„Old“: Vom Horror der menschlichen Endlichkeit

„Old“: Vom Horror der menschlichen Endlichkeit

Mit „The Sixth Sense“ schreibt M. Night Shyamalan 1999 Plot-Twist-Filmgeschichte. Dem folgen viele mittelmäßige Streifen, und so ruhen alle Hoffnungen nun auf seinem Mystery-am-Strand-Werk „Old“. Doch auch hier geht der Regisseur im Ozean des Zu-viel-Gewollten baden.

22 Jahre ist es her, dass M. Night Shyamalan mit „The Sixth Sense“ einen Überraschungshit im doppelten Sinne landete. Überraschend war zum einen der kommerzielle Erfolg des Films, hatte der Regisseur davor doch eher wenig beachtete Independent-Filme gedreht. Zum anderen überraschte der Plot-Twist der Geschichte, in deren Mittelpunkt der von Bruce Willis gespielte Psychiater Dr. Malcom Crowle stand.

Spätestens nach „Unbreakable“ – ebenfalls mit Willis – wurde Shyamalan zum absoluten Meister der ungewöhnlichen Wendungen und großen Mysterien auserkoren, konnte dem Anspruch aber nur noch selten gerecht werden. Es folgten mittelmäßige Filme wie „Signs“, „The Village“ und „The Visit“ sowie der miserable „Die Legende von Aang“. Nach „Split“ in 2017 und der indirekten Fortsetzung „Glass“ 2019 gibt es nun mit „Old“ ein neues Shyamalan-Mystery-Werk, bei dem nicht nur die Protagonisten in kürzester Zeit altern, sondern auch die Zuschauer im Kinosessel – zumindest gefühlt – einige Jahre ihrer Lebenszeit einbüßen.

Story einem Comic entliehen

Die Story beruht auf einer 2010 erschienenen Graphic Novel namens „Sandcastle“ – geschrieben von Pierre Oscar Lévy, illustriert von Frederik Peeters. Das Ehepaar Guy (Gael García Bernal) und Prisca (Vicky Krieps) reist mit seinen Kindern Trent (Nolan River) und Maddox (Alexa Swinton) in ein exklusives Urlaubsressort. Mit Freude folgen die vier einer exklusiven Einladung des Ressortleiters, einen Tag an einem abgelegenen Traumstrand zu verbringen. Doch sie sind nicht die einzigen, es gesellen sich noch eine weitere Familie samt Hund und ein Ehepaar hinzu. Am Ziel angekommen ist trotz türkisfarbenem Meer und atemberaubender Klippen-Kulisse jedoch gar nichts mehr so traumhaft, wie es zunächst scheint.

Nicht nur findet die Reisegruppe gleich zu Beginn des Ausflugs die Leiche einer jungen Frau, auch stellen die Anwesenden alsbald einschneidende Veränderungen an sich selbst fest. Aus den Schulkindern werden ganz plötzlich pubertierende Teenager, und auch der Rest der Rasselbande altert in rasantem Tempo. Den Menschen bleiben nur wenige Stunden, um dem Grauen zu entkommen, ehe sie – zumindest im besten Falle – an Altersschwäche das Zeitliche segnen.

Schockmomente bei strahlendem Sonnenschein

Während viele Mystery-Schocker vorzugsweise in und mit der Dunkelheit spielen, lässt Shyamalan den Horror unter der gleißenden Sonne der Dominikanischen Republik ablaufen. Zugleich spielt er mit dem Faktor Zeit, unserer Endlichkeit und dem permanenten Gefühl, nicht genug aus seinem Leben herausgeholt, zu vieles verpasst und falsch gemacht zu haben. Erstmal nicht die schlechteste Idee, doch krankt „Old“ an so mancher Stelle, darunter der Mangel an Möglichkeiten, immer wieder neue Strandbilder zu erzeugen. So ist der Film vor allem dialoggetrieben, was schnell ins Unangenehme abdriftet. Die Gespräche der selten sympathischen, oft sogar nervigen Charaktere wirken hölzern und unnatürlich. Damit treiben sie einem immer wieder mal die Fremdschamesröte ins Gesicht oder wirken ungewollt humorig.

Noch mehr aber stören die vielen Plot-Holes, die leider an dieser Stelle nicht näher erörtert werden können, ohne zu spoilern. Sie lassen einen nach 108 Minuten zweifelhaftem Filmvergnügen ratlos zurück. Vieles in „Old“ ergibt schlicht keinen Sinn. Dass es in einem Mystery-Thriller nicht immer um Logik geht, ist klar, doch sind die Lücken hier zu evident, um nicht wenigstens teilweise geschlossen zu werden. Unterm Strich ist „Old“ damit sicherlich nicht der schlechteste Film von M. Night Shyamalan, aber eben auch nicht der beste. Er reiht sich maximal im oberen Mittelfeld ein. Da hilft auch der längste Cameo-Auftritt seiner Dienstzeit als Fahrer eines Touristenbusses nichts.

Mancher Zuschauer mag sich gut unterhalten fühlen, sofern er den Film und seine Figuren nicht zu ernst nimmt. Anderen kommt der Gedanke, dass sie mit ihrer Zeit etwas Besseres hätten anfangen können. Schließlich ist das Leben nicht unendlich …

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