Mit „Neon Noir“ veröffentlicht Ville Valo als VV sein erstes echtes Soloalbum, seit sich seine Band HiM 2017 auflöste. Mit ntv.de spricht der 46-jährige Finne über die Vor- und Nachteile des neuen Alleinseins, den neuen Künstlernamen und seine größte Sorge der vergangenen Jahre.
Vier Jahre ist es her, dass Ville Valo gemeinsam mit der finnischen Schlagerband Agents ein Album veröffentlichte und sich als Künstler abseits des Schaffens mit seiner einstigen Band HiM präsentierte. Nun hat der 46-Jährige – acht Jahre nach deren Trennung – sein erstes reines Soloalbum fertig, das er als VV unter dem Titel „Neon Noir“ in die Läden bringt.
Mit ntv.de spricht der Mann aus Helsinki über die Vor- und Nachteile des Kreativprozesses ohne Band, erklärt die starke Verkürzung seines Namens für das neue Werk und was ihn für die Songs darauf inspiriert hat.
ntv.de: Das letzte Album erschient unter Ville Valo (& Agents), nun hast du dich für deine Initialen VV entschieden. Ich könnte mir vorstellen, dass es zum Beispiel die Google-Suche erschwert.
Ville Valo: VV ist es unter anderem geworden, weil ich vor allem die Suchmaschinen der Streamingdienste hasse. Es ist oft so schwer, dort einen Künstler zu finden. Nehmen wir als Beispiel Jóhann Jóhannsson, ein Komponist, der leider 2018 schon verstorben ist. Die isländische Schreibweise seines Namens macht es bei Spotify, Tidal und Co. problematisch. Auch mein Name wird oft falsch geschrieben – Vile Vallo, Vile Valo, Ville Vallo … Sobald man sich verschreibt, findet man mich nicht. VV aber ist praktisch, simpel und sieht gut aus.
Und man kann sie sich super tätowieren, wie es die Fans früher mit HiM gemacht haben.
Auch das. (lacht) Es geht aber ehrlich mehr um Praktikabilität. Ich bin ein großer Fan von Rockmusik allgemein, und wenn aus Vincent Damien Furnier Alice Cooper wird, sind das zwei verschiedene Personen. Das mag ich. Eine erweiterte Version von dir selbst auf der Bühne. Der Typ da oben ist ein anderer als der, der tagsüber Toilettenpapier kauft. Und so ist es auch für mich einfacher, diese beiden voneinander zu trennen.
Auf der anderen Seite – wenn man bei einem Streamingdienst nach VV sucht, werden einem andere Ville-Valo-Sachen nicht angezeigt, und bei der Suche nach Ville Valo, taucht VV womöglich nicht auf.
Ich weiß, ich weiß. Ich hatte mit der Plattenfirma so viele Diskussionen zu dem Thema, aber am Ende war es eine künstlerische Entscheidung.
Der Titel des neuen Albums lautet „Neon Noir“ – weil es noch immer deine bevorzugte Farbe ist?ANZEIGE
Wie kommst du bloß da drauf? (lacht) Ja, ist es, und ich denke, ich bin einfach neonschwarz. Ich bin mit New Wave und dem damals neuen Neon-Anstrich groß geworden. Neon kommt außerdem von Neo, also neu. Und dazu das Noir, Schwarz. Ich fand es irgendwie frech, das Album quasi „The New Black“ zu nennen.
Du beziehst dich musikalisch – neben New Wave – aber schon immer auch auf Bands wie Type O Negative und Black Sabbath. Weißt du noch die erste Platte, die du je gekauft hast?
Das war „Animalize“ von Kiss 1984. Meine Eltern hatten einen großen Einfluss auf mich in Bezug auf Musik. Sie liebten die Rolling Stones und zudem das ganze Motown-Zeug. Das hat mein Vater vor allem gehört.
Hast du das Gefühl, heute als Soloartist mehr du selbst sein zu können als als Teil von HiM ? Oder vermisst du auch etwas?
Was ich definitiv vermisse, ist die Freundschaft und das Brainstorming. Das ist allein sehr schwierig. Einfach zusammen dazusitzen und sich nach der Jackson-Pollock-Methode Dinge zu erarbeiten. Es war sehr einsam, dieses Album zu machen, aber auch eine wirklich wichtige Lektion und interessante Erfahrung. Gerade, wenn man schon so lange involviert ist ins Musikmachen und den Produktionsprozess wie ich. Ich habe jetzt alle Instrumente selbst eingespielt, das Album allein aufgenommen und produziert.
Was war daran die größte Herausforderung?
Niemand kann alles gleich gut, das ist klar. Ich habe die Gitarrenriffs einfach ein bisschen simpler gestaltet als normalerweise. (lacht) Es war vor allem aber eben anders. Für mich nach mehr als 25 Jahren mit HiM mit allen Höhen und Tiefen ist es toll und seltsam, jetzt solo unterwegs zu sein. Ich liebe Musik und Songs zu machen. Etwas aus dem Nichts heraus zu kreieren. Und so ist es einfach schön, wieder da zu sein und dass die Leute mögen, was ich mache. Das ist ja keine Selbstverständlichkeit.
Die Tickets für deine Tour sind jedenfalls schon vor der Veröffentlichung des Albums nahezu vergriffen …
Und ich bin nicht mal sehr aktiv im Social-Media-Business, trotzdem waren die Konzerte in Deutschland in kürzester Zeit ausverkauft. Das ist verrückt. Das kann natürlich auch bedeuten, dass die Leute am Ende vor allem gar nicht das neue Zeug, sondern lieber die HiM-Sachen hören wollen.
Es gibt bestimmt auch einige – vorrangig weibliche – Fans, die dich vor allem mal wieder sehen wollen.
Wenn es doch nur so einfach wäre. (lacht) Ich möchte versuchen, eine gute Mischung aus HiM und aus der Gegenwart und Zukunft hinzubekommen. Ich bin nicht der Typ, der Brücken hinter sich verbrennt und mit seiner Vergangenheit nichts mehr zu tun haben möchte.
Wo besteht neben dem Entstehungsprozess selbst der größte Unterschied zu HiM? Wo möchtest du dich abheben von der Vergangenheit?
Ich muss keine Kompromisse mehr eingehen. Ich kann machen, was ich will, kann zum Beispiel diese New-Wave-Ideen mit einbringen. Die anderen in der Band waren eher Metalheads. Jetzt ist es das pure Ich, eine Essenz. Es ist, was es ist, ich bin glücklich damit. Und ich habe jetzt schon Schmetterlinge im Bauch, wenn ich an die Tour denke. Es ist eine positiv stressige Zeit gerade.
Die Band, die dich jetzt live begleitet, setzt sich wie zusammen?
Das sind alles Musiker aus Helsinki. Ich kannte einige von ihnen, hatte aber bisher noch nie mit ihnen gespielt. Sie kommen hauptsächlich vom Alternative Rock, was ich für sehr gesund halte. Ich habe darauf geachtet, dass sie für meine Art von Musik eine gewisse Sensibilität mitbringen. Der Sound ist der Boss. Sie wissen, dass wir auch einige HiM-Hymnen spielen müssen und es Songs gibt, die mich bis zu meinem Tod begleiten werden und die man nicht ändern kann. Aber wir fügen hier und da ein paar Gewürze hinzu und arbeiten etwas um. Doch es gibt keinen Grund, aus „Join Me“ eine Reggae-Version zu machen oder etwas in der Art.
Wann sind die neuen Songs entstanden? Erst während der Pandemie? Wurden sie von der Situation beeinflusst? Oder war einiges schon vorher fertig?
Es ist eine Kombination aus beidem. Ich hatte bereits einige musikalische Ideen, ehe die Pandemie zuschlug, alle Türen verschlossen und Reisen verboten wurden. Aber das, was mich danach am meisten beeinflusst hat, war, dass ich nichts anderes zu tun hatte. Ich war gezwungen, zu schreiben und Musik zu machen, das war das Zentrum meiner Welt. Eine Rettungsleine, ein Rettungsring, um aus dem ganzen Mist herauszukommen. Das war Musik für mich schon immer. Sie ist meine Art, zu überleben, wenn ich mich schlecht fühle. Sie hat mir geholfen, die Zeit des Nichtwissens zu überstehen, wenn ich davon verängstigt war.
Welche Ängste waren das? Hast du dir jemals Sorgen gemacht, dass Touren, wie du es kanntest, womöglich nie wieder möglich sein könnte?
Gar nicht mal so konkret. Ich dachte eher an das Ende der Zivilisation. Und an meine Eltern, die schon älter sind und empfänglicher für das Virus und seine Folgen. Aber da ist alles in Ordnung. Es waren die mehr oder weniger großen Fragen, die mich beschäftigt haben. Was mit den Clubs und Veranstaltungen passiert, dagegen kann ich nichts tun. Das passiert und egal, was ich tue, das beeinflusst all das nicht. Ich kann nur meinem musikalischen Instinkt folgen und auf das Beste hoffen.