Realität privat, aber hart

Realität privat, aber hart

Jede Generation hat ihre TV-Sünden, wofür wir uns insbesondere beim Privatfernsehen bedanken dürfen. Was in den Neunzigern Talkshows unter der Leitung von inzwischen verstorbenen oder sonst wie in der Versenkung verschwundenen Moderatoren wie Ilona Christensen, Hans Meiser, Andreas Türck oder Ricky waren, wurde in den 00ern von zahlreichen Reality-Dokus rund um alle denkbaren Randgruppen abgelöst, die sich bis heute tapfer halten. Angereichert wird das ohnehin schon substanzlose Tagesprogramm durch ebenso substanzlose gescriptete Dokus mit den schlechtesten Laiendarstellern der Welt, die selbst von einem Drittklässler beim alljährlichen Krippenspiel an die Wand geschauspielert würden.

Der neueste Unterhaltungs-Clou: Mediengeile, semi-glamouröse F-Prominenz für eine eigenen Reality-Doku vor die Kamera zerren, wobei sicherlich weder die Geissens noch Harald Glööckler oder ein Lothar Matthäus zu dieser Aktion gezwungen werden müssen. Im Gegenteil. Nun obliegt also dem denkenden Zuschauer, sein abendliches TV-Programm so geschickt zu wählen, dass er den Kontakt mit grenzdebilen Sendungen wie diesen weitgehend vermeidet. Es macht mir ein wenig Angst, dass es in Deutschland vor mediengeiler, semi-glamouröser F-Prominenz nur so wimmelt und zahlreiche weitere Dokus durchaus machbar wären.

Auch Castingsshows sind ein langlebiges Relikt der 00er-Jahre. Die gefühlte 2.345te Staffel DSDS, X-Factor, Popstars, GNDM … steht schon in den Startlöchern. Im Fokus steht hier die kommende „Supertalent“-Staffel, sitzt dann neben Dieter Bohlen und Michelle Hunziker nämlich der von den Öffentlich-Rechtlichen verschmähte Thomas Gottschalk in der Jury. So etwas passiert, wenn der Mensch ein Leben in der Öffentlichkeit gewohnt ist und ohne sie dieses Leben sinnlos erscheint. Zitat: „Ich habe nur was gegen Castingshows, bei denen unterbelichteten Halbwüchsigen weisgemacht wird, sie sind Zeit ihres Lebens reich und berühmt, wenn sie gewinnen.” Das ist beim Supertalent Gott sei Dank völlig anders … da sind es mindestens genauso häufig unterbelichtete Erwachsene, die vom großen Ruhm träumen.

Ich werde noch heute meine Fernbedienung umprogrammieren, RTL, SAT1, VOX und Co. auf die hinteren Plätze verweisen und sie nur noch einschalten, wenn mich keiner sieht.

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