Robert Stadlober: „Die Leute glauben dem ‚Staatsfunk‘ nicht mehr“

Robert Stadlober: „Die Leute glauben dem ‚Staatsfunk‘ nicht mehr“

In „Führer und Verführer“ übernimmt Robert Stadlober die Rolle von Adolf Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels. Im Interview mit ntv.de spricht der 41-jährige Schauspieler unter anderem über toxische Männlichkeit und was wir heute von damals lernen sollten.

Seit seinem Auftritt in Leander Haußmanns „Sonnenallee“ vor fast einem Vierteljahrhundert ist Robert Stadlober, obwohl selbst Österreicher, aus dem deutschen Kino nicht mehr wegzudenken. Für sein neuestes Projekt widmet sich der 41-Jährige nun auch noch dem schwärzesten Teil der deutschen Geschichte, an dem – wie es der Zufall will – ein Österreicher maßgeblich beteiligt war. Doch spielt Stadlober in „Führer und Verführer“ nicht etwa Adolf Hitler, sondern dessen nicht minder gerissenen und menschenfeindlich agierenden Propagandaminister Joseph Goebbels.

Im Interview mit ntv.de spricht Robert Stadlober über toxische Männlichkeit, was wir heute von damals lernen sollten und mit welchen Hoffnungen er in Zeiten wie diesen in die Zukunft blickt.

ntv.de: Robert, wenn man das Angebot bekommt, eine Rolle wie Joseph Goebbels zu spielen, sagt man sofort zu, weil es eine einmalige „Chance“ ist, oder sind die Zweifel größer?

Robert Stadlober: Ich habe meine Rollen nie als Chance gesehen. So habe ich mein Leben noch nie verstanden. Das, was ich mache, würde ich nicht als Karriere sehen, sondern ich mache das, was mich innerlich umtreibt. Und trotzdem war es eine Entscheidung, die mir nicht leichtgefallen ist, weil man ja eine Verantwortung hat, den Opfern dieser Politik und dieses Mannes gegenüber, aber auch eine Verantwortung sich selbst und seiner Familie gegenüber. Es geht nicht darum, ob ich die Rolle nicht mehr loswerde. Erstmal sind diese Gedanken in mir, und ich muss mich mit diesen Inhalten auseinandersetzen. Und die trägt man in sein Leben.

Ist das Wahren der Distanz die größte Herausforderung oder gibt es noch etwas anderes, das dich erstmal hat zweifeln lassen?

Man kann in dem Sinne scheitern, dass man halt ein weiteres Abziehbild, eine weitere Karikatur wird, die es in der Filmgeschichte schon oft gab von diesen Nazis. Oder ob man es schafft, eine Facette hinzuzufügen, die möglicherweise dazu führt, dass Leute das anders sehen, als sie es gesehen haben, bevor sie sich den Film angeschaut haben. Und das war dann der Punkt, wo ich dachte, okay, bei dem Film wird mir tatsächlich im Drehbuch schon was Neues erzählt, was mich interessiert. Und dann hatte ich gedacht, das ist ja letzten Endes meine Grundverantwortung in meinem Beruf. Ich möchte Geschichten erzählen, die dazu führen, dass Menschen Sachen hinterfragen.

Das Projekt ist historisch fundiert, da Regisseur Prof. Dr. Joachim Lang selbst vom Fach ist und zudem Unterstützung von Thomas Weber, Professor für Geschichte, erhielt. Hat dir das bei der Entwicklung der Figur geholfen?

Ich bin schon sehr einsiedlerisch unterwegs. Ich rede nicht gerne mit vielen Leuten darüber. Es gibt Leute, die nähern sich über lange Diskussionen an. Ich mache das mit mir selbst aus und kann oft gar nicht genau benennen, was ich brauche, um eine Rolle zum Leben zu erwecken. Es ist ein ziemlich intuitiver Prozess. Und klar war das jetzt hier gut zu wissen, dass man sich auf Leute verlassen kann und bestimmte Daten einfach erfragen, sich bestimmte Zusammenhänge schnell sagen lassen kann. Das ist bei Joachim, einem Historiker, hilfreich gewesen. Ich habe mich schon lange und viel mit dieser Zeit und ihren Auswirkungen auf unsere Welt beschäftigt und wusste auch selbst schon relativ viel. Mich hat vor allem interessiert, einen Film zu machen, der die Bilder zeigt, die Goebbels zu verhindern versuchte. Wir sehen ihn ja in Situationen, in denen er nicht wollte, dass wir ihn sehen. Das fand ich als Schauspieler spannend.

Kannst du das konkretisieren?

Was hat Goebbels versucht zu vertuschen? Die Absurdität, die Unzulänglichkeit, das Nichtgerechtwerden dem Ideal, das sie alle propagiert haben. Niemand in dieser Führungsriege ist der blonde, großgewachsene, willensstarke Mensch, den sie als Ideal gefunden hatten. Als Schauspieler das aufzubrechen, zu sehen, welche Inszenierung Goebbels von sich selbst geschaffen hat und was er versucht zu vertuschen, fand ich interessant. Goebbels sprach oft in einem niederrheinischen Singsang, den er zu unterdrücken versuchte, um stattdessen „Nibelungen-Deutsch“ zu sprechen, was ihm nicht gelang. Er wollte wie ein starker Mann aussehen, war aber klein, humpelnd und hatte Substanzprobleme. Mit diesen Aspekten zu arbeiten und sie als Schauspieler zu dechiffrieren, fand ich sehr interessant.

Ähnlichkeiten zu aktuell lebenden Personen sind natürlich Zufall. Aber toxische Männlichkeit ist unter Despoten mehr als nur weit verbreitet …

Eines der wichtigsten Vorbereitungsinstrumente für mich war „Männerphantasien“ von Klaus Theweleit. Darin wird das Männlichkeitsbild im Militarismus und Nationalsozialismus dezidiert auseinandergenommen. Es hat eine komische Faszination für andere Männer und den seltsamen Versuch, eine Männlichkeit herzustellen, die zumindest von außen seltsam wirkt und toxisch ist.

Bei TikTok ist Hitler inzwischen zu einem Meme verkommen. Wird die Gefahr dieser toxischen Maskulinität heute nicht mehr ernst genug genommen?

Ich glaube, jede Generation erarbeitet sich ihren Zugriff auf Geschichte und die eigenen Kulturtechniken. Die Kulturtechnik dieser Generation sind Memes. Wenn sie damit Hitler zu einem lächerlichen Mann machen, bin ich damit voll einverstanden. Alles, was diese Führungsriege entzaubert, ist großartig. Eine junge Generation schafft es anders als zum Beispiel meine Generation, zu zeigen, dass die Verantwortung größer war als nur bei zehn Personen. Es war ein ganzes Land. Es mag sein, dass sie von Goebbels verführt wurden und dass er eine Technik gefunden hat, Propaganda in Kultur, Filme und Musik zu verpacken, sodass man es vielleicht nicht mehr so gemerkt hat. Das ist etwas, womit wir uns heute auch noch auseinandersetzen. Nichtsdestotrotz lag die Schuld bei sehr vielen in diesem Land.

Was diese nur nicht wahrhaben wollten. Etwas, vor dem wir auch jetzt nicht gefeit sind…

Genau. Wenn nach 1945 mehr Menschen gesagt hätten: „Ja, wir wurden verführt, aber es tut uns auch leid. Wir haben Fehler begangen. Es war grauenhaft, was wir gemacht haben. Wir haben Menschen getötet, die nichts weiter getan haben als die Menschen zu sein, die sie sind. Es tut uns leid, dass wir dahin verführt wurden,“ dann hätte man, glaube ich, wesentlich früher anders mit diesen Dingen umgehen können. Aber über Jahrzehnte wurde so getan, als wären ein paar Aliens gekommen, die das arme, deutsche Volk geknechtet hätten. Nein, sie haben mitentschieden. Wenn man nach 1945 gesagt hätte: „Ja, es war mir klar, dass meine Nachbarn nicht in Urlaub gefahren sind. Aber ich hatte Angst um mein eigenes kleines Leben und das, was ich aufgebaut habe,“ dann wäre der Umgang damit einfacher gewesen.

Sich diese Schuld einzugestehen, ist aber nicht leicht.

Ich meine damit nicht, dass Lieschen Müller auf der Straße das hätte machen müssen. Aber die Politik hätte es machen können. Da gab es genug Leute, die bis in die 70er Jahre in diesem Machtapparat involviert waren und nie etwas gesagt haben. Sie waren Staatsanwälte und andere Amtsträger.

Dank der Digitalisierung kann zumindest gefühlt heute jeder an alle Infos kommen – echte News, aber auch Fake News. Sich mit Nichtwissen rauszureden, wird also immer schwieriger.

Die Leute kommen ja gar nicht an alle Infos. Die Infos werden immer weiter zusammengestaucht und verengt. Aber sie könnten an alle Infos kommen. Wenn man sich intensiv mit so etwas beschäftigt, werden einem andere Dinge klarer. Die Art und Weise, wie Goebbels Propaganda genutzt hat, war etwas vollkommen Neues. Früher waren diese Sphären relativ getrennt. Es gab die politische Rede, dann ging man ins Theater, ins Konzert, ins Kino oder las ein Buch. Das war alles nicht unbedingt vermischt. Goebbels hat es geschafft, dass man ins Kino ging, sich einen Liebesfilm ansah und danach die NSDAP wählen wollte. Mit dem Volksempfänger und dem Radio hat er es geschafft, Schichten mit Medien zu versorgen, die vorher nie erreicht wurden. Diese Menschen hatten vielleicht keine Zeit, eine Zeitung zu lesen, kein Geld oder die Barriere war zu hoch, um überhaupt zu verstehen, was in der Zeitung stand. Auf einmal waren sie am Puls der Zeit und hatten das Gefühl, Einfluss auf das Zeitgeschehen zu haben.

Das ist durchaus eine Parallele zur heutigen Zeit…

Absolut. Es ist eine Kontinuität, die weitergeht. Die Demokratisierung von Medien war bei der NSDAP auf eine Art auch vorhanden, nur dass es sehr wenige verschiedene Stimmen gab. Auf einmal konnten Leute Stimmen hören, die vorher keine gehört haben. Heute kann sich jemand in seinen Kanal setzen, und man kann ihn von überall her ansehen und Inhalte bekommen, die man sich vor 20 Jahren in der Bibliothek hätte holen müssen. Ob die Inhalte dann gut aufgearbeitet sind, steht auf einem anderen Blatt.

Ohne Social Media hätte es den Arabischen Frühling beispielsweise nie gegeben, aber auch wären die Fronten in Sachen Corona, Russland/Ukraine und Israel/Gaza nicht so verhärtet.

Die Frage ist, ob ein demokratisches Instrument überhaupt bestehen kann, wenn es nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten aufgebaut ist. Kann eine Plattform, die Gewinn machen muss, tatsächlich aufklärerisches Potenzial haben? Das ist eine große Frage. Ob TikTok oder Instagram, ist dabei vollkommen egal. Das sind kommerzielle Unternehmen, die für ihre Shareholder Geld machen müssen. Natürlich wollen sie nicht, dass wir mehr Macht haben und unser Leben mehr in die Hand nehmen. Sie wollen, dass wir weniger selbstbestimmt sind und mehr bei ihnen kaufen. Das ist auch politisch. Das politische Narrativ wird eingeengt, weil je mehr wir demokratisch miteinander verhandeln, desto mehr würden wir ihre Monopolstellung infrage stellen.

Wie soll man dieses Problem 2024 noch lösen? Das Kind ist ja schon lange in den (zum Glück nur) sprichwörtlichen Brunnen gefallen.

Es ist schwierig, dass alle demokratischen Parteien auf diesen Plattformen stattfinden wollen und müssen. Wie lange reden wir schon von einem öffentlichen Internet oder einem öffentlichen Social-Media-Kanal, der europaweit von den Gesellschaften entwickelt wird? Macht natürlich keiner, aber das wäre wahrscheinlich das einzige Gegenmittel. Man müsste dann Leute auf seine Seite holen, die man ungefähr genauso gut bezahlen müsste wie Elon Musk oder Jeff Bezos ihre Leute bezahlen. Das kann man aber nicht, weil man vorher schon die Marktmacht an diese Unternehmen abgegeben hat. Und da wird es dann zur Quadratur des Kreises.

Dennoch bleibt das Gefühl, dass die AfD das Social-Media-Game am besten spielt, während andere Parteien den Anschluss verpasst haben.

Die AfD ist deswegen gut, weil sie komplexe Sachverhalte sehr einfach beantwortet. Mit Antworten, die aber meistens nichts damit zu tun haben. Ich lebe in Österreich. Was die FPÖ macht, ist, die Leute, die sie wählen, kontinuierlich zu verarschen, und das seit Jahrzehnten. Trotzdem haben sie es geschafft, eine hegemoniale Mediensituation für sich zu schaffen. Die Leute glauben dem „Staatsfunk“ nicht mehr und hören nur den Unsinn von der FPÖ. Die Gesetze, die sie dann beschließen, sind gegen die, die sie gewählt haben. Trotzdem funktioniert es irgendwie, weil sie es schaffen, es ihnen weiterhin so zu verkaufen. Das Problem ist nicht, dass die anderen Parteien es nicht schaffen, auf diesen kurzen Medien zu funktionieren, sondern dass die Antworten von liberaleren Politikerinnen und Politikern komplexer sind, als ein TikTok-Algorithmus überhaupt ausspielen kann.

Das ist ein herrlich pessimistisches Interview, was aber wohl schon am Thema eures Films liegt.

Hinzu kommt allerdings, dass man Ausgrenzung der Politik nicht mit Ausgrenzung oder Hass begegnen kann. Du kannst nicht die ganze Zeit sagen „Kein Hass, keine Hetze, ihr seid die Nazis“. Eigentlich musst du als politische Partei das Angebot machen: „Wir bauen eine schönere Welt. Macht doch bei uns mit, weil es mehr Spaß macht. Es wird schöner. Diese Zukunft wird schön.“ Wenn man das nicht macht, sondern immer nur sagt „Du hast ein falsches Wort gesagt, du bist ein Arschloch, verpiss dich zu den Nazis“, dann gehen die Leute natürlich zu den Nazis und sagen „Alles klar, tschüss.“ Das kenne ich aus linken Diskursen schon seit ein paar Jahrzehnten. Es ist immer das Gleiche.

Was ist also deine Hoffnung für diesen Film beziehungsweise all die Menschen, die ihn sich anschauen werden. Welche Erkenntnisse und Lehren können sie daraus ziehen?

Meine Hoffnung ist, dass Leute aus dem Kino gehen und danach miteinander reden. Dass sie einfach wieder ins Gespräch kommen und nicht in irgendwelche Foren schreiben, wie auch immer sie heißen und wem sie gehören. Und ich glaube, dass das Kino das eben kann. Es ist ein kollektives Erlebnis. Das kannst du nicht alleine wegstreamen. Du sitzt zwangsläufig mit 200 Leuten im Kino. Ein notorischer Wunsch wäre, dass die Leute, die zusammen im Kino waren, danach miteinander darüber reden, was sie eigentlich für eine Welt wollen.

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