Niconé – Entschleunigung für Anfänger

Niconé – Entschleunigung für Anfänger

Es war eine Weile ruhig um Alexander Gerlach aka Niconé – im übertragenen Sinne. Im Grunde bestens beschäftigt wie üblich, hat sich der Berliner dennoch die Zeit gegönnt, mal ein wenig das Tempo herauszunehmen. Musikalisch. Aus diesem eigentlich ganz menschlichen Bedürfnis ist die Idee zum neuen Album entstanden, das soeben unter dem Titel „Slowen“ digital auf seinem neugegründeten Label NCNE erschienen ist.

„Slowen“ hält, was der Titel verspricht und widmet sich dem Thema Entschleunigung. Etwas, das man von Niconé so erst mal nicht erwartet. „Im Sommer kam mir die Idee zu einer Art Konzeptalbum, einem Chillout-Album. Es sollte mal etwas anderes sein – wenn auch nicht neu, dann aber zumindest etwas zum Entspannen. Jeder Track sollte 111 BPM haben. Ich wollte etwas produzieren, das nicht so schnelllebig ist und dabei etwas erschaffen, mit dem man auf entspanntem Weg gut in den Tag hinein- oder aus ihm herauskommt. Pflicht war außerdem: kein Hit!“ Dass es ausgerechnet einem Mann wie Alexander Gerlach in den Sinn kommt, das Tempo zu drosseln, erscheint nur auf den ersten Blick ungewöhnlich. Gerade wenn ein Leben – wie seins – davon bestimmt ist, immer ganz vorn mit dabei zu sein, liegt der Wunsch zum Durchatmen doch quasi auf der Hand. Etwas, dass Alexander allerdings lernen musste: „In der heutigen Zeit, in der alles schnell geht bzw. schnell gehen muss, vergisst man manchmal, inne zu halten und sich sein eigenes Spiel von oben anzusehen. Das mache ich trotz aller Hetze tatsächlich relativ oft und auch sehr kritisch. Und damit fahre ich relativ gut. Allerdings war das nicht immer so, aber es soll jetzt immer so sein.“ An der Umsetzung hapert es allerdings noch ein wenig, wie er zugibt: „Ich mach gerade fast nichts zur Entschleunigung. Ich fühle mich relativ gehetzt und mache viele Sachen, und das auch noch sehr schnell. Das muss natürlich nicht heißen, dass diese Sachen dann keinen Wert haben – absolut nicht –, aber ich mache mir selbst Druck und hetze durch das Leben. Ich nehme gern ein paar Tipps entgegen, aber wenn es Atemübungen oder Yoga sind, dann hab ich darauf keine große Lust. Wobei: Einen solchen Hinweis habe ich, den ich selbst leider nicht hinbekomme: Lass dein Mobiltelefon zu Hause und don’t give a fuck about Facebook und Instagram. Utopie!“ Zumindest über die Spielzeit seiner eigenen CD sollte es Niconé nun aber doch gelingen, sich aus der Hektik des Alltags zu entfernen, denn genau das erhofft er sich auch für jeden anderen Zuhörer. Entspannung statt Clubbing. Entspannung vor dem Clubbing. Entspannung nach dem Clubbing. Aber Clubbing selbst ist natürlich nach wie vor sein Thema: „Die Langsamkeit habe ich nicht erfunden. Es gibt genug andere Künstler, die sich damit einen Namen gemacht haben. Mein Album sollte man aber auch nicht als clubkompatibel ansehen, sondern als eigenes Ding – Hippie Eighties Electronica. Wer mich – unterschwellig – wirklich inspiriert hat, ist ein Künstler namens Rampe, der auf unserem Label Dantze auch einige langsame Clubtracks releast hat. Ich fand es außerdem interessant und gut, das wirklich durchzuziehen und nicht noch am Ende ein etwas schnelleres oder clubkompatibles Lied zu produzieren.“ Ein Akt der puren Selbstbeherrschung.

Die Tracks auf „Slowen“ tragen Titel wie „Starten“, „Ohhhen“, „Knowen“, „Loven“ und „Baben“. Auch hier weist das Konzeptalbum ein Konzept auf. „Am Anfang war ‚Slowen‘ da, also der Name des Albums. Vom englischen slow für langsam. Das habe ich einfach ein wenig eingedeutscht, um die en-Endung ergänzt und so ein Verb daraus gemacht … verlangsamen wäre die Übersetzung in meiner Welt. Das habe ich dann mit den anderen Tracks genauso gemacht.“ Dass Niconé nie so richtig zur Ruhe kommt, hat vielleicht auch damit zu tun, dass er seit ewiger Zeit – also eigentlich schon immer – in Berlin zuhause ist. In einer Stadt, die einem nicht gerade als entschleunigt bekannt ist. „Ich glaube, es gibt andere Städte, die viel schneller sind als Berlin. Berlin ist eher höher, schneller … ups, Flughafen doch noch nicht fertig. Aber ich weiß, was du meinst … Das mit dem Herausnehmen muss jeder für sich entscheiden. Aber ich weiß zum Beispiel, würde ich mir beim Reden mehr Zeit lassen, hätte ich die unglaublichsten und schönsten Sätze der Welt, könnte besser betonen, und jeder würde denken, ich kenne Wikipedia auswendig. Ich denke, es ist notwendig, manche Sachen immer erst mal kurz atmen zu lassen, ehe man sie in die Welt entlässt. Wein soll ja angeblich auch etwas mehr Zeit brauchen, bis er gut ist. Allerdings werde ich mir mal eine kleine Auszeit von Berlin geben und einen oder zwei Monate nach Barcelona ziehen. Da kann ich wenigstens nach den Wochenenden mal ans Meer.“ Ob Barcelona der richtige Ort zur Entspannung ist, ist fraglich. Ein buddhistisches Kloster wäre sicher förderlicher. Doch wenn es einem Menschen ohnehin schon schwer fällt, sich zurückzunehmen, ist es ein erster Schritt in die richtige Richtung. „Zurücknehmen, das geht tatsächlich nur im Urlaub und selbst dann ist es schwierig. Da braucht man jemanden, der einem befiehlt, jetzt mal runterzukommen. Aber das klingt alles ein wenig esoterisch – und das ist das Album ja nicht. Für mich ist es immer wichtig, wenn ich aufstehe und in den Tag komme, meinen Kaffee mache oder whatever, dazu passende Hintergrundmusik zu haben. Das sollte dann nicht wirklich Techno bzw. 4-to-the-floor-Musik sein, sondern eher HipHop oder diese Art von Musik, die ich versucht habe, zu produzieren. Lustig ist, dass ich oft Lieder mache und sie, wenn sie fertig sind oder releast wurden, zu Hause nie wieder höre. Bei diesem Album ist es das erste Mal anders – das habe ich jetzt schon relativ oft im Nachhinein gehört.“ Damit hat „Slowen“ also schon mal einen Teil seines Jobs erfüllt. Wer aber denkt, dass ein Album dieses Titels und dieser Idee in einem ebenso entspannten Umfeld entstanden ist, kennt Niconé schlecht. „Ich war relativ manisch bei der Produktion. Ich hatte mir eine bestimmte Zeit gegeben und wollte diese auch einhalten. Ich habe Tag und Nacht daran gearbeitet, also eine relativ schnelle Arbeitsweise an den Tag gelegt – was ja ziemlich konträr zum Konzept des Albums ist. Aber so ist das in meiner Welt, und mit dem Resultat kann ich sie ein wenig langsamer drehen.“ Hinsichtlich seiner Geduld mit sich selbst, ist Niconé allerdings recht optimistisch, denn die Frage, wie lange er es wohl mit sich und ohne alles andere in einer einsamen Berghütte aushält, beantwortet er mit: „Zwei Monate gehen, denke ich“, was doch recht tapfer klingt. Allerdings folgt dann auch schon die Einschränkung: „Wobei mein Laptop immer mit dabei ist, und irgendwie baue ich dann doch immer mal zwischendurch eine Skizze oder zwei … ha! Ich habe mal eine Ayurveda-Kur gemacht und war happy, als ich danach wieder in die große Stadt durfte. Aber es hat geholfen.“ Als ich ihn für dieses Interview erwische, ist er natürlich auch schon wieder auf dem Sprung. Eben noch in Mexico City, jetzt auf dem Weg nach Tulum. „ Touring und Beaching. Ich hoffe natürlich auch, ein wenig runterzukommen. Ach, das klappt schon irgendwie. Ich bin jetzt zwei Monate in Südamerika, und da sollte es doch schon funktionieren.“ Für alle Fans des klassischen Niconé-Dancefloor-Sounds gibt es auch gute Nachrichten: „Ich arbeite die ganze Zeit an anderen Tanztracks, und gerade ist mein neues Release mit Gunjah namens ‚Disko 91‘ auf Katermukke erschienen. Also an alle, die ‚Slowen‘ langweilig finden, keine Angst: You will still find me on the dancefloor!“ / Nicole Ankelmann

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