Nina Kunzendorf: „Es wird irre viel jung besetzt“

Nina Kunzendorf: „Es wird irre viel jung besetzt“

Gerade ist Nina Kunzendorf als Unternehmergattin Alice Grünberg in der RTL+ Serie „Das Haus der Träume“ zu sehen, die im Berlin der 1920er-Jahre spielt. Mit ntv.de spricht die Wahlberlinerin über den Reiz dieser Rolle und das Älterwerden im umkämpften Filmbusiness.

Bekannt ist Nina Kunzendorf aus zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen, nicht zuletzt durch ihre Rolle als Ermittlerin Conny Mey im Frankfurter „Tatort“, von der sie sich aber bereits 2013 verabschiedete. Seit dem 18. September ist die 50-Jährige nun auf RTL+ in der sendereigenen Serie „Das Haus der Träume“ zu sehen, in der es um die Gründung des Kaufhauses Jonass in der Berliner Torstraße 1 Ende der 1920er-Jahre geht.

Mit ntv.de spricht Nina Kunzendorf über den Reiz an dieser Rolle, die Vor- und Nachteile des Älterwerdens als Schauspielerin und darüber, wie es ihr als Wahlberlinerin in der Hauptstadt geht.

ntv.de: Wie ist es dazu gekommen, dass du Teil des durchaus aufwendigen Projekts „Das Haus der Träume“ wurdest?

Nina Kunzendorf: Zum einen hatte ich mit der Produktionsfirma X Filme schon im Jahr zuvor gearbeitet, wir haben die Serie „Furia“ miteinander gedreht. Und dann gibt es eine enge Verbindung zur Regisseurin Sherry Hormann, mit der ich in der Vergangenheit ebenfalls schon ein paar Arbeiten gemacht hatte. Eine glückvoller als die andere. Das wird wohl der Anfang gewesen sein, denn den macht man als Schauspielerin ja selten selbst. Damals gab es aber noch nicht die Drehbücher zu allen Folgen, sondern in Gänze erstmal nur den Roman „Torstraße 1“, den ich allerdings beiseitegelassen habe. Ich dachte, das verwirrt mich nur, weil sich die Serie schon ein bisschen auch auf eigene Wege begibt.

Was hat dich an dem Thema „Berlin, 1920er-Jahre, Kreditkaufhaus“ gereizt?

Ich war neugierig, mal eine historische Geschichte zu drehen, das habe ich noch nicht so oft getan. Und ich mochte die Figur Alice Grünberg. Damit meine ich nicht, dass sie mir grundsätzlich sympathisch war, aber ich fand sie herausfordernd. Das hat mir gefallen.

Was war es konkret, beziehungsweise welche Dinge fandest du nicht zwingend sympathisch an ihr?

Ich habe kürzlich erst die Folgen der ersten Staffel gesehen und gedacht: „Ach, die Alice ist ja viel melancholischer geworden, als ich es im Sinn hatte.“ Aber das war auch etwas, das ich mochte; dass die Figur eine gewisse Schwere hat, eine Melancholie, die mit ihrer Geschichte zu tun hat, mit dem Verlust des Kindes. Oberflächlich verbindet man die 1920er-Jahre ja gerne mal mit Halligalli, alle haben Party gemacht und Drogen genommen. Das war sicherlich auch ein Teil dieser Zeit. Aber die Menschen hatten alle gerade einen Weltkrieg hinter sich, die waren versehrt, hungrig, haben Verluste erlitten.

Bist du dabei auch auf innere Widerstände gestoßen?

Alice ist eine sehr kraftvolle Figur, aber es gibt in ihrem Handeln sicherlich das eine oder andere, was mir persönlich fremd ist. Ich würde zum Beispiel ganz sicher keinen Kerl an meiner Seite dulden, der über Jahre eine Geliebte hat. Aber das, was eher schwierig ist, ist was ganz Pragmatisches, was Technisches. Bei einer Serie muss man beim Spielen einen ganz anderen Atem haben. Zuletzt habe ich einen Fernsehfilm gedreht, ganz kompakt, in 40 Tagen. Das habe ich sehr genossen. Wenn man bei einer Serie keine fette Hauptrolle spielt und dadurch jeden Tag zu tun hat, ist es manchmal mühsam, weil man mal einen Tag oder zwei da ist, und dann ist erstmal wieder eine Weile Pause.

Als zugezogene Berlinerin, was war dir vor den Dreharbeiten zur Serie über die Geschichte des heutigen Soho House bekannt?

Ich bin jetzt zehn oder elf Jahre in Berlin und kannte den Teil, der in unserer Serie vorkommt, gar nicht. Ich wusste aber, dass die Nazis das damals enteignet haben und dass es mal Parteisitz der SED war.

Allzu viel über diese Zeit gibt es auch gar nicht zu recherchieren, ist doch nur weniges dokumentiert. Macht es das am Ende einfacher, keine reale historische Figur zu spielen, weniger Vorgaben bei der Interpretation der Rolle zu haben?

Das macht es auf jeden Fall einfacher. Wobei ich bei „Charité“ eine Ärztin gespielt habe, die wirklich gelebt hat. Aber selbst da habe ich mich frei davon gemacht. Ich kannte grob die Biografie und habe mich anhand einiger Charaktereigenschaften entlanggehangelt, mir aber ansonsten meinen eigenen Weg gesucht. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich keine historische Figur spiele, indem ich ihre Art zu sprechen, sich zu bewegen, übernehme. Vielleicht auch ganz simpel, weil ich das nicht kann. (lacht) Ich hätte immer das Gefühl, jemandem nicht gerecht zu werden.

Wenn du nach den zehn, elf Jahren, die du in Berlin lebst, auf diese Stadt schaust – gehörst du zu den Zugezogenen, die es bald auch schon wieder wegzieht oder hast du hier eine Heimat gefunden?

Ich fühle mich sauwohl hier. Ich wüsste innerhalb von Deutschland keine andere Stadt. Die Alternative dazu wäre wohl am wahrscheinlichsten dann noch meine Heimatstadt Mannheim. Aber ich gehe nicht fort von hier, ich finde es herrlich.

Alice Grünberg würde im heutigen Berlin sicherlich Dinge anders machen, sich vielleicht wirklich von dem Mann lösen, der sie betrügt. Im vergangenen Jahrhundert hat sich bei der Rolle der Frau viel geändert. Wo hingegen siehst du noch deutlichen Verbesserungsbedarf?

Oh, an ganz vielen Stellen! Ich kann zum Beispiel beim besten Willen nicht verstehen, warum Männer mehr verdienen als Frauen für dieselbe Arbeit. Das finde ich unfassbar, das ist auch in meiner Branche nicht anders. In anderen Branchen ist das aber sicher noch existenzieller und eklatanter. Ich begreife nicht, warum wir da nicht schon viel weiter sind. Aber ich habe das Gefühl, es ist viel in Bewegung gerade.

Was in der Filmbranche ebenfalls lange ein Thema war: Schauspielerinnen hatten immer eine gewisse Halbwertzeit. Viele haben früher mit 40 einen Karriereknick erlebt. Heute wird dank Netflix, Amazon und Co. anders erzählt und mehr gedreht. Glaubst du, dass es so auch mit dieser Form der Altersdiskriminierung ein Ende hat?

Es heißt immer, es tue sich was, und ich nehme das auch sehr zart wahr. Vielleicht ist es meiner Ungeduld und sicher meiner persönlichen Perspektive geschuldet, dass ich finde, es geht nicht schnell genug. Es wird irre viel jung besetzt. Es gibt auch weniger gute Rollen für Männer um die 50. Ich verstehe das ehrlich gesagt gar nicht. Ich will nicht behaupten, dass ich heute eine bessere Schauspielerin bin als vor 20 Jahren, aber ich habe einen größeren Fundus, aus dem ich schöpfen kann. Es müsste doch ein Schlachtfest sein, Geschichten zu erzählen für und über Menschen über 40, 50 oder älter. Abgesehen davon, dass es auch viel näher dran ist am Alter der Zuschauer. (lacht)

Und es ist ja nicht nur das Alter, es werden auch oft noch viele andere Klischees im deutschen Film bedient. Ich schätze, das hast du auch schon erlebt?

Da ist noch viel zu holen. Ich finde es richtig und höchste Zeit, dass wir über mehr Diversität reden. Ich habe nur oft das Gefühl, dass wir noch viel weiter am Boden anfangen müssen. Die Klischees, die Vorurteile, die Ängste, die sind in so viel niedrigeren Bereichen vorhanden. Ich weiß noch, was das jahrelang für ein Theater war, weil ich kurze Haare hatte. Eine unfassbare Diskussion …

Gefragt ist immer noch eher lang und blond, nehme ich an?

Blond vielleicht nicht, aber es gab und gibt eine enge Vorstellung von Weiblichkeit. Meine kurzen Haare waren spröde, herb, männlich … Ich habe mich immer wieder gefragt, in welchem Jahrhundert wir leben. Oder auch, dass ein Kleid im Trailer hängt, das von allen Geschmacksdirektoren aussortiert wurde – aber die Redakteurin wünscht sich das, weil der Zuschauer es am Ende schön findet, wenn die Figur ein Kleid trägt.

Wer ist dieser Zuschauer überhaupt? Oder ist es eine Zuschauerin?

Ich dachte immer, es ist ein Typ. Ich habe mir dann einen Mann vorgestellt, der in einem anonymen Hochhaus wohnt, wo immer die Jalousien heruntergelassen sind. Er hat schon so ein gelbstichiges Gesicht und Nikotinhände …

Ich sehe da eher eine Frau. So eine Trutschige mit 20 Katzen, …

… die an den Sessel gefesselt von morgens bis abends deutsches Fernsehen schauen muss. (lacht)

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