„The Son“: Depressionen sind Familiensache

„The Son“: Depressionen sind Familiensache

Mit seinem Film „The Father“ kann Autor und Regisseur Florian Zeller jede Menge Lob sowie zwei Oscars einfahren. Nun legt der Franzose mit „The Son“ nach und widmet sich nach der Demenz der Depression. Das funktioniert allerdings nur eingeschränkt.

Mit dem Drama „The Father“ konnte der französische Theatermacher Florian Zeller das Publikum als Autor und Regisseur begeistern. Das war nicht nur der berührenden Geschichte um einen demenzkranken Mann und seine Tochter geschuldet – herausragend gespielt von Anthony Hopkins und Olivia Colman. Auch die Art, wie Zeller mit der Realität und der durch die fortschreitende Erkrankung beeinflussten Wahrnehmung des Protagonisten spielte, war besonders. Am Ende gab es unter anderem einen Oscar für Hauptdarsteller Hopkins und einen für das Drehbuch.

Dementsprechend sind an den Nachfolger „The Son“ hohe Erwartungen geknüpft. Mit Hugh Jackman, Laura Dern und Hopkins in einer Nebenrolle wieder hochkarätig besetzt sowie ein anderes wichtiges Thema behandelnd, mangelt es dem Film keineswegs an Potenzial. So richtig will der Funke dieses Mal jedoch nicht überspringen.

Depression oder Pubertät?

Nicholas (Zen McGrath) ist 17 Jahre alt und in letzter Zeit irgendwie komisch drauf. Nicht wie ein normaler Pubertierender, sondern besorgniserregender. Seit Wochen war er nicht mehr in der Schule, hing stattdessen irgendwo in New York City seinen düsteren Gedanken nach. Inzwischen ist seine Mutter Kate (Laura Dern) mehr als nur besorgt, ihr Sohn jagt ihr bisweilen sogar Angst ein.

Sie sucht notgedrungen Hilfe bei ihrem Ex-Mann Peter, der mit seiner zweiten Frau Beth (Vanessa Kirby) und dem gemeinsamen Baby längst eine neue Familie gegründet hat. Auch beruflich ist Peter extrem eingespannt, steht für den Anwalt doch gerade der Einstieg in die Politik bevor. Allerdings kommt er nicht umhin zu bemerken, dass mit Nicholas tatsächlich etwas nicht stimmt. So richtig greifen und begreifen kann es der pragmatisch veranlagte Vater allerdings nicht. Auf Kates Bitten hin lässt Peter Nicholas dennoch bei sich und Beth wohnen, und zumindest in seiner Wahrnehmung bessert sich der Zustand seines Sohns zunächst. Dass er mit dieser Einschätzung aber daneben liegt, wird spätestens dann klar, als Beth ein Messer unter dessen Matratze findet und ausspricht, was bislang keiner auch nur zu denken gewagt hatte: Nicholas ist lebensmüde.

Menschen, die traurig gucken

Es ist zum einen die Eindimensionalität, mit der die Depression des Teenagers erzählt wird, zum anderen die fehlende Entwicklung der Figuren um ihn herum, an denen der Film kränkelt. So will Peter von Nicholas immer wieder wissen, was eigentlich sein Problem ist, schließlich hat er doch nun wahrlich keinen Grund zu klagen. Damit schlägt er in dieselbe Kerbe wie einst sein eigener verhasster Vater (Hopkins), zu dem er bis heute keinen Zugang findet. Ist es die Pubertät, das Leben als Teenager an sich oder hat der Junge nicht doch bloß Liebeskummer? Eine Depression kommt den meisten Beteiligten nur allzu lange nicht einmal in den Sinn.

Und so verliert sich Peter viel zu oft in den üblichen „Stell dich nicht so an“- und „Kopf hoch“-Plattitüden. Kate dagegen bezieht Nicholas‘ Probleme immer wieder auf sich, auf ihr Versagen als Mutter und auf die gescheiterte Ehe zu Peter. Nicholas selbst bleibt in der Darstellung und der Beschreibung seines Zustandes zu oberflächlich, sodass auch der Zuschauer Schwierigkeiten hat, seinen Schmerz nachzufühlen. Zu trauriger Musik in die Ferne starren, reicht einfach nicht, was keine Kritik an McGrath ist, sondern an der Inszenierung seiner Figur.

Liebe allein reicht nicht

„The Son“ liegt – wie schon bei „The Father“ – ein Theaterstück zugrunde, auch wenn Zeller dieses Mal mehr als nur eine einzige Wohnung als Schauplatz diente. Eingefangen wird das Geschehen erneut von Kameramann Ben Smithard in brillanten Bildern. Der Kniff, auf ein nachdenkliches Gesicht zu zoomen, um mit dem Close-up Emotionen zu verdeutlichen, wird allerdings ein bisschen zu oft und zu plakativ verwendet. Vielleicht liegt es aber auch einfach am Thema selbst, dass sich „The Son“ schwer damit tut, in die großen Fußstapfen von „The Father“ zu treten. Eine Depression für einen Nicht-Betroffenen erlebbar zu machen, ist schier unmöglich.

„The Son“ behandelt ohne Frage ein wichtiges Thema. Und auch wenn dessen Übermittlung an einigen Stellen etwas unbeholfen wirkt, wird die Hilflosigkeit der Eltern ihrem Sohn gegenüber ebenso spürbar wie ihr Schmerz, wenn sie realisieren, wie wenig sie seiner Krankheit entgegenzusetzen haben. Denn Liebe und Aufmerksamkeit allein heilen leider keine Depression.

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