„Lieber Thomas“: Radikaler Provokateur im geteilten Land

„Lieber Thomas“: Radikaler Provokateur im geteilten Land

Der 2001 verstorbene Thomas Brasch gilt bis heute als einer der wichtigsten und radikalsten Poeten der deutsch-deutschen Literaturgeschichte. Andreas Kleinert setzt dem Schriftsteller und Drehbuchautoren mit „Lieber Thomas“ nun ein Denkmal in Schwarz-Weiß, das berührt.

Fast auf den Tag genau 20 Jahre ist es her, dass Thomas Brasch das Zeitliche segnete. Dass ihm sein Herz den Dienst versagte, geschwächt durch jahrzehntelangen Raubbau am eigenen Körper, in dem einer der hellsten Geister deutsch-deutscher Literaturgeschichte steckte. Mit „Lieber Thomas“ setzt Regisseur Andreas Kleinert dem Lyriker ein schwarz-weißes Denkmal, das der Vielfalt und der Radikalität seines Lebenswerkes gerecht wird.

In die Rolle des verkopften und wahnhaften Schriftstellers, Drehbuchautoren und Poeten schlüpfte Albrecht Schuch, der zuletzt in „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ und „Schachnovelle“ der Literatur und ihren Figuren bereits ein Gesicht gab. Auch Brasch spielt er mit großer Überzeugungskraft und vollem Körpereinsatz. Den Part seiner langjährigen Freundin Katharina (Thalbach), die er kennenlernte, als sie 15 Jahre alt war, übernahm Jella Haase.

Lyrischer Rebell

Thomas Brasch wird 1945 als ältester Sohn jüdischer Eltern in England geboren, ehe die Familie nach Berlin übersiedelt. Er wächst im Osten der Stadt auf und macht seinem Vater (dargestellt von Jörg Schüttauf) früh das Leben schwer. Während der alte Herr in der Politik mitmischt und dabei hilft, die DDR aufzubauen, ist sein rebellischer Sohn gegen alles, wofür der Vater steht. Die Mutter (Anja Schneider) ist sich der Tristesse ihres Lebens im Berliner Plattenbau bewusst und hat zwar Verständnis für den Freiheitsdrang ihres Jungen, ertränkt ihre eigenen Zweifel aber lieber im Alkohol.

Brasch findet sich im Gegensatz zu ihr mit nichts ab und es bleibt nicht bei der Kraft seiner wohlgewählten Worte. Er eckt an, wo es nur geht, und das sehenden Auges. Sein allererstes Theaterstück wird verboten, er fliegt von der Filmhochschule und muss in Haft, als er mit Freunden zum Widerstand aufruft. An die Stasi verraten wird er von seinem eigenen Vater, der dann aber immerhin auch dafür sorgt, dass er auf Bewährung wieder entlassen wird. Das Verhältnis der beiden rettet das jedoch nicht mehr.

DSCF2847_A4.jpg
Thomas und Katharina machen rüber.(Foto: Zeitsprung Pictures / Wild Bunch Germany (Foto: Peter Hartwig))

So sehr sich Brasch auch ins Zeug legt, in der DDR kann er als Schriftsteller nicht Fuß fassen. Nur ein einziger Gedichtband erscheint dort 1975 unter dem Titel „Poesiealbum 89“. Schon im Jahr darauf verlässt er mit Katharina die DDR und zieht nach West-Berlin. So richtig glücklich wird er aber auch hier nicht. Stattdessen wendet er sich weiter dem Alkohol zu. Eine Sucht, die er nun noch durch den Konsum von Kokain ergänzt. Als Brasch schließlich im Alter von nur 56 Jahren stirbt, ist Katharina trotz allem noch immer an seiner Seite.

Zwischen Realität und Fiktion

„Lieber Thomas“ erzählt in verschiedenen Episoden die Station seines Lebens und verknüpft sie mit experimentellen Traumsequenzen, die den kreativen wie zerrissenen Geist Braschs widerspiegeln und sich zudem auf einige seiner Werke beziehen. Auch wird immer wieder aus seinen Gedichten zitiert. Nicht immer erkennt der Zuschauer auf Anhieb, wo Realität, Fiktion und Fantasie wechseln, die Übergange sind fließend.

Schuch spielt Brasch als den Besessenen, der er war. Als einen, der Tage und Nächte wach blieb, um seine Ergüsse auf alles zu kritzeln, das ihm zur Verfügung stand. Er wollte alles vom Leben, der Liebe und der Literatur, bekam aber nur einen Bruchteil und war bis zum Ende seiner Tage davon getrieben. „Lieber Thomas“ ist nicht nur für absolute Kenner des Brasch’schen Gesamtwerks ein Filmgenuss. Wer grundsätzlich Spaß an außergewöhnlichen Erzählungen und Erzählweisen hat und sich auch von einer Spielzeit von 160 Minuten nicht abschrecken lässt, sollte den Gang ins Kino unbedingt wagen.

Previous post Tori Amos: „Gewalt gegen Frauen hört nicht einfach auf“
Next post „Faking Hitler“: Von Nazis, Narzissten und gefallenen Helden