Mit „Weißes Rauschen“ bringt Netflix ein satirisches Drama von Noah Baumbach ins Kino. Adam Driver mimt einen Hitler-Experten mit irrationaler Todesangst, der sich Mitte der 80er mit seiner sechsköpfigen Familie auf eine absurde Flucht vor einer realen Bedrohung begeben muss.
Drei Jahre ist es her, dass Noah Baumbach und Adam Driver schon einmal gemeinsame Sache für Netflix machten. Seinerzeit erschien das gefeierte und später auch preisgekrönte Drama „Marriage Story“ über ein gescheitertes Ehepaar. Nun geht diese fruchtbare Kombination in die nächste Runde. Dafür hat sich Baumbach einen bislang als nicht verfilmbar geltenden Stoff von Don DeLillo aus dem Jahr 1985 vorgeknöpft.
Mit Bauchansatz und vollem Haar spielt Adam Driver darin Jack Gladney, Professor einer Uni im Mittleren Westen, der Mitte der 80er-Jahre als Experte für Hitler weltweit bekannt ist. Und das, obwohl er selbst kaum einen Satz Deutsch spricht, so sehr er sich auch mithilfe eines Lehrers bemüht. Gladney wird von seinen Studenten und Kollegen dennoch wie ein Rockstar gefeiert, wenn er seine theatralischen Vorträge hält. So wünscht sich sein Kollege Murray Siskind (Don Cheadle) ganz neidlos, seine Elvis-Lesungen seien irgendwann mal ähnlich erfolgreich wie die von Jack über den Führer.
Gel(i)ebte Patchwork-Familie
Jack lebt privat ein ausgefülltes, wenn auch chaotisches Leben mit seiner vierten Ehefrau Babette (Greta Gerwig) und der aus vier Kindern bestehenden Patchwork-Familie. Dem Paar gefällt dieses Leben so gut, dass es nicht möchte, dass es endet. Und so umtreibt Jack und Babette bei guter Gesundheit eine irrationale Angst vor dem Tod.
Babette macht bald einen immer seltsameren Eindruck, den Pillen namens „Dylar“ zu verantworten haben, die nicht einmal dem Hausarzt der Familie geläufig sind. Als dann in unmittelbarer Nähe des Heims der Gladneys ein Güterzug nach einem Zusammenstoß mit einem Tanklaster entgleist und explodiert, breitet sich eine dunkle Giftwolke über dem Ort aus. Nun rückt der Tod tatsächlich näher.
Zwischen Lynch, Lee und Coen
Nachdem Jack die Bedrohung zunächst abtut, sieht er sich schließlich doch gezwungen, seine Familie zu evakuieren. Die sechs durchleben von jetzt an im vorherrschenden Chaos jede Menge überdrehte und absurde Situationen. Unter anderem landet die Familienkutsche einmal mit einem großen Satz im Fluss. Trotz aller Ausweglosigkeit gelingt es Vater Jack nur durch Lenken, den Karren aus dem sprichwörtlichen Dreck zu ziehen und zurück auf die Straße zu bugsieren – mitten hinein in den Stau der anderen vor der Wolke fliehenden Bewohner.
Was an dieser Stelle nach einer Screwball-Komödie à la Chevy Chase klingt, ist nur ein kleiner Auszug dessen, was „Weißes Rauschen“ zu bieten hat. Vielmehr ist es ein Film zwischen Lynch, Lee und Coen. Eine auf intellektuelle Dialoge fußende Satire, in der selbst die Kinder gegenseitig immer wieder Fakten korrigieren und erwachsene Gespräche führen, während sie den Tisch decken. Die Erkenntnisse sind teils bitter, teils unterhaltsam in all ihrer Absurdität. Der ständig laufende Fernseher funktioniert wie heute das Internet, der Konsum von Massenmedien wird damit auch gleich kritisiert. Obwohl die Romanvorlage schon fast 40 Jahre auf dem Buckel hat, wirkt vieles erschreckend aktuell. Dass ausgerechnet Lars Eidinger am Ende wieder den Irren mit deutschen Wurzeln spielt, kann man finden, wie man will. Wer sich davon nicht irritieren lässt, wird 136 Minuten lang gut unterhalten.