr versucht haben, eine Tour in den USA zu buchen, konnten wir deswegen keinen Gig in Portland bekommen. Weil das M-Wort als beleidigend für kleinwüchsige Menschen verstanden wird, selbst wenn unser Bandname sogar von einem solchen Kleinwüchsigen erfunden wurde. In den 1980ern war das alles noch anders. Aber wir machen Fortschritte, die Dinge ändern sich. Und nun schien uns der beste Zeitpunkt zu sein, den Namen zu ändern, weil die Veröffentlichung des Albums bei Clouds Hill bevorstand. Wir sind eben nicht mehr nur die Jungs, die im Nordwesten der Stadt ein bisschen Lärm machen.
Bei euren älteren Fans hat das aber vermutlich dennoch für Verwirrung gesorgt, oder?
Gray: Klar, sie haben gefragt, warum wir das tun. Viele von ihnen haben ein Problem mit Veränderung und auch mit Cancel Culture. Aber nur, weil man Dinge in der Jugend nicht als anstößig empfunden hat, heißt das ja nicht, dass sie es heute nicht sind. Und durch die Umbenennung zu Lazy Giants ist es doch offensichtlich, der neue Name ist mit dem vorherigen quasi artverwandt.
Und es ist nicht mal die einzige einschneidende Veränderung. Auch die Besetzung ist zu 50 Prozent neu …
Gray: Ja, es ist eine Art Neuanfang. Es geht zum einen um mich und Paul, was seit 40 Jahren eine Konstante ist, aber jetzt wird das Ganze in einen neuen Rahmen mit jüngeren Leuten gestellt, die viel mehr Energie haben. Und wir nutzen neue Technologien. Daniel Cherny ist zum Beispiel jemand, der elektronische Musik mit einbringt. Wir wollen wieder etwas Neues erforschen können. Es ist eine Mischung aus dem altbekannten Weg von Paul und mir mit den Gitarren, und einem neuen Weg mit neuen Elementen und neuer Energie.
Ihr kennt euch in der aktuellen Konstellation seit 2019. Wie schnell entstand nach dem ersten Kennenlernen die Idee, gemeinsame Sache zu machen, ein Album aufzunehmen und auf Tour zu gehen?
Gray: Es war eigentlich eine leichte Entscheidung, denn ich habe es immer als einen Schritt nach vorne gesehen. Wir haben einen Schlagzeuger gesucht, so kam Daniel Benyamin dazu. Vor Daniel Cherny hat ein Freund aus San Francisco Bass für uns gespielt, er ist auch der Sänger auf unserer neuen Single. Und wenn wir die Möglichkeit haben, irgendwo live zu spielen, dann tun wir das.
Die Crux an der Sache ist aber doch, dass du in Kanada, Paul in Seattle und die beiden Daniels in Berlin leben. Wie kriegt man das als Band unter einen Hut? Man muss doch auch mal proben?!
Gray: Ich war schon mal im Juli hier in Berlin, da haben wir bereits geprobt.
Paul Hood: Und es ist schon unsere zweite Tournee in der Konstellation.
Gray: Genau, aber die erste unter dem Namen Lazy Giants. Daniel Cherny hat ein paar Mal mit Daniel Benyamin geprobt, wenn er verfügbar war, denn er hat noch seine Sokokarriere. Und wir haben unsere Proben aufgenommen und sie ihm geschickt. Aber wenn wir nun hier sind, machen wir natürlich praktisch nichts anderes als zu proben.
Läuft das bei der Produktion eines Albums dann ähnlich? Also werden da hauptsächlich Spuren um die Welt geschickt?
Gray: Genau. Ich habe ein Studio in meiner Garage in Kanada, in dem ich Aufnahmen mache, die ich dann verschicke. Die Tracks müssen später zusammengesetzt und abgemischt werden. Das war ein langer Prozess. Allein damit habe ich fast zwei Jahre verbracht. Fertig ist es aber schon seit einem Jahr. Es ist eine Art Prozess, bis alles seinen Gang geht. Wir haben auch erst diesen Sommer bei Clouds Hill unterschrieben.
Ihr spielt eure Tour in sehr kleinen Locations, CD und Vinyl gibt es bis zum Ende der Tour nur vor Ort … ich gehe jetzt mal nicht davon aus, dass ihr von der Musik reich geworden seid. Was ist es, das euch zu all den Strapazen weiter motiviert?
Gray: Ich kann nicht nicht spielen. Es ist mein Leben, ich muss das tun, um zu überleben. Die Dinge am Laufen halten durchs Schreiben und Spielen und versuchen, das immer wieder neu zu machen. Unsere Horizonte so weit es geht zu erweitern. Wir halten uns an unserer alten Musik fest und versuchen, immer wieder neue Musik zu machen. Solange wir können.
Hood: Ich komme aus einer musikalischen Familie. Mein Vater war Jazzer und meine Schwester ist eine professionelle Bratschistin, sie arbeitet mit einem Haufen bekannter Leute zusammen … Ich spiele eigentlich immer. Selbst als die andere Band zwischendurch mal nicht mehr existierte, haben wir immer noch aufgenommen und gespielt. Wir haben immer darüber nachgedacht, was wir als Nächstes tun können.
Gray: Ich habe tatsächlich noch nie von der Musik leben können. Wir hatten immer tolle Kritiken, aber die haben sich nie in Verkaufs- oder Zuschauerzahlen niedergeschlagen.
Hood: Vielleicht auch, weil wir immer eine Band waren, die eher dem Schlagzeuger als dem Publikum zugewandt stand. Wir waren schon immer sehr darauf konzentriert, was wir gespielt haben. Oft war es instrumentale Musik, es gab keinen Sänger, den man in den Fokus rücken konnte. Ich denke, dass die Leute, die die Musik mögen, sie auch verstehen, und die Leute, die eine Show wollen, eher nicht. Wir haben Visuals und Videos, sodass jeder Zuschauer seine eigene Vision zu unserer Musik haben kann.
Und damit seid ihr fein, oder gab es auch schon mal Phasen, in denen ihr euch mehr erhofft hattet?
Gray: Klar, als ich jünger war, wollte ich auch mehr und eine Milliarde Dollar oder was auch immer damit erreichen. Aber im Grunde war das nie mein Ziel. Mein Ziel war es, in einer Band zu spielen, als ich ein Punkrock-Kid war. Ich habe 1977 angefangen und hätte gerne meinen Lebensunterhalt mit Musik verdient. Aber ich weiß eben auch, dass die Musik, die ich spiele, nicht sehr kommerziell ist. Und wir waren tatsächlich wohl immer zu introvertiert auf der Bühne.
Immerhin singst du auf dem neuen Album erstmals bei einem Song …
Gray: Ich habe versucht, zu singen, viel zu Hause geübt, damit ich live singen kann. Aber ich kann nicht gleichzeitig Gitarre spielen und singen, weil ich das nie gelernt habe. Und dann brauchte dieser eine Song noch einen Text, sollte aber schon in der nächsten Woche fertig sein. Also habe ich die Vocals selbst aufgenommen und erschaudere jedes Mal, wenn ich das nun höre. Live wird das Stück Daniel Cherny performen. Dann klingt es fantastisch, weil er tatsächlich singt und nicht nur stöhnt.
Ihr seid inzwischen auch bei Instagram, die Follower-Zahl ist allerdings noch überschaubar.
Gray: Das läuft auch erst, seit wir Daniel Cherny haben, der ist da wirklich gut drin. Ich hoffe mal, dass es durch die Tour mehr wird.