Moby: „Mein Spirit Animal ist ein Käfer“

Moby: „Mein Spirit Animal ist ein Käfer“

Von „Go“ bis „Extreme Ways“ – Moby kann so manchen Hit vorweisen. Einige davon hat er für das Album „Reprise“ mit einem Symphonieorchester neu aufgenommen. Mit ntv.de hat der Musiker und Tierschutzaktivist über dieses sowie ein weiteres neues Projekt, aber auch über seine Tour-Müdigkeit gesprochen.

In den 1990er-Jahren hat Richard Melville Hall alias Moby die Rave-Kultur stark geprägt. Mit Tracks wie „Go“ und „Bodyrock“ schrieb er Clubgeschichte und auch Songs wie „Porcelain“, „Why Does My Heart Feel So Bad“ und „Extreme Ways“ hallen bis heute nach.

Vor dieser internationalen Karriere spielte der heute 55-jährige Langzeit-Veganer und engagierte Tierschützer in einer Punkband, sein musikalischer Horizont war eben von jeher offen. Und so war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich der New Yorker auch im klassischen Bereich verdingt machen würde.

Nun erscheint mit „Reprise“ ein Album, für das er seine größten Hits gemeinsam mit einem Symphonieorchester neu arrangiert und eingespielt hat. Zudem gibt es auch noch einen sehr ehrlichen Dokumentarfilm über sein Leben und Schaffen. ntv.de hat der in Los Angeles sehr zurückgezogen lebende Künstler erzählt, warum er das Touren leid ist und was ihm heute mehr Freude bereitet als früher Alkohol und Drogen.

Wie fühlt sich das Leben in Los Angeles in dieser Zeit gerade für dich an?

Moby: Ehrlich gesagt fühle ich mich ein bisschen schuldig, denn für mich ist eigentlich gerade alles in Ordnung. Ich mag schon lange keine Partys und Nachtclubs mehr. Ich lebe gegenüber vom Griffith Park und gehe dort jeden Tag wandern. Es tut mir leid, aber mein Leben war vor der Pandemie exakt so wie während der Pandemie. Ich bleibe zu Hause, ich arbeite. Vielleicht sehe ich dann und wann draußen einen Freund, mit dem ich im Garten esse.

Es gibt also nichts, das du vermisst? Zum Beispiel das Touren, das die meisten anderen Künstler an dieser Stelle nennen würden.

Also wenn ich ganz ehrlich bin: Ich hasse das Touren. Ich habe das so lange gemacht, so viele Jahrzehnte. Ich liebe es, Musik zu machen, aber ich bin so viel glücklicher damit, in meinem Garten Akustikgitarre zu spielen, als bei einem Festival auf einer Bühne zu stehen. Eines meiner größten Ziele im Leben ist es, nie wieder auf Tour gehen zu müssen. Wenn es einen Weg gebe, das zu vermeiden, wäre ich sehr glücklich. Ich mag es wirklich gar nicht.

Eine Pandemie wäre wohl eine Möglichkeit, kann aber irgendwie auch nicht die Lösung sein. Für „Reprise“ hast du mit einem Symphonieorchester gearbeitet. Eine Tournee käme hier vermutlich sowieso nicht infrage.

Wenn ich die Chance bekäme, würde ich das sicher machen. Aber wenn ich zu Hause bleiben kann, ist das schon besser.

Und obwohl du so viel Zeit mit dir allein bist, findest du dennoch genug Inspiration für neue Musik?

Meine größte Inspiration ist und bleibt die Liebe zum Musik- und Filmemachen und dem Schreiben von Büchern. Ich liebe den Akt, Dinge zu erschaffen, aber nicht, sie zu veröffentlichen. Wenn ich eine Platte mache und sie hinaus in die Welt geht, dann ist es nicht mehr länger meine Platte. Natürlich habe ich sie gemacht, und die Leute hören sie, aber das ist dann nicht mehr meine Sache. Für mich ist der Spaß daran, zu Hause zu sein und zu arbeiten, an sieben Tagen in der Woche. Einen Tag mal nicht zu arbeiten, um irgendetwas anderes zu tun, ergibt für mich keinen Sinn.

Wie kam es zu der Idee, deine bekannten Tracks neu aufzunehmen? War das ein lang gehegter Traum oder eine Corona-Geburt?

Ich habe an dieser Idee schon vor vier oder fünf Jahren gearbeitet. Zum einen wollte ich eine Platte auf eine Weise aufnehmen, wie ich es noch nie vorher getan hatte. Normalerweise bin das ja immer nur ich allein im Studio mit meinem Equipment. Meine Art zu arbeiten ist sehr isoliert. Und hierfür musste ich mit Menschen arbeiten. Und dann sollte es etwas ohne Elektronik sein, abgesehen von einem oder zwei Synthesizern.

Wie genau ist das abgelaufen?

Dieses Album wurde live von Musikern eingespielt. Es ist faszinierend, mit echten Menschen anstatt mit Equipment zu arbeiten. Ich fühlte mich ein bisschen wie ein Roboter, der an die Menschheit gewöhnt wird. Sänger, Percussionisten, Streichquartette … eine sehr soziale Art, eine Platte zu machen. Und die andere Sache war, dass ich etwas Schönes machen wollte. Ich mochte klassische und akustische Musik schon immer. Es gibt die lauten und die ganz leisen Parts, es gibt die bombastischen Momente und die ganz zarten. Und das wollte ich mit Songs machen, die die emotionale Qualität dafür besitzen, und die in meine Augen die passende Schönheit und Verletzlichkeit für so etwas besitzen.

Ist das alles dann auch schon vor Corona entstanden?

Ja, glücklicherweise konnten wir das Orchester ganz kurz davor aufnehmen. Das ist im Februar 2020 in Los Angeles und in Ungarn passiert. Ungarn müsste Anfang März gewesen sein, also wirklich ganz knapp davor. Und der Gesang … Nun, mein Studio befindet sich in einer Garage, und so habe ich das Mikrofon angeschlossen und die Garage selbst verlassen. Aber einige der Sänger und Sängerinnen habe ich auch nie persönlich getroffen, weil sie die Sachen in ihrem eigenen Studio eingesungen haben.

Ist das denn nicht auch ein bisschen traurig, selbst wenn man die Isolation so mag wie du?

Wenn ich ehrlich bin: Für mich ist es wichtiger, dass sie emotional und toll singen, als dass ich ihnen die Hand schütteln kann.

Was ja ohnehin niemand mehr macht – das ist sicherlich auch nach der Pandemie kein Thema mehr.

Naja, höchstens beim Spring Break in Florida.

Schütteln sie da nicht andere Dinge?

Allerdings. (lacht) Das mag jetzt komisch klingen, aber ich mag die Arbeit mancher Menschen lieber, als die Menschen selbst. Ich lese lieber ein Buch, als mit dem Autor zu sprechen. Ich schaue lieber einen Film, als mit dem Regisseur befreundet zu sein.

„Reprise“ war aber gar nicht das erste Mal, dass du etwas im Bereich Klassik gemacht hast, stimmt’s?

Ich habe hier in Los Angeles mal mit den Los Angeles Philharmonica eine Show gespielt. Das war schon faszinierend, denn da waren 150 Leute auf einer Bühne. Musiker, Gospelsänger und so weiter. Das Witzige daran war, dass mein Name zwar auf den Tickets stand, ich gefühlt aber eigentlich nur der Gast war. Ich war definitiv die untalentierteste Person auf der Bühne. Ich bin schon ein guter Musiker, aber mit denen kann ich mich nicht messen.

Wie kam es zu dem Deal mit dem Label Deutsche Grammophon?

Nach der Show kam jemand vom Label hinter die Bühne und fragte mich, ob ich daran interessiert wäre, ein Orchester-Album aufzunehmen. Und klar war ich das. Ich hätte nie gedacht, dass das jemals eine Option sein würde. Als ich früher im Plattenladen gearbeitet habe und eine Platte mit dem Logo der Deutschen Grammophon in der Hand hatte, fühlte sich das immer besonders an. Leute, die mal in kleinen Punkrock-Bands gespielt haben, nehmen normalerweise keine Orchester-Alben auf.

Gibt es dennoch etwas, das du auf deiner Karriere-To-Do-Liste hast und gern umsetzen würdest? Deutscher Schlager, Country …

(lacht) Mein Ziel ist, niemals zu denken, dass ich eine Karriere habe. Das klingt dann immer gleich so nach Job. Und Musik ist für mich alles andere als ein Job.

Dann nennen wir es die Lebens-To-Do-Liste … musikalische Ziele?

Jeden Tag aufzuwachen und Musik zu machen, die toll oder schön ist. Ich habe vor vielen Jahren mal mit einem Sufisten gesprochen (Anhänger einer spirituellen Strömung des Islam – Anm.d.A.), und wir redeten über Gott. Und derjenige sagte etwas so Wundervolles. Wir werden Gott in menschlicher Form nie kennenlernen, aber unser Ziel ist, es immer weiter zu versuchen. Und das ist es, was ich auch als Musiker versuche. Ich mache vielleicht mal nichts Wundervolles, aber ich muss es versuchen. Auf meinem Totenbett werde ich vielleicht realisieren, dass ich mein ganzes Leben lang Musik gemacht, aber nie etwas wirklich Wundervolles erschaffen habe. Dann bereue ich nichts, denn ich habe es zumindest Tag für Tag versucht. Kennst du das Konzept von Spirit Animals?

Das ist ein Tier, mit dem man sich identifizieren kann …

Genau. Und wenn sich Menschen ein Tier aussuchen, das ihren Geist widerspiegeln soll, ist es oft ein Adler, ein Elefant oder etwas in der Art. Ich lebe in Kalifornien und hier führt man häufiger solche Unterhaltungen. (lacht) Dabei ist mir irgendwann klar geworden, dass mein Spirit Animal im Griffith Park lebt. Es sind so seltsame schwarze Käfer. Sie sind klein und auch nicht besonders schön, man weiß nicht so genau, was sie eigentlich tun, aber damit machen sie einfach immer weiter.

Zum Album wird es auch noch eine sehr ehrliche Dokumentation mit dem Titel „Moby Doc“ geben. Unter anderem erzählt du darin, dass du die Beerdigung deiner Mutter verschlafen hast, weil du zu dicht warst. Wie leicht ist es dir gefallen, so offen zu sein?

Ich bin dankbar dafür, wenn andere Leute bereit sind, ehrlich und offen zu sein über ihren persönlichen Zustand. Als ich vor sehr langer Zeit noch zu Meetings der Anonymen Alkoholiker gegangen bin, hat es mich so beeindruckt, dass die Leute bereit waren, sich so verletzlich und offen zu zeigen. Mit Kunst ist es dasselbe. Das sollte die Idee sein, wenn du Musik machst, einen Film, ein Buch oder was auch immer. Kommuniziere etwas, das ehrlich ist und aus dem andere eine Bedeutung für ihr eigenes Leben schöpfen können. Und die Doku soll mich nicht feiern, sondern die Dinge teilen, die ich gelernt habe und die vielleicht jemand anderem etwas bedeuten oder ihm helfen.

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