Rea Garvey: „Unsere Aufgabe ist, Hoffnung zu schaffen“

Rea Garvey: „Unsere Aufgabe ist, Hoffnung zu schaffen“

Rea Garvey ist trotz Corona-Krise viel beschäftigt. Nicht nur, dass er derzeit wieder in der Jury von „The Voice“ sitzt, jetzt veröffentlicht der gebürtige Ire auch noch ein neues Album. Mit ntv.de spricht er über veranstaltungslose Zeiten, Fehler der Politik und die Rolle als musikalischer Hoffnungsträger.

Rea Garvey ist seit Ende der 1990er im Geschäft. Der einstige Frontmann von Reamonn hat sich längst auch ohne die seit 2010 getrennte Band einen Namen gemacht und ist durch sein Engagement als Juror bei „The Voice of Germany“ inzwischen obendrein ein bekanntes TV-Gesicht.

Jetzt veröffentlicht der gebürtige Ire mit „Hy Brasil“ seinen bereits fünften Solo-Longplayer. Benannt ist er nach einer irischen Phantominsel, die es nur auf Karten aus der Rennaissance und der Neuzeit gibt, die in der Realität allerdings nie existierte. Mit ntv.de spricht der 47-Jährige über die kritische Situation der Veranstaltungsbranche, seine Idee von guter Politik und darüber, wie man trotz allem vorsichtig optimistisch bleibt.

ntv.de: Am Tage dieses Interviews, also quasi soeben, ist dein Heimatland Irland als eines der ersten Länder wieder in den Lockdown zurückgegangen. Du hast noch Familie dort, schätze ich?

Rea Garvey: Ja, sehr viel Familie sogar. Ich bin sehr froh, dass ich die Lücke genutzt habe, um nach Hause zu fliegen und sie zu sehen. Das war eine weise Entscheidung. Wir sind sehr eng innerhalb der Familie, und wir hatten uns ein halbes Jahr nicht gesehen. Das wäre kein schönes Jahr, ohne sich noch mal getroffen zu haben. Ich versuche, das Positive zu sehen. Es gibt Zoom, FaceTime … Klar, eine Umarmung kann man bislang digital nicht ersetzen. Ich glaube, dass wir uns kurz gesehen haben, hat uns Kraft gegeben, um die nächste Zeit zu überstehen. Es ist schwierig für jeden älteren Menschen, der Angst hat vor Corona, und da sind meine Eltern nicht anders. Wir treffen uns aber online jeden Mittwoch, machen ein Pop-Quiz und andere Dinge, und haben sowieso ganz viel gemeinsam gemacht im ersten Lockdown. Ich denke, dass viele Leute in dieser Zeit merken, was wirklich wichtig ist im Leben.

Dann kommst du mit der Situation also privat einigermaßen gut klar. Wie aber sieht es beruflich aus?

Es sind so viele Ebenen. Die persönliche, die berufliche, die Songwriting-Ebene, die väterliche, die brüderliche Ebene, die des Ehemannes. Manchmal finde ich, wir suchen nach jemandem, der eine Lösung für alles hat. In der Realität hat Corona viele verschiedene Probleme kreiert, und es ist besser, eins nach dem anderen anzugehen. Man kann nicht alle auf einmal lösen.

Und das Problem des Veranstaltungsverbots steht leider sehr weit unten auf der Liste …

Ja, die Veranstaltungsbranche ist lahmgelegt. Seit Februar sind circa eine Million Menschen aus diesen Bereichen arbeitslos. Im kleinen Kreis derer, die mit mir arbeiten, wissen wir, dass wir uns aufeinander verlassen können. So wie ich mich immer auf sie verlassen habe, wissen sie, dass sie sich jetzt auf mich verlassen können. Aber das löst natürlich nicht das Problem für alle. Politik und politische Entscheidungen in dieser speziellen Zeit sind sicher nicht einfach. Ich wünsche mir Politiker, die einen kühlen Kopf bewahren, zuhören und ihr eigenes Profil hintanstellen. Diese Ruhe, Uneitelkeit und Geradlinigkeit, die Angela Merkel in Ihrer Position gerade zeigt, egal was man von ihrer Parteiangehörigkeit hält, tut gut. Wir brauchen mehr davon. Echte Menschen, die nicht nur daraufhin arbeiten, beim nächsten Mal wieder gewählt zu werden, sondern die sich den Situationen stellen, Lösungen suchen und Ziele im Auge behalten. So findet sich hoffentlich auch ein Weg aus dieser veranstaltungslosen Stille.

Du gehörst also nicht zu den zehn Prominenten, die Attila Hildmann angeblich „bekehrt“ hat und die sich bald in den sozialen Medien „outen“ wollen?

Ich habe seine Liste nicht gesehen, aber ich will das gar nicht glauben. (lacht) Wir leben in einer Zeit, in der man unbedingt widersprechen muss, wenn einem unterstellt wird, ein Verschwörungstheoretiker zu sein, ansonsten ist man es wohl wirklich. Und ich würde dem widersprechen. Ich bin jemand, der lieber mit Fakten umgeht. Die zu finden, ist gerade nicht so leicht, aber es sollte unser Ziel sein. Es gibt nicht meine Fakten und deine Fakten, es gibt nur Fakten.

Fakt ist, du hast ein neues Album fertig. War das ohnehin zu diesem Zeitpunkt geplant oder hat die Pandemie den Prozess beschleunigt?

Ich wollte gar nicht ins Studio gehen, weil ich zu schlecht gelaunt war. Aber ich hatte 2019 schon sehr viel geschrieben, und dann habe ich die Zeit abgewartet, bis ich in der Lage war, das Album zu machen. Im Studio habe ich mich ständig beim Tanzen erwischt und gemerkt, wie es mich motiviert hat. Davor hatte ich nur Corona im Kopf und dachte: Wen interessiert noch, was ich im Studio mache?! Ich genieße es jetzt, über das Album zu reden, und ich hoffe, dass es bei anderen dieselbe Wirkung hat wie bei mir.

Es ist insgesamt tatsächlich eher lebensbejahend und kommt damit vielleicht genau zur richtigen Zeit. Trübsal gibt es ja schon genug.

Ich denke, es ist die Aufgabe von jedem, das ein bisschen aufzulockern und zu sagen, dass es ihm wie allen geht. Dann hat man das Gefühl, zur Mehrheit zu gehören und verspürt Erleichterung. Mein Album hat gar nichts mit Corona zu tun, nicht eine Minute hat mich Corona inspiriert oder mir Kraft gegeben. Es war eher eine Beschränkung. Aber wenn ich in Amerika in einem kleinen Studio arbeite, ein Kabel geht kaputt und ich bekomme nirgends ein solches Kabel, dann muss ich mit diesem Problem umgehen, um die Platte fertig zu kriegen. Und Corona ist das Gleiche. (lacht) Ich lasse mich nicht so beschränken, dass ich nichts machen kann.

Und du hast wirklich keinen einzigen der Songs noch im letzten Dreivierteljahr geschrieben?

Doch, „Just A Minute“ zum Beispiel. Dabei geht es um eine Beziehung und darum, sich Zeit zu nehmen. Das Tempo, das mein Leben vor Corona hatte, war nicht gut, sodass ich mich schon gefragt habe, warum mache ich das jetzt gerade, wenn Beziehungen auch zu Freunden darunter leiden. Ich will abends mit meiner Frau spazieren gehen, den Hund ausführen, meine Familie sehen. Ich will mein Leben erleben. Früher sprach man von der Work-Life-Balance, jetzt ist es die Life-Balance. Es war wichtig, dass ich das ändere. Ich hatte das Gefühl, dass das Leben für mich eine Art Rhythmus war, ich musste unbedingt dieses und jenes erleben. Wenn ich das gemacht habe, dann kam das Nächste. Aber so kann man mit Menschen in seinem Umfeld nicht umgehen.

Bei aller Besinnung wirst du mit dem neuen Album dennoch live spielen wollen. Das Großkonzert in Düsseldorf, bei dem du dabei gewesen wärst, ist ja kurzfristig gecancelt worden. Glaubst du denn, dass Konzerte wieder stattfinden können?

Ich denke, es kommt immer das, was die Mehrheit will. Da reichen 1,2 Millionen Mitarbeiter nicht, das müssen 80 Millionen wollen, damit sich in der Politik was ändert. Wenn die Politik das Gefühl hat, dass die Lautesten die in der Hotelindustrie sind, reagiert sie darauf. Sie reagiert ganz langsam, wenn überhaupt, auf die Veranstaltungsindustrie. Ich war auch mit Alarmstufe Rot auf der Straße, denn ich gehöre zu dieser Industrie. Man hat die Hoffnung, dass die Politik sich äußert und positiv damit umgeht. Denn irgendwann ist Ende. Jemand aus meinem Team ist jetzt Elektriker auf der Baustelle, er hat eine Umschulung gemacht. Davor ziehe ich meinen Hut. Aber manchmal ist man eben in der Situation, dass man Unterstützung vom Staat braucht. Ansonsten ist die Industrie irgendwann weg.

Wäre denn ein Rea-Garvey-Konzert unter besonderen Hygienebedingungen eine Option? Die Tour ist ja schon für kommendes Frühjahr geplant …

Im Moment ändern sich die Bedingungen ständig. Es gibt aber eben Bedingungen, die können erfüllt werden, das wäre in Düsseldorf auch so gewesen. Herr Spahn hat dann aber gesagt, es sind zu viele Menschen auf einmal. Alle anderen haben genickt. Ich finde es okay, es ist die Aufgabe der Politiker, das Beste für alle auszusprechen. Und unsere Aufgabe ist es, Hoffnung zu schaffen. Wir hoffen, dass April, Mai alles okay sein wird und wir spielen können. Ich lebe von der Hoffnung. Wenn das nicht klappt, dann werden wir eben was anderes planen.

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