40 Jahre ist es her, dass „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ das Kinopublikum mit dem harten Drogenschicksal der Christiane F. konfrontierte. Bei Amazon Prime startet nun die gleichnamige Serie, die die Geschichte als zeitloses Coming-of-Age-Drama für eine neue Zuschauergeneration erzählt.
1978 erschien unter dem Titel „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ die wahre Geschichte der Christiane F. aus dem Stadtteil Rudow im Westen Berlins, die schon im Teenageralter dem Heroin verfiel. Erzählt wurden die tragischen Ereignisse ihrer Kindheit und Jugend von ihr selbst, aufgeschrieben von zwei „Stern“-Redakteuren. Noch heute ist das Buch Pflichtlektüre in vielen Schulen, wenngleich es sich seit jeher den Vorwurf gefallen lassen muss, Heroin und die Abhängigkeit davon zu idealisieren.
Auch der drei Jahre später in den Kinos gestartete Film von Uli Edel avancierte bei den jüngeren Zuschauern schnell zum Kult und diente nur bedingt zur Abschreckung. Das lag nicht allein an der Musik und dem Auftritt des echten David Bowie. Christiane Felscherinow wurde darin dargestellt von Natja Brunckhorst, die diese Rolle mit einer einnehmenden Mischung aus Unschuld und „Abgefucktheit“ spielte und damit den Charakter ihrer Figur millimetergenau traf.
Nun erscheint das Ganze als achtteilige Mini-Serie bei Amazon Prime. Das Drehbuch schrieb unter anderem als Head-Autorin Annette Hess, die schon für Serien wie „Weißensee“ und die „Ku’damm“-Reihe verantwortlich zeichnete, produziert wurde von Oliver Berben und Sophie von Uslar, Regie führte Philipp Kadelbach.
Gebeutelte Teenager in West-Berlin
Im Mittelpunkt der Handlung steht auch dieses Mal die 13-jährige Christiane, die in einem Plattenbau in Gropiusstadt aufwächst. So viel ist bekannt. Einige Eckdaten ihrer Geschichte wurden allerdings verändert. So taucht beispielsweise die für sie so wichtige Schwester gar nicht auf, dafür der eigentlich stets abwesende Vater umso mehr. Auch kommt Christianes Freund Detlef nicht vor, stattdessen aber eine andere Version seiner Person namens Benno. Stella und Babsi sind Namen, die einst real existierten und nun neu und teils recht frei erzählt werden. Gut sieben Stunden Spielzeit bieten natürlich mehr Raum für Tiefe als ein 138-minütiger Film.
Und so wird nicht nur Christianes familiäre Ausgangssituation samt trotteligem Vater, ahnungsloser Mutter und häuslicher Gewalt thematisiert. Auch kann der Zuschauer einen Blick in Stellas triste Lebensrealität werfen, die geprägt ist vom Alkoholismus der Mutter. Babsi, die aus reichem Hause stammt, von der erfolgreichen Mutter abgeschoben bei ihrer Oma aufwächst, hat vor allem mit sich selbst und ihrer Todessehnsucht zu kämpfen. Und während auch bei Benno ein kurzer Blick auf den Hintergrund gestattet wird, bleibt die Herkunft der anderen beiden Cliquen-Mitglieder, Axel und Michi, eher im Verborgenen. Aber eins haben alle sechs Freunde gemeinsam: ihre Vorliebe für Heroin als Ausweg aus ihrem persönlichen Elend und dem ihrer desillusionierenden Umwelt in der geteilten Großstadt.
Die Serie spielt – wie die Ereignisse, auf der sie beruht – in den 1970er-Jahren in West-Berlin. Das sieht man beim zweiten Blick an Ausstattung und Klamotten – wobei hier nicht allzu viel Wert auf Originaltreue gelegt wurde -, nicht aber an Kameraführung, Schnitt und Farbgestaltung. Das wirkt alles sehr zeitgemäß. Zudem wird der Zeitbezug durch die Wahl der Musik ausgehebelt. Wohl um ein jüngeres Publikum anzusprechen, vielleicht aber auch, um zu verdeutlichen, wie groß die Gefahr für Jugendliche aus allen Bevölkerungsschichten auch heute noch ist, in der bösen Hauptstadt in den Drogensumpf abzurutschen.
Viel Clubsound, wenig Bowie
Der atmosphärische Score von Michael Kadelbach und Robot Koch ist zwar von Bowie-Songs inspiriert, doch deutlich moderner und elektronisch. Zwar gibt es auch den einen oder anderen Song aus jener Zeit, doch wenn der DJ in der legendären Diskothek „Sound“ kommerzielle Clubmusik spielt und David-Guetta-artig die Arme in die Luft reißt oder wichtige Szenen mit Musik von aktuellen Bands unterlegt werden, geht das oft zulasten der Authentizität.
Überhaupt wirkt einiges doch sehr glattgebügelt. Zwar war Christiane Felscherinow nach dieser ersten Phase ihrer Abhängigkeit optisch wenig bis gar nicht gezeichnet von dem Gift, das sie sich jahrelang in die Venen jagte. Immer wieder wurde in späteren Artikeln über sie ihre unberührte Schönheit erwähnt. Dass sie aber stark vom Heroin abhängig, sich prostituierend und obdachlos stets mit sauberen Fingernägeln und frei von Hautirritationen durch den Bahnhof Zoo läuft, lässt ihre Figur an Glaubwürdigkeit einbüßen. Schmutzig wird es hingegen, wenn Pädophile die Teenies mit Drogen und schmierige Stricher sie mit Kohle locken, auf dreckigen Toiletten Spritzen in Armbeugen dringen oder Christiane wiederholt entzieht. Wirklich schocken kann aber auch das nicht.
Unschuldig bis zum Schluss
Dabei macht nahezu unbekannte Cast im Grunde einen recht guten Job. Das täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass die Darsteller alle keine Teenager mehr sind, anders als die Rollen, die sie verkörpern. Die Schock- und Sogwirkung, die die erst 13-jährige Natja Brunckhorst als Christiane im Film von 1981 erzielte, rückt so in weite Ferne. Dennoch ist der 22-jährige Jana McKinnon die Unschuld, von der ausgehend Christiane immer weiter abrutscht, ins Gesicht geschrieben. Allerdings bleibt sie da auch, wenn ihre Figur diese Unschuld eigentlich längst verloren hat. Spannender ist Stella, verkörpert von Lena Urzendowsky, die insgesamt deutlich zerrissener, auf ihre Art konsequenter und weniger irritierend in dieser Umgebung wirkt.
Irritationen an sich sind aber gewollt. Da schweben die Freunde schon mal im Rausch über der Partymeute im „Sound“, in der Bahnhofshalle regnet es plötzlich und hinter den Plattenbauten tauchen Berge auf. Und wenn Christiane bei ihrer Oma auf dem Dorf den Verlockungen der Großstadt entkommen soll, wird der Enid-Blyton-ähnliche Anstrich konterkariert durch harsche Sätze eines lieb aussehenden, aber abgeklärten Teenagers.
Am Ende ist „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ aber doch eine recht konventionelle Coming-of-Age-Serie und funktioniert am ehesten, wenn man sie von ihrer Vorgeschichte losgelöst betrachtet. Durch die Entscheidung, aus der in den 70ern verorteten Story etwas Zeitloses zu machen, bleiben die Figuren einem sonst oft fremd. So fremd, wie einem der Darsteller von David Bowie bei seinen kurzen, peinlichen Auftritten nur sein kann. So werden wohl weiterhin Buch und Film als Lehrmaterial herhalten müssen, weil über die Serie in ein paar Wochen vermutlich schon niemand mehr sprechen wird.
„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist ab dem 19. Februar bei Amazon Prime abrufbar.