„Zeit Verbrechen“: True-Crime-Podcast in Film, Fiktion und Farbe

„Zeit Verbrechen“: True-Crime-Podcast in Film, Fiktion und Farbe

„Zeit Verbrechen“ gehört zu den erfolgreichsten True-Crime-Formaten, die die deutsche Podcast-Szene zu bieten hat. Nun gibt es vier der dort erzählten Fälle als fiktionalisierte Filme auf RTL+. Das funktioniert so gut, dass es bisweilen schwer auszuhalten ist.

Als 2018 „Zeit Verbrechen“ an den Start ging, war der True-Crime-Podcast-Markt noch recht überschaubar. Heute sieht das freilich anders aus, doch ragt das Format, das zunächst ausschließlich von Gerichtsreporterin Sabine Rückert und Journalist Andreas Sentker moderiert wurde, weiterhin wie ein Monolith aus dem umfangreichen Angebot heraus und dient vielen Nachahmern als Inspiration.

Nun wird diesem Erfolg mit einem Projekt Tribut gezollt, das es so noch nicht gegeben hat. Vier ganz unterschiedliche Fälle werden in vier ebenso unterschiedlichen Filmen fiktionalisiert und emotionalisiert wiedergegeben. Das Ergebnis sorgte bereits bei der Berlinale im Februar dieses Jahres für Furore und brachte den Verantwortlichen gleich mehrere Auszeichnungen. Jetzt sind diese vier Filme zwischen Thriller, Krimi und Drama per Streaming auf RTL+ abrufbar.

Vier Fälle, vier Filme

Regelmäßige True-Crime-Podcast-Hörer erinnern sich womöglich an die Fälle, die inzwischen sicher auch schon von Mitbewerben ein ums andere Mal thematisiert wurden. Unter der Regie von Mariko Minoguchi erzählt die erste Folge „Im Dezember“ die dramatische Geschichte des 18-jährigen Tim (Samuel Benito), der sich nach einer gutgelaunten, aber ausufernden, Partynacht im ländlichen Schleswig-Holstein völlig betrunken verirrt. Er klopft an eine fremde Haustür, redet wirres Zeug und wird mehrfach von Polizei und Sanitätern angesprochen, jedoch ebenso oft wieder laufengelassen. Trotz der eigentlich unübersehbaren Dringlichkeit, dem Jungen zu helfen, entscheiden die Beamten jener Streife, die ihn als letzte in Obhut nimmt, ihn erneut allein und ohne Jacke bei Minustemperaturen auf einer dunklen Landstraße zurückzulassen, wo er wenig später überfahren wird und stirbt. Ein Fall, der wütend macht, und ein Film, der vor allem dadurch berührt, dass er dem Zuschauer sehr viel Zeit gibt, mit Tim allein zu sein.

Das poetische Drama „Deine Brüder“ entstand unter der Regie von Helene Hegemann, und gleich zu Beginn führt es voreingenommene Zuschauer auf die falsche Fährte. Nämlich dann, wenn vier junge Männer auf der Anklagebank sitzen, die einen anderen mit Messerstichen getötet haben sollen. Erst im Laufe der Erzählung blättert sich die tragische Geschichte von fünf Freunden aus Kindertagen auf, von denen einer die Bodenhaftung verliert und mehr und mehr zur Bedrohung für alle anderen wird. Die verbliebenen und nun angeklagten vier Freunde haben kein Verbrechen aus Hass, sondern eines aus Liebe begangen. Um an diesen Punkt zu kommen, durchleben sie eine Eskalation ihrer eigenen Emotionen und der des Opfers. Nichts ist am Ende so, wie es am Anfang scheint.

Mit dabei: Lars Eidinger und Sandra Hüller

In „Der Panther“ geht es um den von Lars Eidinger gespielten Johnny, einen schmierigen Ganoven und drogenabhängigen V-Mann, der nicht nur auf sämtliche Regeln pfeift, sondern schlicht ein größenwahnsinniges Schwein ist, das sogar seine eigene Tochter zum Dealen drängt. Der Zuschauer begleitet ihn bei seinen Streifzügen durch Spielhallen, Puffs und Drogenhöhlen im auch so schon nicht sonderlich attraktiven Leverkusen. Er folgt ihm, wenn er sich überdreht und zu Gewalt neigend durch die Unterwelt tobt oder sich mit seinen Kontaktpersonen bei der Polizei trifft, um ihnen eigentlich nur mitzuteilen, dass ihm sowieso alles egal ist. Regisseur Jan Bonny setzt auf Tempo und Krawall, lässt einem wenig Zeit zum Durchatmen. Ein entsättigter Film mit hohem Tempo – wie Johnnys Leben eben, von dem er alles will und in dem er am Ende auch alles verliert.

„Love by Proxy“ von Regisseur Faraz Shariat erzählt vom verwitweten Rentner Ralf (Jan Henrik Stahlberg), der online die junge Amerikanerin Earlie (Maya Simonsen) kennenlernt und sich in sie und ihre liebevollen Worte verliebt, ehe er sich in diese virtuelle Beziehung völlig verrennt. Alle Warnungen seiner Tochter (Sandra Hüller) schlägt er renitent in den Wind. Denn die sich auf einer Afrika-Reise befindende Earlie steckt in Schwierigkeiten und braucht nun dringend Ralfs Unterstützung, um endlich zu ihm nach Deutschland kommen zu können. Vor allem aber braucht sie Ralfs Geld, und natürlich ist dem Zuschauer alsbald klar, dass Earlie nicht existiert, sondern ein Scam mit dem Ziel ist, dem für gute Ratschlage nicht zugänglichen Ralf sein gar nicht mal so kleines Vermögen abzuknöpfen.

Projekt sprengt True-Crime-Grenzen

„Zeit Verbrechen“ als Serie bietet vier in Erzähltempo, Visualität, Atmosphäre und Emotionalität maximal unterschiedliche 60-Minüter, die sich grob an reellen und im Podcast behandelten Fällen orientieren, diese aber stark fiktionalisieren und mit Emotionen aufladen. Zwar ist True Crime ohnehin längst zu einem Unterhaltungsprodukt geworden, doch ist man hier meist noch bemüht, einigermaßen neutral zu berichten, Respekt vor den Opfern walten zu lassen und mit den Täter besser nicht zu sympathisieren. Das gelingt nicht immer, und für das Film-Serien-Projekt galten all diese Vorgaben ohnehin nicht. Hier gönnen sich die Verantwortlichen mehr Spielraum und schaffen etwas absolut Eigenständiges, das das Anschauen lohnt.

Ergänzt wird die Serie übrigens noch durch „Zeit Verbrechen – Spurensuche“, bestehend aus vier Dokumentationen, die unter der Schirmherrschaft von Sabine Rückert an die Spielfilme anknüpfen und bestimmte Aspekte der jeweiligen Fälle weiter vertiefen.

Die vier „Zeit Verbrechen“-Filme sind ab sofort auf RTL+ abrufbar.

Previous post Marc Hosemann und Tom Schilling“Alles ist eine Frage der Situationskomik“
Next post „Der Vierer“: (Un)brauchbare Tipps für Ihr Liebesleben