Peter Thorwarth: „Ich will die Leute unterhalten, nicht belehren“

Peter Thorwarth: „Ich will die Leute unterhalten, nicht belehren“

Mit „Bang Boom Bang“ liefert Peter Thorwarth 1999 Ruhrpott-Kult ab. Nach weiteren Kinoproduktionen wechselt er für „Blood Red Sky“ fast 20 Jahre später zu Netflix. Mit ntv.de spricht der 51-Jährige über seinen neuen Film und erklärt, warum er dem deutschen Kino den Rücken kehrte.

Ende der 1990er-Jahre sorgte Peter Thorwarth als Regisseur des alsbald zum Ruhrpott-Kultfilm avancierten „Bang Boom Bang“ nicht nur in seiner Heimatregion für Furore. Es folgten weitere Kinostreifen wie „Was nicht passt, wird passend gemacht“ und „Goldene Zeiten“, ehe Thorwarth 2021 bei Netflix auftaucht. Sein Vampir-Action-Schocker „Blood Red Sky“ wird zum absoluten Überraschungshit. Allein im ersten Monat schauen sich den Film weltweit rund 50 Millionen User an.

Entsprechend hoch sind die Erwartungen an seine zweite Netflix-Produktion. Die gibt es nun mit „Blood & Gold“, und wieder setzt Thorwarth – dieses Mal gemeinsam mit Autor Stefan Barth – auf einen bunten Genre-Mix vor düsterer Kulisse. Mit ntv.de sprach der gebürtige Unneraner, der bald seinen 52. Geburtstag feiert, über den Umgang am Set seines Films mit den realen Ereignissen in der Ukraine und die Vorteile, die es hat, nicht mehr fürs deutsche Kino zu drehen.

ntv.de: Bei „Blood & Gold“ trifft Western auf Kriegsfilm auf Actionstreifen. War das von Beginn an der Plan oder hat es sich dahin entwickelt?

Peter Thorwarth: Die Geschichte ist im Grunde ein klassischer Western. Sie beschränkt sich auf eine kleine Stadt, und die Bedrohung kommt von außen. Es gibt den Helden, der diese Bedrohung bekämpfen muss. Ganz klar haben wir uns an diesem Genre orientiert. Von der Art, wie wir gefilmt haben, bis zur Musikauswahl. „Blood & Gold“ ist unsere Hommage an den Italo-Western.

Der Score und die Songauswahl für „Blood & Gold“ sind besonders. Steckte auch hier nicht gleich ein Konzept dahinter?

Doch, der Score war irgendwie immer klar. Wenn man einen Italo-Western machen will, kommt man an Ennio Morricone nicht vorbei. Ich habe dafür eine Komponistin (Jessica de Rooij) und einen Komponisten (Hendrik Nölle) zusammengebracht, die noch nie zusammengearbeitet haben. Die haben als Team so toll funktioniert, dass sie darüber hinaus jetzt weitere gemeinsame Projekte machen. Die Songs im Film waren dagegen kein Konzept, sondern die Idee meines Editors Knut Hake, der auch schon „Blood Red Sky“ geschnitten hatte. Ich war gerade im Auto auf dem Weg von Prag nach München, um am Wochenende meine Familie zu besuchen, als er mich ganz aufgeregt anrief, denn er hatte mir was hochgeladen. Ich bin an einer Raststätte rausgefahren und habe es mir auf dem Tablet angeschaut. Es war eine Szene, unter die er Marlene Dietrich gelegt hatte. Ich wusste sofort, das passt super.

Ein Film über die Nazizeit ist angesichts der Ereignisse in der Ukraine leider ziemlich am Puls der Zeit. Hattet ihr beim Timing hinsichtlich des Erscheinungstermins Bedenken?

Geplant war das so natürlich nicht. Ich hatte schlaflose Nächte deswegen und habe überlegt, wie man mit so einem Ereignis umgeht. Wir haben in Tschechien gedreht, was geografisch ja noch viel näher an der Ukraine liegt. Und wir hatten sogar ein Teammitglied aus der Ukraine dabei. Die junge Kollegin textete in jeder freien Minute mit ihrer Familie und ihren Freunden in der Heimat. Irgendwann habe ich mich zu ihr gesetzt und sie gefragt, wie sie sich damit fühlt, jetzt so einen Film zu machen. Sie sagte, das seien zwei völlig unterschiedliche Dinge. Das eine ist die traurige Realität, das andere ist Fiktion, und sie habe sogar Spaß daran, mitzumachen, um sich abzulenken.

Der Film kommt dazu noch mit einigem Humor daher …

Das ist meine Art, mit bestimmten Dingen, die mich beschäftigen, und auch Ängsten umzugehen. Ich finde, wenn man etwas mit einem Augenzwinkern erzählt, muss es deswegen nicht falsch sein. Ich finde natürlich traurig, was sich ereignet, und es ist am Set ständig Thema gewesen. Trotzdem hat die Arbeit etwas Eskapistisches, und am Ende guckt man doch genau deswegen überhaupt Filme – um der Realität für 90 Minuten zu entfliehen. In erster Linie will ich die Leute unterhalten und nicht belehren. Dennoch finde ich es wichtig, dass auch eine gewisse Moral und eine Haltung mitschwingen. Und das ist bei „Blood & Gold“ so. Natürlich behandelt der Film das Thema Krieg anders als „Im Westen nichts Neues“, aber ich finde, es muss erlaubt sein, solche Themen auf unterschiedliche Art und Weise anzugehen.

Der Peter-Thorwarth-Filmkenner erlebt ein Wiedersehen mit Alexander Scheer, dieses Mal in der Rolle eines Nazis, den er sehr speziell spielt. Wie viel davon stand im Drehbuch, wie viel hat Alexander selbst mitgebracht?https://www.youtube-nocookie.com/embed/PKzxxKMR0Wg?rel=0&showinfo=0

Mein Anspruch ist es, alle Mitwirkenden mit meiner Vision anzustecken. Wenn mir das gelingt, verselbständigt sich der Prozess. Alexander kann natürlich besser schauspielern als ich, aber ich bin der Initiator. Wenn er dann noch etwas reinbringt, was ich mir nie hätte erträumen können, ist das großartig. Als Regisseur muss ich dann nur darauf achten, dass es im Gesamtwerk funktioniert. So wie ein Dirigent der Taktgeber für das Orchester ist oder ein Fußballtrainer seine Mannschaft einstellt.

Der Film spielt in einem Ort namens Sonnenberg, aber auch Städtenamen wie Essen und Hagen fallen. War es dir wichtig, deine Heimatregion – also das Ruhrgebiet – stattfinden zu lassen?

In dem Fall war es Stefan Barth, der das Buch geschrieben hat und selbst aus Hagen kommt. Es war seine Geschichte, ein bisschen beeinflusst von den Erzählungen seines Großvaters. Da war klar, dass wir das so lassen.

Du hast mit „Bang Boom Bang“ seinerzeit eine andere Zielgruppe angesprochen als heute mit „Blood Red Sky“ und „Blood & Gold“. Haben dir Leute das schon mal übelgenommen, oder ist 1999 einfach lange genug her?

Zunächst mal bin ich natürlich stolz drauf, nach nur einem Film überhaupt so etwas wie eine Fanbase gewonnen zu haben. Aber man darf sich von ihr nicht abhängig machen, sonst entwickelt man sich nicht weiter. Ich muss machen, was ich für richtig halte, sonst bin ich nicht gut.

Fühlst du dich bei Netflix nun besser aufgehoben und freier als bei deinen bisherigen Kinoproduktionen?

Netflix war ein Gamechanger. Jahrelang konnte ich nicht die Filme machen, die ich wollte. Sie ließen sich einfach nicht finanzieren. Filme zu drehen, kostet viel Geld, vor allem wenn man mit internationalen Sehgewohnheiten mithalten möchte. Bislang war es so, dass man für die Finanzierung eines deutschen Kinofilms einen Verleih, einen Fernsehsender, verschiedene Förderungen und, wenn das alles nicht reichte, noch einen Weltvertrieb und Eigenkapital brauchte. Alle Geldgeber haben unterschiedliche Ansprüche an ihr Produkt. Jeder redet einem rein. Da ist es schwierig, eine Vision konsequent umzusetzen. Mit „Blood Red Sky“ war ich schon ziemlich weit gekommen. 2013 wollte Universal International den Film machen, damals war David Kosse dort Chef. Doch auch er konnte den Film nicht auf die Beine stellen. Jahre später rief er mich dann wieder an, als er gerade dabei war, Netflix London aufzubauen. Ihm war das Buch nie aus dem Kopf gegangen, und es sollte sein erster Film dort werden. Er hat mir die komplette kreative Freiheit gegeben.

Und daran hat man sich dort auch gehalten? Niemand hat dir reingeredet?

Ich durfte aus den unzähligen Drehbuchversionen, die ich über die Jahre für vermeintliche Interessenten geschrieben hatte, meine Lieblingsfassung erstellen. Das Buch hat alle überzeugt und wurde genauso kalkuliert. Netflix hat mich zudem ermutigt, die besten Leute zu holen, um das Buch nach meinen Vorstellungen umzusetzen. Mit so viel Selbstbewusstsein ausgestattet, kann ich frei aufspielen. Ich kann meinen Job machen, ohne mich in jeder Drehpause am Telefon für irgendwas rechtfertigen zu müssen. Diese Souveränität strahle ich dann auch am Set aus und gebe sie ans Team weiter. Kreative Menschen lassen sich am besten motivieren, wenn man ihnen die Freiheit gibt, im Sinne des großen Ganzen ihr Bestes zu geben. Und so war es jetzt auch bei „Blood and Gold“.

Nach den positiven Erfahrungen mit Netflix … wäre ein weiterer Film fürs deutsche Kino noch eine Option für dich? „Bang Boom Bang – Zwoter Teil“ vielleicht?

Ehrlich gesagt, das möchte ich nicht machen. Der Film ist für sich abgeschlossen, und ich hätte überhaupt keine Idee für einen weiteren Teil. Aber bei „Bang Boom Bang“ war es damals tatsächlich ähnlich. Senatorfilm mochte meine Kurzfilme und wollte, dass ich mein Langfilmdebüt mit dem gleichen Spirit mache. Aber danach hatte sich das Business in Deutschland ziemlich verändert. Plötzlich waren keine „verrückten Ideen“ mehr gefragt, sondern bewährte Konzepte für vermarktungsfähige Produkte, die den breiten Mainstream ansprechen. Für mich war das ziemlich ernüchternd und kräftezehrend, weil ich mit meinen Projekten immer wieder vor verschlossenen Türen stand. Darum kann ich mir gerade nicht wirklich vorstellen, wieder einen Film fürs deutsche Kino zu machen. Außerdem hat mir Netflix ermöglicht, dass „Blood Red Sky“ weltweit von wahrscheinlich mittlerweile über 100 Millionen Menschen gesehen wurde.

Gehst du denn selbst noch ins Kino?

Na ja, wir sind gerade noch mal Eltern geworden … (lacht) Ganz ehrlich, nachdem ich abends meinem älteren Sohn vorgelesen habe, schlafe ich meistens neben ihm ein, weil ich morgens um halb 6 Uhr schon wieder von dem Jüngeren geweckt werde. Es gibt so viele Filme, die ich gern sehen würde, aber ich komme gerade nicht dazu. Ich hoffe, dass sich das alles wieder entspannt, wenn der Kleine erstmal durchschläft.

Ihr lebt in München, aber du kommst ursprünglich aus Unna im Ruhrgebiet. Dazwischen wart ihr in Köln und Berlin. Warum also jetzt Bayern? Das Mindset ist dort ja schon ein anderes irgendwie …

Meine Großmutter hat bei Bad Reichenhall gewohnt, und ich bin in meiner Kindheit in den Ferien immer dort gewesen. Und ich war in München auf der Filmhochschule, das hat mich sehr geprägt. Berlin war auf jeden Fall eine coole Phase. Aber als meine Partyzeit vorbei war, hat mich die Stadt von heute auf morgen extrem gestresst. Gerade freunde ich mich wieder mit ihr an. Köln ist super, das vermisse ich auch ein bisschen, vor allem die Leute dort. Natürlich ist es jetzt mit Familie noch mal anders, wir wohnen sehr schön in München und genießen das Umland und die Berge. Mal sehen, wie lange das so geht. Irgendwie hält es mich nirgendwo länger als zehn Jahre, aber mit Kindern ist man natürlich nicht mehr so sprunghaft.

Previous post „Blood & Gold“: Grindhouse-Kriegsfilm made in Germany
Next post „Asteroid City“Extraterrestrischer Abstecher in die 50er-Jahre