Gerade war Simina Grigorius erstes Album »Exit City« erschienen, als FAZE TV sie in Berlin traf und gleich eine ganze Woche mit ihr verbrachte. Das war vor vier Jahren. So viel Zeit hat die 35-Jährige heute nicht mehr. Seit ziemlich genau einem Jahr sind sie und Ehemann Paul Kalkbrenner Eltern einer Tochter namens Isabella Amelie und das verlangt einem mehr ab als jedes mehrstündige DJ-Set – und womöglich auch mehr als die Produktion eines neuen Albums. Das gibt es von Simina auch erst mal nicht. Stattdessen hat sie sich entschlossen, ein neues Label, ein neues Projekt und damit einhergehend eine Reihe von EPs an den Start zu bringen. Warum das so ist und was sich überhaupt seit dem Release des Debüts im Leben der in Bukarest/Rumänien geborenen und in Toronto/Kanada aufgewachsenen Simina getan hat, hat uns die Wahlberlinerin im Interview erzählt.
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Wie sehr hat sich dein Leben seit der Veröffentlichung von »Exit City« tatsächlich verändert?
Es ist wirklich schon eine Weile her, dass ich gemeinsam mit Sven Schäfer von einer Autobahnbrücke am Flughafen Tegel aus den Flugzeugen beim Starten und Landen zuschaute. Wir sprachen über das Leben und natürlich die Musik. Seitdem hat sich einiges getan. Ich habe die Liebe meines Lebens geheiratet. Wir haben ein Haus gekauft und ein Kind auf die Welt gebracht. Dazu habe ich noch einige neue Tracks produziert, während meiner Schwangerschaft sogar ein ganzes Album. Ich bin nach wie vor stolz auf »Exit City«, schon weil ich es ganz allein produziert und in diesem Prozess eine Menge gelernt habe. Immerhin war ich dafür ein ganzes Jahr im Studio und habe mich noch nie so sehr mit etwas verbunden gefühlt, das ich produziert habe. Nicht mal meiner Abschlussarbeit an der Uni habe ich seinerzeit so viel Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet. Und am Ende war es für mich selbst nicht mal besonders einfach, die Tracks meines Albums in meine eigenen Sets einzubauen – die sind nämlich viel härter als die Stücke auf »Exit City«. Ich bin in erster Linie DJ und kein Live-Act, also bin ich in der glücklichen Lage, spielen zu können, was immer ich möchte. Für mein aktuelles Projekt Techno Monkey habe ich mich musikalisch dann in eine komplett andere Richtung bewegt, sodass diese Stücke hervorragend in meine Sets passen. Deeper, melodiöser Techno mit dem gewissen Etwas.
Wie schwer war es für dich als Zugezogene mit einem doch nicht ganz unbekannten Ehemann, dich von diesem künstlerisch loszusagen und den Leuten draußen klar zu machen, dass Job und Liebe bei euch zwei getrennt voneinander zu behandelnde Themen sind?
Ich war diesbezüglich extrem starrköpfig und habe alles daran gesetzt, es der Öffentlichkeit zu beweisen. Und im Grunde tue ich das noch immer. Es war superwichtig für mich, die Leute wissen zu lassen, dass ich das Album ganz allein produziert habe, dass ich keinen Toningenieur oder Produzenten dafür engagiert habe. Natürlich hat Paul mich wahnsinnig unterstützt, indem er mich als Support mit auf Tour genommen hat. Das hat es mir überhaupt erst möglich gemacht, mich einem so großen Publikum auf diese Weise zu präsentieren, und ich danke ihm jeden Tag für sein Vertrauen in mich. Doch anstatt mich einfach an seinen Rockzipfel zu hängen, wollte ich aus dieser Chance etwas machen. Ich konnte so beweisen, dass ich allein für meine Musik stehe und den Weg meines eigenen Bassdrum-Beats gehe. Wenn ich »Exit City« heute höre, würde ich im Nachhinein tausend Dinge ändern und bereue einige Entscheidungen, aber so geht es wohl vielen Künstlern. Ich wollte unbedingt alles selbst machen, aber bin eben kein Toningenieur. Als solcher hätte ich den Sound grundsätzlich sicherlich noch verbessern können, so ehrlich muss ich wohl sein. »Luminitza« habe ich für meine Mutter gemacht, der Track berührt nach wie vor mein Herz. Für mich ging es zu dieser Zeit mehr um den Inhalt als um die Soundqualität. Das muss ich mir wohl noch abgewöhnen. Und nun habe ich begonnen, mit meinem Bruder Daniel aka Moe Danger zu arbeiten. Er ist jetzt mein Soundmann im Studio und extrem talentiert. Daniel bringt eine Menge kreative Ideen mit ins Studio und er hilft mir, Tiefe und Substanz in meine Tracks zu bringen. Die Basslines werden mit ihm fetter, die Melodien schöner und doofe Frequenzen ausgemerzt. Er ist ein Genie.
Damit wächst der elektronisch aktive Part in der Familie ja schon mal zu einem Quartett heran. Paul, Fritz, Simina und Moe Danger …
Und Daniel produziert bereits seit mehr als 20 Jahren. Er ist vier Jahre jünger als ich, aber ausgebildeter Gitarrist und Pianist und auch noch der beste Schlagzeuger überhaupt. In Toronto hat er viele Jahre Kindern Gitarrenunterricht gegeben und nun hat er auch noch die Muße, mir das Arbeiten mit »Melodyne« beizubringen. Er ist der eigentliche Musiker in unserer Familie, ich selbst bin einfach nur gut auf der Bühne und kreativ im Studio. Pauls Eltern sind Journalisten, meine Architekten. Grundsätzlich sind wir also tatsächlich eine recht künstlerisch veranlagte Familie.
Du sagst, du hast während der Schwangerschaft quasi ein Album produziert, veröffentlichst nun stattdessen aber eine Reihe von EPs. Warum hast du dich für diesen Weg entschieden?
Ich habe mit Kuukou Records ein eigenes Label gegründet und starte mit Techno Monkey mein bereits erwähntes neues Projekt. Das wird im Verlauf dieses Jahres von einer EP-Serie eingeführt. Ich habe mich mit vielen Leuten diesbezüglich besprochen – Manager, Booking-Agentur und Ehemann waren nur einige davon – und so beschlossen, das Album in EPs aufzusplitten, weil für die jüngere Generation von Musikliebhabern das Format Album keine große Rolle mehr spielt. Für mich macht es so irgendwie mehr Sinn. Wir haben da einige großartige Tracks und super Remixer und ich freue mich sehr auf dieses neue Abenteuer. Und ich freue mich auch wahnsinnig auf den Sommer, denn der letzte stand ja erst mal ganz im Zeichen meiner kleinen Familie. Mutti möchte zurück an die Arbeit. Ich bin sehr aufgeregt.
Gutes Stichwort. Wie schwer oder – dank der Unterstützung von Ehemann und Familie – leicht ist es, als junge Mutter in einen solch zeit- und reiseintensiven Job zurückzukehren?
Na ja, eine »junge« Mutter bin ich ja nicht, ich werde diesen Monat 35 (lacht). Aber ich fühle mich tatsächlich jung und meine kleine Prinzessin hält uns ziemlich auf Trab, macht uns aber auch wahnsinnig glücklich. Zu Hause herrscht eine ganz schöne Dynamik. In Sachen Studiozeit sind wir flexibel und unsere Gigs sind in der Regel am Wochenende. Sonst sind wir in der glücklichen Lage, immer zu Hause sein zu können – und selbst, wenn wir auf Tour sind, sind wir immer nur ein paar Tage am Stück weg. Ich versuche, die Balance zwischen den Rollen als Mutter, Ehefrau, Künstlerin, DJ und Produzentin, Reisende und Techno Monkey zu halten. Das geht nur mit der Unterstützung von Paul und bei der Fortsetzung meiner Karriere steht er voll hinter mir. Wir trennen unsere beruflichen Belange und haben auch zwei unterschiedliche Teams, die für uns arbeiten. Aber im echten Leben sind wir eben das Team. Er glaubt an mich. Er möchte, dass ich Erfolg habe. Er wechselt Windeln und steht mitten in der Nacht auf, um sich ums Baby zu kümmern, damit auch ich mal schlafen kann. Er übertrifft all meine Hoffnungen und Erwartungen, wie ein Vater sein sollte. Ich bin sehr stolz auf ihn und dankbar für alles, was er für unsere kleine Familie tut.
Wie sehr hat die Geburt deiner Tochter dich als Menschen verändert? Sind dadurch andere Dinge in den Fokus gerückt?
Zum Beispiel das Wechseln von Windeln? Ja, absolut (lacht). Isabella hat mich auf jede erdenkliche Weise verändert, und zwar immer nur zum Besseren. Ich bin ruhiger geworden, fürsorglicher, aufmerksamer und definitiv weniger egoistisch. Im Nachhinein fühlt es sich an, als hätte ich früher eine Menge Zeit verschwendet. Aber ich schweife ab. Auf jeden Fall haben sich meine Prioritäten verschoben. Sie ist mein Lebenselixier. Klar, ich bin mit viel Leidenschaft bei der Musik und meiner Karriere, aber meine Familie ist für mich eben doch das Wichtigste.
Inspirieren dich damit auch andere Dinge bei deinen Produktionen? Früher war es ja vornehmlich das Reisen … Du hast häufig mit Field Sampling gearbeitet. Nimmst du nun deine Tochter auf und baust sie in deine Tracks ein?
Ja, ich habe sie wirklich aufgenommen. Und ja, ich bin die selbst ernannte Sample-Queen. So habe ich quasi begonnen, meine Musik zu produzieren, weil ich es einfach nicht besser wusste. Ich habe an einer Schule für Graphic Communication Management studiert und einen Abschluss u. a. in Unternehmertum und Marketing. Das hat mit Musikproduktion herzlich wenig zu tun. Ich saß dann in Toronto in meinem Apartment und habe mir YouTube-Tutorials angeschaut und meine Producer-Freunde nach Tipps und Tricks befragt. Das alles lief parallel zu einem normalen Job unter der Woche und einem hinter der Bar am Wochenende für ein bisschen Extrakohle. Es war wenig Zeit da zum Produzieren, aber das war eben meine Leidenschaft und ich habe jede freie Minute dafür genutzt. Während andere mit analogem Equipment warme und runde Sounds produzierten, bearbeitete ich Samples so lange, bis sie mir in den Kram passten. Aber was mich am meisten bewegt und inspiriert, sind deepe, darke, fat-ass Basslines, die deinen Hintern auf dem Dancefloor in Bewegung versetzen. Das wird sich nie ändern.
Vielleicht ist es dafür noch etwas früh, aber wie sieht musikalische Erziehung im Hause Kalkbrenner aus? Worauf kann sich eure Tochter gefasst machen?
Ich habe Isabella bereits zu einer Musikklasse angemeldet. Es ist ein bisschen wie im Film. Eine Handvoll Mütter – und ein Vater – sitzen mit den Babys im Kreis und ein Mädchen spielt Songs auf einer Akustikgitarre. Dazu wird gesungen, geklatscht und auf den Boden gestampft. Ich wusste das zwar vorher nicht, aber der Kurs wird in Deutsch und Englisch abgehalten, sodass die Kinder direkt die Basics beider Sprachen lernen. Das ist fantastisch. Es hat bereits die Liebe zur Musik in Isabella geweckt. Sie steht auf und tanzt zu ihren Songs, wenn sie sie hört. Und mein Bruder Daniel bringt ihr ein bisschen das Klavierspielen bei. Das ist echt irre. Natürlich kann man nicht sagen, was für Musik und welche Bands sie später mögen wird. Vielleicht Nirvana und Metallica wie ihre Mutter oder Peter, Paul and Mary wie ihr Dad. Ich finde es nur wichtig, dass sie Zugang zu so viel Musik wie möglich bekommt. Sie soll sich da komplett frei fühlen. Ich werde sie jederzeit ermutigen, ein Instrument zu spielen, Krach zu machen und sich auszuleben.
Welche Rolle spielt Paul, wenn du aus dem Studio kommst und neues Material produziert hast? Spielst du es ihm zumindest mal vor? Ist er ein harter Kritiker oder eher sehr wohlwollend, wenn es um deinen Sound geht?
Er ist wundervoll und so wie ich seine Musik respektiere, so respektiert er auch meine. Aber er ist ein Macher, kein Lehrer. Deswegen ist er so gut in dem, was er tut. Er ist stolz auf meine Arbeit und hat manchmal aber auch eine andere Meinung. Manche Ratschläge nehme ich an, manche nicht. Auf technischer Ebene schätze ich seinen Input immer, denn er ist einfach ein großartiger Produzent. Da wäre es dumm, sich nichts sagen zu lassen. Auf kreativer Ebene aber mache ich mein eigenes Ding. Es kommt durchaus vor, dass er ins Studio kommt, sich meine Sachen anhört und hier und da technische Tipps gibt. Ich liebe das, dieser Input ist immer willkommen. Aber ich nehme eben nicht jeden Vorschlag an. Da bin ich stur, da bin ich Künstlerin und habe meine eigene Vision.
Du bist jetzt bereits seit ein paar Jahren in Berlin. Hat die Stadt für dich immer noch dieselbe Magie wie am Anfang?
Mit Baby sehe ich die Stadt inzwischen natürlich von einer anderen Seite. Ich war ein wildes Ding und jetzt gehe ich nicht mal mehr bei Rot über die Ampel. Die Magie ist aber noch immer da, nur entdecke ich gerade eine neue, andere Magie – auf dem Spielplatz und in der Krabbelgruppe. Oder einfach zu Hause. Am meisten liebe ich es, ein freies Wochenende in Berlin zu haben. Manchmal springen wir einfach ins Auto und fahren ziellos herum, um Berlin für uns selbst neu zu entdecken und die Stadt unserem kleinen Mädchen zu zeigen. Wenn man so viel reist, bleibt man an den wenigen freien Tagen schnell daheim kleben. Die Zeit zu Hause ist wichtig, aber Ausflüge geben einem das Gefühl, mit der Stadt enger verbunden zu sein. Wir wollen, dass Isabella auch diese Erfahrung macht.
Kämen für eine junge Familie nicht auch andere Wohnorte in Betracht? Weniger hektische wie Brandenburg, das Havelland – etwas in der Richtung vielleicht?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir Berlin jemals verlassen werden. Vielleicht wenn wir alt sind und die Kinder ausgezogen, aber das dauert ja noch eine Weile. Paul würde gerne an einem See oder in den Bergen alt werden. Eben irgendwo, wo es ruhig ist. Ich fände das auch nett, aber erst sehr viel später. Ich bin ein absoluter Stadtmensch. Ich liebe den Wald und Camping, da bin ich immer noch Kanadierin, aber ich brauche die Hektik und das Gewusel der Großstadt. Das habe ich an Toronto geliebt und das liebe ich auch an Berlin.
Hast du sonst noch irgendwelche Charaktereigenschaften, die typisch kanadisch oder rumänisch sind und weniger typisch deutsch?
Ich bin ruhig und freundlich … normalerweise. Und ich recycle wirklich alles. Das ist sehr kanadisch. Ich bin aber auch schon mal laut, leidenschaftlich und hitzköpfig, das ist die Rumänin in mir. Ich bin organisiert und auf den Punkt, extrem ordentlich und sauber. Vielleicht ist das die Deutsche in mir, aber so war ich auch schon, ehe ich hergezogen bin. Mein Leben ist so verrückt, dass es gar nicht ohne Organisation ginge.
Dann hast du ja sicherlich auch schon einen genauen Plan für die kommenden Monate. Wie wird der Sommer aussehen? Und geht deine Tochter dann schon mal mit auf Tour?
Ich bin im Grunde sowieso jedes Wochenende unterwegs. Mehr aber auch nicht, also zwei Tage am Stück. Das manage ich mit einem fantastischen Team um mich herum. Gerade jetzt ist Paul bis zum Start der Sommersaison jedes Wochenende zu Hause, danach wird es ziemlich busy für uns beide. Wir haben eine Oma in der Nähe und tolle Brüder und Schwestern. Die ersten zehn Monate sind wir ohne Nanny ausgekommen, vor einiger Zeit habe ich aber eine engagiert. Sie ist sehr erfahren, ruhig und freundlich. Ich weiß ihre Anwesenheit in jeder Minute zu schätzen, denn mir räumt das ein bisschen freie Zeit ein. Bislang habe ich Isabella nicht mit auf Tour genommen, nur einmal nach Kanada, weil sie bei meiner Mom bleiben konnte, während ich dort spielte. Ich möchte irgendwann schon, dass sie gemeinsam mit uns die Welt kennenlernt, aber nicht nur irgendein Hotelzimmer während unserer Shows. Ich verstehe aber auch die Künstler, die ihre Kids mitnehmen. Das soll jeder halten, wie er es für richtig hält. Wenn wir beide unterwegs sind, ist es wichtig, dass Isabella daheim ihre Routine hat. Sie ist erst ein Jahr alt und ich spiele ja erst wieder seit Kurzem. Wir werden da schon den richtigen Weg für uns finden.
Mutterschaft, eigenes Label, neues Projekt, eine Tour … haben wir was vergessen?
Uff … es ist einiges los in meinem Kopf. Nun muss ich alles erst mal so richtig ans Laufen kriegen. Kuukou Records im Sommer, Techno Monkey und damit die erste EP-Serie auf dem Label, Boiler Room und diverse Festivals. So sieht mein musikalischer Horizont für 2016 aus. Ich bin aufgeregt und auch nervös, ein bisschen ängstlich und auf jeden Fall happy. Jetzt weiß ich definitiv, was es heißt, eine berufstätige Mutter zu sein. Ich bin der Clown im Zirkus meines Lebens.