Simon Jäger und David Nathan gehören zu den gefragtesten Hörbuch- und Synchronsprechern des Landes. Aktuell gibt es bei Audible gleich mehrere neue Thriller-Titel, die von ihnen eingelesen wurden. Im Interview mit ntv.de sprechen die zwei über die Freuden und Tücken ihres Jobs.
Wenn es draußen so schön winterlich ist, macht man es sich am besten mit einem guten Buch auf dem Sofa gemütlich. Noch bequemer ist es, jemand anderen lesen zu lassen und sich mit einer Tasse Tee oder einem Glas Rotwein in der Hand zurückzulehnen und zuzuhören. Besonders atmosphärisch gestaltet sich das wiederum, wenn ihre Stimmen dabei ins Spiel kommen: Simon Jäger und David Nathan. Sie gehören aber nicht nur zu den gefragtesten Hörbuchsprechern des Landes. Auch als Synchronsprecher von Stars wie Matt Damon und Josh Hartnett (Jäger) sowie Johnny Depp und Christian Bale (Nathan) sind sie einem häufig im Ohr.
Aktuell gibt es bei Amazons Streamingdienst Audible gleich mehrere neue Titel, die von den beiden eingelesen wurden, darunter Sebastian Fitzeks „Die Therapie“ und „Die Einladung“, bei denen Jäger zum Einsatz kommt. Nathan hingegen hat aktuell Stephen Kings Werk „Holly“ akustisch Leben eingehaucht. Gemeinsam sprachen die zwei am Rande eines „Audible Crime Dinners“ in Berlin mit ntv.de über die Freuden ihres Jobs, aber auch darüber, wie sie mit weniger guten Buchvorlagen umgehen.
ntv.de: Eure Stimmen kennt man nicht nur dank eurer Arbeit als Synchronsprecher, sondern auch von zahlreichen Hörbüchern und Hörspielen, die sich meist im Genre Thriller bewegen. Liegen hier auch eure persönlichen Präferenzen – falls ihr privat überhaupt noch lest?
David Nathan: Für mich ist das keine Vorliebe. Privat sieht es völlig anders aus. Ich liebe T.C. Boyle, das ist die Art von Literatur, die ich bevorzuge. Ein Buch ist dann gut, wenn es mich fesselt, aber ich brauche nicht den Grusel, das Blut und brechende Knochen. Ich glaube, dass die guten Autoren, von denen ich ja schon ein paar eingelesen habe, das nicht benutzen als oberste Schicht ihrer Erzählung. Schock und Schreck sind zwar Dinge, mit denen sie spielen, aber eigentlich geht es immer um die Menschen. Wenn ich das merke, dann kann ich es auch locker vorlesen, in die Figuren eintauchen und ihnen Leben einhauchen. Aber natürlich ist unsere Welt so gebaut, dass man in einer Schublade steckt. Ich habe unzählige Stephen-King-Romane gelesen, also muss ich wohl ein Thriller-Vorleser sein.
Kümmert sich eine Agentur darum, dass ihr auch mal andere Bücher vorgelegt bekommt? Oder müsst ihr nehmen, was kommt?
Nathan: Man muss mit dem umgehen, was kommt und zusehen, dass man an den richtigen Stellen „Ja“ und an den richtigen Stellen „Nein“ sagt – was mir nicht immer gelungen ist. Ich muss annehmen, was die Verlage mir anbieten. Gott sei Dank bieten sie auch mal andere Sachen als Krimis und Thriller an. Aber auch wenn das nicht so wäre, könnte ich immer noch froh sein, denn welcher Schauspieler kann schon von sich sagen, er stehe jeden Tag in Lohn und Brot? Ich gehöre dazu, in diesem Segment, und bin froh, wenn Leute mich fragen, ob ich was für sie vorlese. Ich komme aus einer Schauspielerfamilie, und mir wurde immer gesagt: „Wenn dir jemand Arbeit anbietet, dann machst du die.“
Simon Jäger: Es ist ein guter Lohn- und Broterwerb und begleitet mich schon so lange, dass ich mich jedes Mal auf einen neuen Job freue. Ob ich das Buch jetzt privat mag, spielt keine Rolle. Es ist mein Beruf. Ich komme nicht aus einer Schauspielerfamilie, bei mir war das alles viel pragmatischer. Bis heute versteht meine Mutter nicht so richtig, was ich da eigentlich mache. (lacht) Es etabliert sich bei bestimmten Verlagen ein Produkt, und dann sind es da die Kinderbücher, da die Krimis und Thriller, woanders die Literatur, die Belletristik, Fantasy …
Also kommt es schon vor, dass ihr euch durch einen Stoff durchquälen müsst und mit weniger Motivation zur Arbeit geht als bei einem anderen Buch, das euch mehr liegt?
Jäger: Klar. Jeder von uns hat Bücher, bei denen er sich fragt: „Warum?“ Aber wir haben beide eine Autorenbindung aufgrund unserer Stimmen. Und es sind natürlich nicht alle Bücher von einem Autoren gut, da muss man dann durch. Nach dem zweiten oder dritten schlechten Buch sage ich dann aber schon, dass ich das nicht mehr will.
Ohne Angst davor, dass es daraufhin weniger Jobs gibt? Schauspieler, die ihr synchronisiert, könnten keine Engagements mehr kriegen oder Autoren weniger Output liefern …
Jäger: Ich war schon immer ein Freigeist. Wenn es nicht reicht, reicht es nicht, dann muss ich halt wieder in der Kneipe bedienen. Ich hänge nicht so sehr daran, dass ich jetzt mein Leben darüber definiere und leide, wenn ich den Job nicht mehr machen kann. Es ist ein unglaublich schöner Beruf, der mir wahnsinnig viel Spaß macht, aber wenn ich, weil ich jemandem auf die Füße getreten bin, nichts mehr zu tun habe, dann bin ich vielleicht nicht gut genug.
Der Markt hat sich außerdem ja stark vergrößert dank Streaming – was sowohl Filme und Serien wie aber auch Hörbücher und Hörspiele betrifft. Audible wird jetzt auch schon 20 Jahre alt …
Nathan: Allerdings, das ist erstaunlich. Und wir waren von Anfang an dabei. Und Detlef Bierstedt, ein mittlerweile 80-jähriger Kollege. Wir waren die ersten, die für Audible was gelesen haben. Die haben jedem von uns damals 20 Romane gegeben und gesagt: „Macht mal!“
Jäger: Wir haben alles gelesen, was uns in die Finger gekommen ist. (lacht)
Nathan: Weil wir es auch schön fanden, dass jemand da war, der Content hatte und gesagt hat: „Macht, so viel und was ihr wollt.“ Das war eine wunderschöne Zeit.
Jäger: Ich meine das wirklich ernst, es macht wahnsinnig viel Spaß. Es ist oft auch anstrengend, aber wer kann sich in seinem Job schon hinsetzen und in Welten abtauchen und sich damit beschäftigen? Und wir haben immer noch ein Gegenüber, es gibt mindestens noch Tontechniker und Regie.
Wie hat sich das Business von der CD zum Streaming sonst für euch entwickelt? Hat sich etwas zum Positiven oder auch zum Negativen verändert??
Nathan: Für uns hat sich nichts verändert. Wir lesen die Bücher, die wir sowieso lesen würden.
Jäger: Ich würde sagen, es hat sich schon was verändert. Der Markt hat sich vergrößert, da haben wir natürlich den Vorteil und das große Glück, dass wir ein bisschen auswählen können, was wir machen. Wir können eben auch „Nein“ sagen, es gibt noch fünf andere Titel und vielleicht ist einer davon besser. Die Angst, Arbeit zu selektieren, die ist nicht mehr so groß. Wenn eh nur im Jahr 500 Titel gemacht werden und es 300 Sprecher gibt, dann ist die Unsicherheit natürlich größer, als wenn 50.000 Titel gemacht werden.
Jäger: Aber das gute Niveau bleibt ja auch trotzdem.
Ihr arbeitet auch als Dialogautoren und/oder Dialogregisseure. Wie schwer fällt es euch, nicht in einem Buch herum zu korrigieren, wenn euch etwas nicht gefällt?
Jäger: Ich habe mir das abgewöhnt.
Nathan: Ich formuliere um. Ich habe gelernt: Ein Text ist nur ein Vorschlag. Wenn ich eine Figur spiele oder lese, dann habe ich schon auch eine Verantwortung.
Jäger: Ja lustig, ich habe mir das abgewöhnt, weil ich denke, das ist Aufgabe des Redakteurs. Mein Job ist, zu performen.
Nathan: Bei Haruki Murakami gibt es zum Beispiel nichts zu ändern, der ist so toll übersetzt, da stimmt jedes Wort.
Hilft es für den Job des Hörbuch- oder auch Hörspielsprechers, eine Affinität zum Schauspiel oder sogar eine Ausbildung zu haben?
Nathan: Wir sind alle Schauspieler. Manche spielen nur Theater, manche spielen nur vor der Kamera, manche lesen Hörbücher ein, manche Hörspiele, andere machen live irgendwelche Sachen. Es ist völlig egal, es sind alles Schauspieler. Nur wenige machen alles, und man muss nicht alles können. Aber wenn du nicht spielen und eine Figur mit Leben füllen kannst, dann kannst du es vor der Kamera nicht, auf der Bühne nicht und am Mikrofon auch nicht. Aber es ist ein Unterschied, ob du am Mikrofon sitzt oder überall Kameras sind. Es ist eine andere Konzentration. Doch du kannst die Leute nur interessieren, wenn du aus dir selbst schöpfst.
Jäger: Es ist der gleiche Prozess.
Nathan: Ich war letzte Woche mit Jo Nesbø, der jetzt einen ersten Horrorroman geschrieben hat, auf einer Lesung. Er quatscht, ich lese zwei Kapitel, er hört interessiert zu. Dann sagte er, dass er es so gut fand, weil: „Man hört die Angst in deiner Stimme.“ Es geht nicht darum, es gruselig vorzulesen, sondern es zu fühlen, weil ich mich selbst grusele.
Ihr wart früher immer mal wieder gemeinsam auf der Bühne mit den „Prima Vista“-Lesungen, bei denen ihr vom Publikum mitgebrachte Texte jedweder Art interpretiert habt. Gibt es diese Veranstaltung noch?
Jäger: Wir hatten letzten Sommer eine solche und sind gerade dabei, das Ganze für das neue Jahr zu reanimieren.