Roland Kaiser: „Antisemitismus macht mich wütend und traurig“

Roland Kaiser: „Antisemitismus macht mich wütend und traurig“

50 Jahre steht Roland Kaiser nun schon auf der Bühne. Das feiert der 72-Jährige natürlich im Rahmen einer Tour, die ihn sowohl nach Bad Segeberg als auch nach Berlin bringt. Im Interview mit ntv.de verrät der Schlagerstar, was ihn jung hält und wie sehr ihn die aktuelle Nachrichtenlage beunruhigt.

Seit einem halben Jahrhundert steht Roland Kaiser nun schon auf der Bühne. Das feiert der 72-Jährige natürlich im Rahmen einer Tour, die ihn sowohl an Orte wie Bad Segeberg und Iffezheim als auch nach Hamburg, München, Köln und Berlin bringt. Im Interview mit ntv.de verrät der Schlagerstar, was ihn jung hält und wie sehr ihn die aktuelle Nachrichtenlage rund um Rechtsruck und wachsenden Antisemitismus beunruhigt.

ntv.de: Herr Kaiser, wo erwische ich Sie gerade?

Roland Kaiser: In meinem Hotelzimmer. Ich habe jetzt ein paar Telefoninterviews und danach geht es zu den Proben.

Und da gibt es sicher einiges zu tun. Immerhin steht Ihre Tour zum 50. Bühnenjubiläum an, und bei den Shows werden Sie ganze 50 Hits pro Show präsentieren …

Wir mussten natürlich eine Lösung dafür finden, weil wir nicht 50 Titel komplett ausspielen können. Das würde eine Konzertlänge bedeuten, bei der die Fans mindestens die halbe Nacht vor Ort sein müssten. Daher haben wir uns für einen Mix entschieden: Einen Teil meines Repertoires wird es in Medley-Form geben, andere Titel spielen meine Band und ich aus.

Wie wurde denn die Auswahl der Stücke getroffen?

Zum einen sind es die Top-20-Hits, zum anderen Titel, die für mich eine gute Wirkung bei den Konzerten über die Jahrzehnte hatten. Es sind die, die bei den Menschen gut ankamen.

Gibt es bei dieser Tour Konzerte, auf die Sie sich besonders freuen, wie jene im Rahmen Ihrer „Kaisermania“ in Dresden oder in der Berliner Waldbühne, in der Sie im August zweimal hintereinander spielen werden?

Ich bin in Berlin geboren und habe natürlich eine besondere Beziehung zu der Stadt und zu den Menschen dort. Und natürlich auch zur Waldbühne. Ich habe als Gast viele große Künstler dort gesehen und es ist für mich immer eine besondere Ehre, selbst dort auftreten zu können. Natürlich stellt auch die „Kaisermania“ seit vielen Jahren einen Höhenpunkt meiner Open-Air-Konzerte dar. Und dann sind da auch noch die Stadionkonzerte vor 40.000 Menschen, die ich zum ersten Mal in meinem Leben spiele. Natürlich freue ich mich auch darauf sehr.

Können Sie sich noch erinnern, wen Sie in der Waldbühne schon live gesehen haben?

Tina Turner, Paul McCartney, die Rolling Stones, Rod Stewart … und Stevie Wonder mitten im Regen. Es waren alles beeindruckende Konzerte. Die Waldbühne bleibt eine beeindruckende Location, da trotz der Größe viele Menschen recht nah am Künstler sind. Man hat nicht eine solche Distanz zu überwinden – als Künstler und als Zuschauer.

Dann entgeht Ihnen so ja nicht, dass die Altersbandbreite bei Ihren Konzerten sehr groß ist. Wie erklären Sie sich das?

Das könnte daran liegen, dass die Menschen in der heutigen Zeit nach Konstanten suchen. Sie sagen sich: „Der ist seit 50 Jahren da und ich weiß immer, wie er aussieht und was er tut.“ Das hat ein hohes Maß an Verlässlichkeit, was eine Rolle spielen dürfte.

Wann und wo standen Sie denn eigentlich zum ersten Mal auf der Bühne?

Das erste Solokonzert war 1982 in der Hugenottenhalle in Neu-Isenburg. Das liegt in der Nähe von Frankfurt. Ich weiß das noch so genau, weil damals der Programmdirektor vom ZDF, Peter Gerlach, dazukommen wollte. Das war mir sehr wichtig, weil er eine große Persönlichkeit war und ein entscheidender Mann beim Sender. Aber er kam zu spät, weil er in einem Stau steckte. Und da haben wir sieben Minuten auf ihn gewartet. Deswegen habe ich jahrelang alle meine Konzerte immer erst um 20.07 Uhr begonnen. Das tue ich heute allerdings nicht mehr.

Seither hat sich viel verändert im Musikbusiness. Vinyl wurde von der CD abgelöst, die später vom Streaming ersetzt wurde, um nur ein Beispiel zu nennen. Was ist für Sie die wichtigste oder auch die unnötigste Errungenschaft aus dieser Zeit?

Ich bin jemand, der neuen Entwicklungen offen gegenübersteht. Ich finde, neue Entwicklungen zu verdammen, nur weil man sie nicht kennt, ist zu kurz gedacht. Junge Menschen haben heute einen viel leichteren, schnelleren und auch kostengünstigeren Zugang zur Musik, auch wenn sie selbst Musik machen wollen. Insofern würde ich das eher begrüßen als alles andere. Und das wird sich auch irgendwann nivellieren. Es ist spannend, was in der Musik passiert, dass alles möglich ist. Zum Beispiel landet plötzlich eine afroamerikanische Sängerin in den USA einen Country-Hit. Beyoncé hat einfach mal gesagt: „Ich breche dieses Klischee und mache das jetzt.“ Das finde ich toll. Das gefällt mir. Alles ist möglich, es muss nur gut sein. Heute kann man sich bei hoher Qualität viel erlauben.

Wie wichtig ist bei Ihnen das private Umfeld, um dranzubleiben und sich neuen Entwicklungen eben nicht zu verschließen?

Ich arbeite viel mit meiner Tochter zusammen, die ist jetzt 25. Ich bin der Meinung, dass die Generationen voneinander lernen sollten, sowohl Junge von Älteren als auch Ältere von Jungen. Ich bin offen dafür, von meiner Tochter oder meinen Söhnen zu lernen, weil sie eine andere Sicht auf die Dinge haben. Und nur, weil sie jünger sind, ist diese andere Sicht ja nicht falsch. Sie ist nur anders, und da kann auch vieles richtig sein. Und dem zuzuhören, das ist gesund. Es kann immer sein, dass die Jungen recht haben oder ihre Sicht besser ist als meine eigene. Ich lerne gern von einer jungen Generation.

Würden Sie sagen, dass es grundsätzlich in der aktuellen Zeit ein Problem ist, dass die Menschen sich nicht mehr zuhören?

Ja, es ist auch anstrengend, zuzuhören und andere aussprechen zu lassen. Wenn Sie sich Talkshows ansehen, sehen Sie oftmals, dass die Menschen nicht die Geduld haben, ihrem Gegenüber zuzuhören. Dann fallen sie demjenigen ins Wort, was mancher Talkmaster auch gern tut. Das ist ein Stilmittel, das mir nicht gefällt. Ich höre gern Menschen zu und lasse sie gern aussprechen.

Es gibt Kollegen Ihres Alters aus der Unterhaltungsbranche, die sich gegen Veränderungen lieber sperren. Gendern ist gerade ein solches Aufreger-Thema, das Sie hingegen eher kaltzulassen scheint …

Sprache verändert sich laufend. Ich bin jetzt 72 Jahre auf der Welt und nehme an, ich habe mit drei oder vier Jahren angefangen zu sprechen. Die Sprache hat sich seither extrem verändert. Dem gilt es Rechnung zu tragen. Das machen auch der Duden und Kommissionen in Deutschland, die sagen, wir müssen unsere Sprache den Gegebenheiten anpassen. Wir sprechen eben heute anders als vor 50 Jahren. Diese Entwicklung hat auch viele gute Seiten. Ich habe allerdings auch schon immer Künstlerinnen und Künstler, Damen und Herren, Lehrerinnen und Lehrer gesagt …

Dass man überhaupt darüber diskutieren muss, ist schon traurig genug.

Es ist völlig in Ordnung, wenn wir den Gedanken zulassen, dass der Mensch so glücklich sein darf, wie er möchte. Die Kölner haben einen einfachen Satz dafür: „Jeder Jeck ist anders!“ Das Höchstmaß an Toleranz ist doch in Ordnung.

In Ihren Songs und auf Ihren Konzerten sind sie weitgehend unpolitisch, in Interviews oder auf anderen Bühnen positionieren Sie sich aber dann doch immer wieder.

Bei meinen Konzerten habe ich mit den Menschen ein stilles Abkommen. Sie kommen zu mir, um zweieinhalb Stunden abschalten zu können und Unterhaltung zu genießen. Und ich bin dafür zuständig, das umzusetzen. Wenn ich Interviews führe, ob mit Ihnen oder Ihren Kolleginnen und Kollegen, kann ich gern zu politischen Fragen Stellung nehmen. Aber die Bühne zu nutzen, um eine Ansprache zu halten, das vermeide ich.

Was sind die Themen, die Sie gerade beschäftigen?

Mich machen der Rechtsruck – nicht nur in Deutschland, sondern in Europa generell – und der Antisemitismus wütend und traurig. Dass wir in einem Land wie unserem, nachdem wir dieses Verbrechen an jüdischen Menschen begangen haben, immer noch Ressentiments vor uns hertragen und schon wieder bereit sind, Gewalt auszuüben. Wenn ich überlege, dass in Berlin jüdische Männer unterwegs sind, die ihre Kippa abnehmen müssen, um nicht zusammengeschlagen zu werden, dass jede Synagoge beschützt werden muss, dann finde ich das schrecklich.

Wie lösen wir das Problem?

Wir können nur immer wieder versuchen, die Menschen damit zu penetrieren, indem wir etwas sagen. Ich war kürzlich bei einem Demonstrationszug dabei und habe dann am Brandenburger Tor eine Rede gehalten. Uns haben Tausende Menschen zugehört. Das war wichtig. Solche Dinge sind wichtig, die muss man wiederholen, damit die Menschen wach werden.

Und man kann nur hoffen, dass man auch jemanden außerhalb seiner Bubble damit erreicht …

Diese Frage müssen sich auch alle Journalistinnen und Journalisten stellen. Erreichen sie nicht nur die Leute, die ohnehin schon ihrer Meinung sind? Man muss trotzdem etwas sagen, damit man auch Menschen erreicht, die nicht derselben Meinung sind. Vielleicht fangen die dann zumindest an, zu überlegen.

Sie sind – rein beruflich – auch in den sozialen Medien vertreten, die – wie Tiktok – für etliche Fehlinformationen verantwortlich sind, welche Antisemitismus und Rechtsruck befeuern. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorgen?

Was mir Sorge bereitet, ist die Nicht-Bereitschaft, sich umfassend zu informieren. Logischerweise macht einem das Sorgen. Aber ich würde das nicht der Plattform zuschreiben, sondern der Umgangsweise mit derselbigen. Die ist das Problem. Meine Social-Media-Arbeit macht meine Tochter, weil sie das sehr viel besser beherrscht als ich. Und das macht sie auch sehr vernünftig und sehr klug. Wir achten sehr darauf, dass wir keine Dinge tun, die mit meiner politischen Meinung kollidieren würden.

Ihre Tour ist Ende August zu Ende. Wie geht es danach für Sie weiter?

Im Februar oder März kommenden Jahres erscheint ein neues Album und für nächstes Jahr ab April planen wir eine neue Tournee.

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