Der neuseeländische Regisseur Taika Waititi erzählt in „Next Goal Wins“ von der amerikanisch-samoaischen Fußballmannschaft, in deren Zentrum Transfrau Jaiyah Saelua steht. Mit ntv.de sprechen der Filmemacher und seine Hauptfigur über den dortigen Umgang mit Transsexualität und jede Menge Selbstliebe.
Nach Filmen wie „Thor“, „Suicide Squad“, „Avengers: Endgame“ und „Jojo Rabbit“ bringt Taika Waititi jetzt die einzigartige Geschichte der wenig erfolgreichen Fußballnationalmannschaft von Amerikanisch-Samoa in die Kinos. Die eigentliche Hauptrolle in der Komödie hat allerdings nicht der Sport inne, sondern Jajyah Saelua. Als Mann geboren, spielte die Transfrau in der Herrenmannschaft der Pazifikinsel eine wichtige Rolle. Sie ist sogar die erste offen transgender lebende Person, die jemals an einem Fußball-Länderspiel teilnahm. „Next Goal Wins“ handelt von dem einzigen Sieg der Nationalmannschaft überhaupt gegen Tonga.
Mit ntv.de sprachen Regisseur Waititi und seine Hauptfigur Saelua, die im Film von Kaimana Solai gespielt wird, über die Normalität von Transsexualität in ihrer Heimatregion und jede Menge Selbstliebe.
ntv.de: Mr. Waititi, würden Sie sich als echten Fußballfan bezeichnen?
Taika Waititi: Absolut, Fußball ist zumindest jetzt mein Lieblingssport. Ich mag auch Rugby, doch ich schätze Fußball mehr und bin ein Fan davon. Aber ich finde Weltmeisterschaften in jeder Sportart toll. Die Besten eines Landes treten gegen die Besten eines anderen Landes an. Das macht solche Turniere so besonders, es ist ein wenig wie bei „Harry Potter“.
Vor den Dreharbeiten zu „Next Goal Wins“ waren Sie aber offiziell noch kein Fußballfan …
Waititi: Stimmt, es hat sich etwas geändert. Ich schätze die Kunst des Spiels und habe jetzt mehr Geduld dafür. Früher habe ich mir ein Spiel angesehen und gedacht: „Wo soll das hinführen? Da passiert so lange nichts.“ Sie rennen einfach nur auf und ab, tun so, als wären sie verletzt und wälzen sich auf dem Boden. Sie schauspielern viel. Es war mehr Theater als alles andere. Und dann fällt mal ein Tor und ich denke: „Wow!“. Jetzt habe ich mehr Verständnis für das Spiel und respektiere es. Es ist eher wie Schach.
Wenn es Ihnen also erst mal nicht um das Spiel an sich ging, war also der menschliche Faktor das, was Sie an der Geschichte interessiert hat?
Waitit: Das Wichtigste daran war für mich tatsächlich Jaiyah. Eben die Menschen und ihre Geschichten. Ich wollte nach Hause zu den Pazifikinsulanern und Storys erzählen, die einzigartig für sie sind. Ich wollte die Kultur zeigen, die einzigartig ist. Und ich denke, das ist mir gelungen. Der Fußball ist nur eine weitere Figur, spielt aber nicht die Hauptrolle. Ich denke, Geschichten müssen erzählt werden, und um sie interessanter zu machen, muss man sie ausschmücken und Details und Fakten verändern. Meine Aufgabe als Geschichtenerzähler ist, meine Version zu schreiben.
Es fällt auf, dass es innerhalb der amerikanisch-samoaischen Gemeinschaft kein Thema ist, dass Jaiyah Saelua als Mann geboren wurde. Stattdessen ist es dort ganz normal. Ist das die Botschaft, die der Film vermitteln soll?
Waititi: Transsexualität ist ganz normal, und deswegen wird im Film darüber nicht gesprochen. Es ist quasi selbsterklärend. Wir sollten nicht immer versuchen, alles zu erklären. Es ist eine Kultur, die das akzeptiert hat, schon vor sehr langer Zeit. Während der Westen immer noch versucht, die Körper der Menschen zu kontrollieren, ist es viel einfacher, es zu akzeptieren und sich um seinen eigenen Scheiß zu kümmern.
Jaiyah Saelua: Als Afroamerikaner in der pazifischen Region ist es sehr bequem. Wir spielen eine Rolle in unserer Gesellschaft und unserer Kultur und haben traditionell eine gewisse Verantwortung, die damit einhergeht. Wir akzeptieren die Tatsache, dass uns bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde und leben unser Leben entsprechend. Und wenn das nicht der Fall ist, ist es kein Tabu. Es ist nicht strittig. Ein großer Teil der Probleme, mit denen die LGBTQ+-Community konfrontiert ist, ist ihre Unfähigkeit, das anzuerkennen und zu akzeptieren und stolz darauf zu sein. Stolz auf die endgültige Identität. Und genau das hat die Samoa-Gemeinschaft getan. Seit Jahrhunderten überwindet sie die Kluft zwischen dem westlichen binären System und dem eigenen, in dem es mehr als zwei Geschlechter gibt.
Wann haben Sie das erste Mal am eigenen Leib erfahren, dass das nicht der Regelfall und Ihre Heimat diesbezüglich einzigartig ist?
Saelua: Als ich von zu Hause weggegangen bin und mit Vorurteilen konfrontiert wurde. Als ich mich an der Universität von Hawaii beworben habe. Da hatte ich schon angefangen, als Frau zu leben. Als ich mich als Frau für das Männerteam bewarb, ließen mich die Trainer nicht einmal zum Aufwärmen vorspielen. Sie sagten mir, dass sie die Mannschaft nicht in eine unangenehme Situation bringen wollten und schickten mich nach Hause. Das war meine erste Erfahrung mit echten Vorurteilen, und von da an habe ich mir gesagt, dass ich mir das nie wieder antun werde.
Waititi: Wir mochten Hawaii ohnehin nie, denn es gibt so viele amerikanische Vorurteile dort. Nein, das ist nur ein Witz, eigentlich mögen wir Hawaii schon, aber es ist eben sehr amerikanisiert.
„Next Goal Wins“ ist endlich mal wieder eine Sportkomödie, wie vor 30 Jahren „Cool Runnings“. Ein Film, der bis heute nachhallt. War er eine Art Vorlage für Sie?
Waititi: Irgendwie schon. „Cool Runnings“ wurde von einem weißen Regisseur über Jamaika gemacht, und ich finde, wenn man sich den Film heute anschaut, ist er wahrscheinlich immer noch ein guter Film. Sogar ein großartiger Film. Ich liebe ihn immer noch. Aber ich wünsche mir jetzt, dass er von jemandem gemacht worden wäre, der sich mehr mit Jamaika auskennt.
Sie sagen immer wieder in der Öffentlichkeit, dass Sie selbst Ihr größter Fan sind und haben sich für Ihren Film auch selbst besetzt. Weil den Priester niemand anders besser hätte spielen können als Sie?
Waititi: Ich mag es, solche Dinge zu sagen. Ich sage sie immer wieder, weil es so viele Leute im Internet nervt. Und meine Lieblingsbeschäftigung ist es, diese Leute zu verärgern. Ich sage diese Sachen, und dann schlafe ich einfach ein und habe einen tollen Traum von mir. Die Leute denken, ich rede immer nur von mir selbst und verbrauchen ihre ganze Energie dafür, sich über mich zu ärgern, und das macht mich wiederum sehr glücklich. In meiner Welt zu leben, ist eine Mischung aus dem Gefühl, etwas Besonderes zu sein und dem, sich großartig zu fühlen. Ich genieße es, ich selbst zu sein. Es gibt doch nur dich. Niemand sonst kann du sein. Also, das ist schon eine ziemlich einzigartige Sache. Aber es ist bei mir wie bei jedem anderen auch. Es gibt durchaus Momente der Selbstzweifel.
Bezogen auf Ihren Job als Filmemacher?
Waititi: Ja. Wie sehr will ich diesen Job wirklich noch machen? Ich mache ihn jetzt seit 20 Jahren. Und ich weiß nicht, ob ich weitermachen will oder das nur gesellschaftlicher Druck ist. Die Leute erwarten, dass du weitermachst, aber nur du kennst deine Grenzen. Und ich habe manchmal das Gefühl, dass es etwas langweilig für mich wird. Ich habe viel erreicht und das Gefühl, dass alle Filme, die ich bisher gemacht habe, gut waren. Das war jetzt mein achter Film. Man schaut sich Leute an, die es übertreiben und 20 Filme machen. Sechs oder sieben davon sind schlecht. Ich will es nicht übertreiben. Ich hätte längst aufhören sollen.