Meltem Kaptan als Rabiye Kurnaz: „Es war wie ein Fiebertraum“

Meltem Kaptan als Rabiye Kurnaz: „Es war wie ein Fiebertraum“

Bisher kennt man Meltem Kaptan als Moderatorin, doch schon ihre erste große Kinorolle deutet an, dass hier noch einiges zu erwarten ist. In „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ spielt sie die Mutter von Murat Kurnaz. Mit ntv.de spricht sie über diese Herausforderung.

Bisher kannte man Meltem Kaptan vor allem als Moderatorin von „Das große Backen“ auf Sat.1 und als Comedienne unter anderem aus der ARD-Show „Ladies Night“. Doch schon ihre erste große Kinorolle deutet an, dass hier noch einiges zu erwarten ist. In „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ von Regisseur Andreas Dresen spielt die 41-Jährige die Mutter von Murat Kurnaz, dessen Aufenthalt in Guantánamo von 2002 bis 2006 Schlagzeilen machte.

Nicht nur erhielt Meltem Kaptan für die Darstellung der tragischen wie auch humorvollen Figur bei der Berlinale in diesem Jahr den Silbernen Bären. Auch überschlagen sich die Filmkritiker vor Begeisterung. Wie sich der Hype für Meltem Kaptan selbst anfühlt und warum die Autofahrten im Film für sie die eigentliche Herausforderung darstellten, verrät sie ntv.de im Interview.

ntv.de: Hallo Meltem, die Verleihung des Silbernen Bären bei der Berlinale ist zwar schon eine Weile her, aber der Moment dürfte dir nach wie vor sehr präsent sein. Wie hat es sich angefühlt, gleich für die erste Filmrolle derartig abgefeiert zu werden?

Meltem Kaptan: Ganz ehrlich, ich habe vorher öfter gehört: „Du wirst es, du wirst es“ und dachte nur: „Lass dich da bloß nicht kirre machen.“ (lacht) Für mich war das Größte die Weltpremiere, bei der wir den Film zum ersten Mal einem Publikum gezeigt haben. Ich war sowieso schon so beflügelt und beseelt. Und dann kam das bei dem internationalen Berlinale-Publikum auch noch so gut an. Auch Rabiye Kurnaz war dabei und sagte anschließend, dass sie dachte, sie hätte das selbst gespielt. Ihre Kinder waren da und haben geweint. Das war für mich das größte Kompliment. Als dann noch der Silberne Bär kam, war das wie ein Fiebertraum. Ich brauchte echt Zeit, bis ich das verdaut hatte. (lacht)

Rabiye Kurnaz hat dich also praktisch mit sich selbst verwechselt. Wie bist du an die Rolle herangegangen? Eine noch real existierende Figur zu spielen, die sich das Ganze anschließend auch noch in deiner Anwesenheit ansieht, ist ja sicher nicht einfach.

Bei mir passiert das oft über die Sprache, die Stimme vor allen Dingen. Ich hatte kleine Ausschnitte von ihr, die habe ich mir zunächst in Dauerschleife angehört. Bis ich dann diesen typischen Rabiye-Singsang raushatte. Ihre Art zu sprechen, ihren Duktus, ihr Timing, ihr Tempo. Den Dialekt, den sie spricht, gibt es eigentlich gar nicht. Den zu entschlüsseln, war schon tricky. Dann bin ich zur Körpersprache übergegangen. Erst danach habe ich sie kennengelernt.

Hast du deine Performance an ihr getestet?

Gar nicht. Ich dachte, das könnte sie als befremdlich empfinden. In dem Kontext fühlt sich der andere vielleicht eher veräppelt oder so. Ich habe sie beobachtet. Wie sitzt sie, was macht sie? Wenn wir telefoniert haben, habe ich die Augen geschlossen und die Stimme nochmal in mich aufgenommen. Vieles ging vor allem über ihr schallendes Lachen. Das werde ich wohl nie vergessen. (lacht)

Hat dir von den Machern des Films jemand verraten, wie sie für diese Rolle auf dich gekommen sind?

Man hat mir das Skript geschickt. Und klar, ich kannte die Filme von Andreas Dresen, ich wusste, die haben Substanz. Ich habe das Buch in einem Rutsch verschlungen. Da war dann direkt so ein Bauchgefühl, dass ich das spielen muss. Karen Wendland vom Casting sagte, sie habe mich in verschiedenen Bereichen meiner Arbeit gesehen und hatte auch so ein Gefühl im Bauch. Warum auch immer. Das war lustigerweise genau in der Woche, in der ich zu meinem Mann meinte, ich würde gerne mal wieder was Ernstes machen. Schauspielern, wenn eine ernste Rolle kommt. Es war, als hätte ich mir das vom Universum gewünscht. (lacht)

Und obwohl die Geschichte voller Tragik ist, gibt Rabiyes Humor ihr eine gewisse Leichtigkeit. An einigen Stellen wurde im Kino laut gelacht.

Ich hätte so eine Lust gehabt, Rabiye todernst anzulegen. Allein, weil man sonst schnell denkt, ich als Comedienne hätte der Rolle das Komödiantische gegeben. Aber nein, so war es nicht. Wir wollten so nah wie möglich am Original bleiben. Wir wollten sie in ihrer Essenz packen und alles aus ihrer Sichtweise erzählen. Und die Frau hat diesen Humor nun mal. Sie kann einen zum Lachen bringen, aber auch berühren. Das musste abgebildet werden. Es ist nicht pietätlos gedacht. Wir haben nicht zwanghaft versucht, daraus eine Comedy zu machen.

War es am Ende ihr Humor, der Rabiye Kurnaz die Kraft für den schwierigen Kampf um ihren Sohn gegeben hat?

Ja, er ist ihr Überlebensmotor, und das ist das, was mich mit ihr verbindet. Diese Frau schafft die schweren Zeiten nur, indem sie sich selbst wieder leichte Momente schafft. Und ich finde, das tut auch dem Film gut. Würde man das Ganze aus der Sicht von Murat Kurnaz erzählen und mit dem zentralen Thema Folter … Ich glaube nicht, dass viele den Film gucken könnten. Ich denke, es ist die Chance zum Durchatmen, die das möglich macht. Das ist gut, weil so noch viel mehr Menschen das sehen können.

Man merkt gerade auch in Zeiten von Corona und Ukraine-Krieg, wie wichtig es ist, sich auch mal abzulenken und den Humor bei all dem nicht zu verlieren. Das ist von unserer Position aus aber auch leicht gesagt …

Es gibt Leute, die fragen, ob sich Comedians nicht schämen, in solchen Zeiten witzig sein zu wollen. Ich denke aber, wir müssen es sogar. Jeder hat eine andere Strategie. Manche gehen raus in die Natur. Der eine lässt sich mit was berieseln, der andere liest Bücher. Es gibt aber auch Menschen, die gerne über leichte Themen reden und lachen, die Comedy konsumieren oder ins Kabarett gehen und auf diese Weise vergessen. Es geht darum, dass du in deine Kraft kommst. Wenn du ein Schicksal wie das von Rabiye erlebst, wirst du davon entweder übermannt und liegst brach, oder du hast etwas, das dich antreibt. Für mich war immer spannend, was Rabiye antreibt, und das sind eben ihr Humor und ihre positive Lebenseinstellung. Die Liebe zum Menschen, sie verspürt keinen Hass.

Das hat womöglich auch Murat Kurnaz nach seiner Befreiung in gewisser Weise noch einmal das Leben gerettet …

Ja, wie spannend ist das? Murat Kurnaz hat natürlich Narben, aber er lacht. Seine Mutter musste ihn zurückholen ins Leben und wieder integrieren. Das Ding ist, dass sie in dieser Familie alle Menschenfreunde sind und keinerlei Verbitterung gegenüber anderen empfinden. Trotz allem, was ihnen angetan wurde, bei all der Enttäuschung und dem, was sie erlebt haben. Das finde ich bewundernswert.

Der Film schafft eine Brücke zwischen Tragik und Humor. Wie schwierig war es, hier die Balance zu finden?

Es kommt immer auf die Dosis des Humors an, damit es kein Slapstick wird oder pietätlos wirkt. So, dass er nur den Charakter unterstützt und die Figur so sympathisch macht, dass du sogar ihren Schmerz heftiger empfindest. Wenn du jemanden sympathisch findest und er etwas ganz Reines hat, was auch bei Rabiye manchmal einfach so aus ihr heraussprudelt, dann leidest du umso mehr mit dieser Person. Dann kommen dir das Drama und die Ungerechtigkeit noch schlimmer vor. Deshalb glaube ich, dass die leichten und lustigen Momente dazu führen, dass man bei den traurigen Szenen stärker empfindet.

Du hast erzählt, dass du vor den Dreharbeiten 15 Jahre lang nicht selbst Auto gefahren bist. Rabiye aber bewegt sich viel und sehr schnell mit ihrem Cabrio durch die Stadt. Fährst du jetzt auch privat wieder mehr?

Hin und wieder. (lacht) Ich bin ein Großstadtkind, ich nehme das Fahrrad oder laufe. Fahr mal in Köln Auto: tausend Einbahnstraßen, Rollerblades, Skater, alles fährt dir entgegen. In Köln sind die Wege allerdings auch kurz.

Waren diese Szenen am Steuer am Ende die größte Herausforderung für dich?

Ohne Witz, ich habe das Drehbuch gelesen und gefragt, ob ich diese Autofahrszenen jetzt wirklich alle selbst machen soll. Dann dachte ich nur: Das wird teuer. Es blieb auch keine Zeit, vorher Fahrstunden zu nehmen. Nach 15 Jahren habe ich also wieder am Steuer gesessen und musste auf der Bremer Autobahn direkt 200 fahren. Um Gottes willen! Mit 100 Sachen durch so eine schmale Garagendurchfahrt rein, rum und parken. Danach sagte Rabiye Kurnaz zu mir: „Wundervoll, wie Sie fahren. Ganz schnell, genau wie ich. Sie müssen mir versprechen, dass Sie danach genauso weiterfahren, okay?“ (lacht)

Auch optisch ist für die Dreharbeiten bei dir einiges passiert. Unter anderem wurdest du zur Blondine …

Da hat auch mein Mann schlucken müssen. (lacht) Mir war nicht klar, dass das alles so lange dauern würde, dadurch dass wir auch noch in der Türkei und in den USA gedreht haben. Ich lief fast ein ganzes Jahr oder sogar länger als Blondine herum. Darüber könnte ich ein Buch schreiben …

Bist du anders wahrgenommen worden?

Absolut. Ich habe einige Dinge nicht drehen können, weil ich nicht mehr türkisch genug aussah. Woanders hatte man mich als Blondine abgefilmt, da hieß es, ich müsse jetzt so bleiben. Ich habe auch teilweise sexistische Sprüche zu hören bekommen: „XXL-Marilyn, du musst nur mehr Dekolleté zeigen“. Ich bin aber trotzdem freiwillig noch länger blond geblieben und habe noch andere Farben wie Pink und Rosa ausprobiert. (lacht)

Die Dreharbeiten liegen schon eine Weile zurück, und du bist wieder brünett. Liegen spätestens seit dem Silbernen Bären bereits neue Drehbücher auf deinem Schreibtisch?

Tatsächlich gibt es schon Anfragen, aber was macht man jetzt als Nächstes? Ich denke, ich tue das, was mein Bauch sagt. Wenn es kribbelt und ich Lust habe, etwas zu spielen, dann mache ich das einfach. Das ist die einzige Wahrheit, wenn du authentisch bleiben willst.

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