Moby – Schlaflosigkeit als kreativer Motor

Moby – Schlaflosigkeit als kreativer Motor

Du wirst außerplanmäßig wach. Draußen ist es noch stockfinster. Beim Blick auf den Wecker stellst du fest, dass es wieder einmal gerade erst halb vier ist und du noch lange nicht aufstehen musst. Doch irgendetwas lässt dich nicht wieder zur Ruhe kommen. Was also tun?

Während der eine krampfhaft und meist erfolglos versucht, zurück in den Schlaf zu finden, macht der andere das, was ihm jeder Experte raten würde: Er steht auf und sucht sich eine andere Beschäftigung. Waschen, putzen, aufräumen, lesen … lediglich von Anrufen diverser Freunde und Familienmitglieder wird abgeraten. Besser noch, man nutzt die durch verlorenen Schlaf gewonnene Zeit kreativ und schreibt Songs. Songs, die am Ende ein wundervoll intimes, melancholisches Album ergeben, das nun unter dem Titel „Destroyed“ veröffentlicht wird.

Das jedenfalls ist es, was Richard Melville Hall tut, wenn er dank Jetlag und Hotelzimmerkoller wie so oft auf Tour von der Schlaflosigkeit heimgesucht wird. Und weil ein Mensch wie Moby viel zu vielseitig kreativ ist, um sich nur auf eine Kunst zu beschränken, hat er schon vor vielen Jahren die Fotografie für sich entdeckt, an der er nun – nach neun Moby-Studioalben, diversen Remix- und Best-Of-Longplayern und Langspielplatten als Voodoo Child – zum ersten Mal die Öffentlichkeit teilhaben lässt. Zum neuen Werk erscheint ein gleichnamiges Fotobuch mit zahlreichen von ihm auf Tour geschossenen Aufnahmen. Einsame Hotelflure und ewig lange Flughafengänge wechseln sich ab mit Publikumsmassen vor Bühnen unterschiedlicher Größe und kleineren wie größeren architektonischen Besonderheiten in Städten weltweit.

Einsame Hotelflure und Architektur begegnen auch mir an einem Mittwochnachmittag in Berlin, als ich mich mit Moby im Hotel de Rome zum Interview treffe. Dort sitzt er, der kleine Mann mit Brille und Glatze, der bescheidener wirkt als all seine Kollegen, die ich in den vergangenen Jahren so kennenlernen durfte, zusammen. Ein wenig verloren wirkt er auf dem großen schwarzen Sofa eines weiteren anonymen Hotelzimmers auf seiner Promotour zum neuen Album. Meine Frage, das wievielte Moby-Album das denn nun wirklich sei und ob er die Zahl seiner gesamten Veröffentlichungen im Kopf habe, muss er verneinen. „Ich glaube es ist das neunte oder zehnte als Moby, und insgesamt müssten es 15 oder 16 sein. Ich habe ein wenig den Überblick verloren.“ Ja, wir auch. Also einigen wir uns nach dem Durchzählen auf zehn und lassen das mal so stehen, denn eigentlich ist es ja auch völlig egal – ihm zumindest. Dies ist nichts, worüber er nachdenkt, wenn er mal wieder schlaflos in einem Hotelzimmer wie diesem hockt. „Ich werde schon immer von Schlaflosigkeit geplagt, und früher hat mich das fast irre gemacht und mich total frustriert. Stunde um Stunde habe ich wach im Bett gelegen, bis ich ein Buch von Henry Miller (‚Insomnia‘) las, der schreibt, dass liegen bleiben und auf den Schlaf warten das Schlimmste ist, was du dann machen kannst. Du musst es akzeptieren, aufstehen und lesen, meditieren oder sonst etwas tun. Wäre ich ein Schlaftherapeuth würde ich Folgendes raten: 1. Arbeite eine Stunde vor dem Schlafengehen nicht mehr. 2. Gehe jeden Tag zur selben Zeit zu Bett. 3. Trinke 12 Stunden vorher nichts mehr mit Koffein. Ich liebe Koffein, aber es ist wirklich eine Droge. 4. Mache vor dem Schlafengehen etwas Entspannendes und 5. Bewege dich am Tage viel.“

Gut, und wenn all das nicht hilft, kommt Nr. 6 zum Tragen: Schreibe einen Song oder gleich ein ganzes Album. Dass das am Ende eher melancholischer Natur ist und einen tiefen Blick hinein in seinen Schreiber gewährt, liegt womöglich an der Tageszeit seines Entstehens. Oder aber an der Grundstimmung, in der sich der Schreiber ohnehin gerade befindet. Nach dem eher cluborientierten, dancelastigen „Last Night“ war schon „Wait For Me“ ein ähnlich nach innengekehrtes Werk. Ist Moby das Tanzen zugunsten des Grübelns vergangen? „Zum einen ist so ein Album immer ein Ergebnis der Umgebung und Situation, in der du dich gerade befindest. Zum anderen versuchst du, damit den idealen Platz zu kreieren. Ein Song ist wie eine kleine Welt, die die wirkliche Welt widerspiegelt, aber eben auch eine eigene schafft. Das kann manchmal eine aggressive Welt sein, manchmal eine verrückte. Die Songs dieses Album sind kleine Schnappschüsse aus den unterschiedlichsten Städten in den Momenten gegen 2 Uhr nachts, wenn alle anderen Menschen dort schlafen.“

Neben der Schlaflosigkeit ist die Anonymität, die ein Hotelzimmer aufweist, ein weiterer nicht zu verachtender Faktor bei der beschriebenen Entstehungsweise der Songs. Hilft etwas dagegen? Vielleicht das Mitführen diverser privater Devotionalien wie Schlafkissen, Kuscheldecke oder Lieblingsstofftier, um ein Gefühl von Heimat künstlich zu kreieren? „Ich kenne einige Leute, die genau das tun. Vor 15 oder 16 Jahren war ich mal mit den Red Hot Chili Peppers auf Tour, und wenn die in ein Hotelzimmer eincheckten, haben sie alles daran gesetzt, es nach daheim aussehen zu lassen. Ich selbst habe akzeptiert, dass es ein seltsamer, anonymer Ort ist und begonnen, meine eigene Reaktion darauf zu beobachten. Ich mache dann meinen Frieden damit, denn ich werde nicht ewig dort bleiben.“ Und doch gibt es etwas, das auch einem Moby ein Stück Heimat in die Ferne transportiert, und das ist … sein Rechner. „Wenn du deinen Laptop öffnest, hast du dank deiner Musik, deiner E-Mails etc. direkt ein familiäres Gefühl, einen familiären Mikrokosmos, auch wenn das erst mal ein bisschen traurig klingt. Danke Mac Air.“

Natürlich sind Anonymität, Einsamkeit und Fremde nicht die einzigen Inspirationsquellen für „Destroyed“ gewesen, und ein Mensch, der Musik so lebt, wie ein Moby, der hat vor allem auch hier den einen oder anderen Bezugspunkt, an den er mit seinen Produktionen hörbar anknüpft. „Ich habe mich für dieses Album von eher älterer elektronischer Musik inspirieren lassen. Ich mag viele neue Dinge in Sachen Dance und HipHop, die so produziert werden. Sie klingen im Club, wenn ich auflege, oft großartig, sind mir für daheim aber viel zu glatt und zu bombastisch. Da mag ich es eher reduzierter, schräger und ruhiger. Z.B. alte Kraftwerk-Sachen natürlich, Suicide, ganz frühe Simple Minds und noch frühere New Order. Einiges auf dem Album ist digital entstanden, vieles kommt aber von alten Synthesizern, alten Drummachines etc.“ Anders die Fotos des dem Album angeschlossenen Bildbandes, bei dem sich Moby weniger oldfashioned sondern ausschließlich digital ans Werk gemacht hat. Ein Hobby, das ihn schon seit Kindertagen begleitet. Und ein Wunsch, den er schon lange hegte. „Ich mache Fotos, seit ich zehn bin. Ich habe mich bisher nicht so wohl dabei gefühlt, meine Bilder anderen Leuten zu zeigen, denn mein Onkel war ein wirklich guter Fotograf, und ich bin halt Musiker und fotografiere nur hobbymäßig. Ich hielt meine Bilder nie für gut genug für die Öffentlichkeit. Irgendwann habe ich Freunden von mir, die meisten sind selbst Künstler, meine Fotos gezeigt und erwartete eigentlich, dass sie mir raten würden, lieber weiter Musik zu machen. Aber das taten sie nicht. Sie fanden sie gut und meinten, ich sollte sie ruhig veröffentlichen. Okay, hätte ich vielleicht erst vor fünf Jahren meine erste Kamera in der Hand gehabt, hätte ich noch darauf verzichtet, aber so …“

Die Herangehensweise war dabei so unterschiedlich wie die Motive selbst. Spontane Momentaufnahmen finden sich in diesem Buch ebenso wieder, wie Bilder, bei denen es offensichtlich ist, dass der Fotograf einen Weile den perfekten Blickwinkel gesucht hat, ehe er den Auslöser drückte. So meine ich Andreas Gursky-Zitate zu erkennen. „Ich habe davor ja schon Erfahrungen in Sachen Film gemacht, und meine Herangehensweise ist bei der Fotografie ähnlich. Ich nehme mir Zeit, denke vorher gut drüber nach und fotografiere auch nicht zu viel. Ich denke nach über den Inhalt, das Motiv, die Bildkompositon, den Ausschnitt etc. Vieles in dem Buch mag casual wirken, ist aber gut durchdacht. Und der Gursky-Vergleich passt, auch wenn er natürlich viel besser ist als ich. Aber es gibt kompositorische Ähnlichkeiten. Bei vielen seiner Bildern ist er nicht involviert in das Motiv, er bewahrt immer eine gewisse Distanz, und so mache ich es auch.“ Gut, Gursky verdient Millionen mit seinen Arbeiten, aber möglicherweise könnte die Fotografie eine Art zweites Standbein sein, für den wohl eher unwahrscheinlichen Fall, dass Moby mal genug von der Musik hat. „Alles, was ich mein ganzes Leben lang machen wollte, war und ist Musik. Und ich möchte bis zum Tag meines Todes Musik machen. Ich habe auch diesen Karrieregedanken nicht. Für mich ist das, was ich mache, keine Karriere, sondern mein Leben. Es ist ja schön, wenn du Musik machst und davon deine Miete zahlen kannst, aber Musik hat für mich doch noch einen ganz anderen Wert. Es ist die emotionale, spirituelle Kraft der Musik, die mich antreibt. Ich mache viele Dinge, die kein Geld bringen, spiele in kleinen Punkbands, lege für Freunde auf, habe die Seite mobygratis.com, bei der ich kostenlos Musik herausgebe. Und ich habe das Glück, mit einigen Dingen so viel Geld zu verdienen, dass ich mir das leisten kann und sie die anderen finanzieren. Und so möchte ich es bis an mein Lebensende halten. Wenn das, was ich tue, ein Publikum findet, ist das schön. Wenn nicht, mache ich dennoch genauso weiter. Leute, die ich bewundere, sind Leute, die die Kunst machen, die sie lieben, komme was wolle, wie David Lynch oder Picasso.“

Wonach Moby nicht strebt, ist Perfektion. Es sind nicht die großen, sauber produzierten Bigroom-Tracks, die ihn berühren und die derzeit wohl die kommerzielleren Erfolge feiern. Liegt im Streben der Menschen nach Perfektion vielleicht eine Art Hilferuf, da sonst vieles um den Menschen herum von ihm nicht mehr kontrollierbar scheint. Etwas, das ihm einfach fehlt? „Eine gute und schwierige Frage. Ich denke, das Unperfekte weist den Menschen auf seine Verletzlichkeit hin, darauf, dass er nicht für immer hier sein wird. Für mich hat verletzliche Musik etwas von Menschlichkeit. Du kannst den perfektesten Dancetrack der Welt produzieren, doch ändert das nichts daran, dass du sterben wirst.“ Und weil Sonne gut für das Gemüt ist und womöglich Schönwetter das Leben verlängert, hat Moby vor geraumer Zeit beschlossen, seiner Heimatstadt New York den Rücken zu kehren und nach Los Angeles zu ziehen. „Das Wetter ist nur ein Grund für diese Entscheidung. Das Leben ist zu kurz und besteht schon so zu großen Teilen aus Leid. Ein bisschen davon kann man so eben vermeiden, z.B. im Januar in New York zu sein bei minus zehn Grad. Ich bin eine echte Sissy und mag es nicht, zu frieren. Außerdem ist New York so unfassbar teuer geworden. Viele Künstler können dort nicht mehr leben, und ich wollte gerne irgendwo sein, wo diese Leute ihre Miete noch zahlen können.“ Berlin? „Ja, für mich sind L.A. und Berlin sehr ähnlich.“ Abgesehen vom Wetter wohl. „Und den Bergen und den Stränden. Aber beides sind so große Orte, dass genug Platz für alle ist, dort zu leben. Die meisten Leute denken bei L.A. an Beverly Hills und Schönheitschirurgie. Das ist die westliche Seite. Ost-Hollywood ist da völlig anders, dort ist es günstig, interessant und dort wohnen viele, viele Künstler. Der Strip dagegen erinnert mich an den Time Square in den 70ern – ein völlig degeneriertes Durcheinander. Mir tun die Touristen dort einfach nur leid. Ich habe jedenfalls ein großes Haus mit vielen Gästezimmern, einem großen Studio etc. Mein Apartment in New York habe ich seit den frühen 90ern, und es ist so günstig, dass ich das auf jeden Fall behalten werde. Der große Vorteil ist: Sollte es mal ganz blöd laufen und ich irgendwann ein obdachloser Crack-Abhängiger sein, kann ich die Miete dort immer noch zahlen.“ Schwer vorstellbar, dass es dazu kommt.

www.moby.com

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