Küsse und herze den Feind

Küsse und herze den Feind

Ich bin sauer, und ja, das bin ich oft. Aktuell kann ich aber noch gar nicht mal sagen, worauf am allermeisten. Natürlich bin ich sauer auf den Terror, aber von dem bin ich vor allem schockiert. Angst hat man aber besser nicht, denn das macht unfrei und liefert den radikalen Irren mit ihren Bomben genau das, was sie sich so sehr erhoffen – neben dem Eintritt ins Paradies und den unzähligen Jungfrauen, mit denen die schwanzlosen Idioten sowieso nichts anzufangen wüssten. Also versuche ich, keine Angst zu haben. Heute Morgen in der überfüllten U-Bahn musste ich allerdings feststellen, dass das gar nicht so einfach ist. Schnappatmung, Schweißausbrüche und stille Gebete an einen Gott, an den ich gar nicht glaube. Vielleicht aber waren Mütze und Schal auch einfach zu viel für die Hitze in dem stickigen Gefährt.

Wirklich sauer aber machen mich die Dummheit und der Hass, die über Facebook und Twitter verbreitet werden. Zum einen all die hirnlosen Kommentare jener, die nach der Schließung aller Grenzen schreien, damit mit dem Flüchtlingsstrom bloß keine Terroristen ins Land kommen. Die Typen starten nämlich in Syrien, nehmen den beschwerlichen Weg über die Balkanroute auf sich, riskieren ihr Leben in winzigen Schlauchbooten auf dem offenen Meer mit nichts als den Klamotten am Leib – und natürlich mit einem Arsenal an Waffen und Bomben in den Hosentaschen. Das tun sie, um sich dann hier irgendwo in die Luft zu sprengen. Nicht, dass es sich beim Terrorismus um eine besonders perfide Form der organisierten Kriminalität handelt, die viel Vorbereitung, Planung und vor allem Geld benötigt. Nein, es sind also die Menschen, die völlig mittellos vor genau diesem Terror in ihrer Heimat fliehen, um ihn dann hier weiter zu verbreiten? Klingt logisch.

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Hass gegenüber dem Terror und seinen Verursachern darf man natürlich durchaus verspüren, auch wenn Hass grundsätzlich keine gute Emotion ist. An dieser Stelle müsste man aber wohl eine Grundsatzdiskussion über Politik führen, will ich aber nicht. Ich meine in diesem Moment mit Verursachern die Typen, die am Wochenende bis zu den Zähnen bewaffnet so viele Unschuldige getötet haben. So ganz direkt, nicht über Umwege, wie es die USA und im Grunde auch Deutschland und vor allem Frankreich tun.

Sauer machen mich auch Menschen, die – kaum sind die letzten Schüsse von Paris verhallt – verbal auf andere losgehen, weil die ihr Foto in den Landesfarben Frankreichs eingefärbt, nicht aber den Toten in Beirut, Kenia und diversen anderen Brennpunkten oder der abgeschossenen russischen Passagiermaschine auf diese Weise gedacht haben. Soll doch jeder mit seiner Trauer, seiner Wut und seinem Entsetzen machen, was er will. Dass uns die Franzosen gesellschaftlich und kulturell sowie in einem eigentlich in Frieden lebenden Land näher sind als all die Menschen in anderen fremderen Kulturen in ferneren Ländern, ist nachvollziehbar. Auch, dass ein Ereignis, von dem es erschreckende Handyvideos gibt, Augenzeugenberichte und vieles mehr, das Empathie hervorruft, einen mehr berührt, als ein nicht auf diese Weise dokumentiertes Ereignis am anderen Ende der Welt, ebenso.

Allerdings sind es dann auch eben diese Dokumente, die mich sauer machen. Zum Beispiel das Foto aus dem Bataclan, aufgenommen kurz nach den Anschlägen, den Boden des Saals voller Blut und … Leichen. Natürlich fragt man sich, wer so ein Foto schießt – im besten Falle ein Ermittler. Wie das dann aber in die Hände der Bild Zeitung gerät und wie dann dort in der Redaktion entschieden wird, es ungefiltert zu veröffentlichen, das kann und sollte einen sauer machen. Weit mehr als ein eingefärbtes Profilfoto.

Leben und leben lassen. Das ist das eigentliche Motto, das auf alle Bereiche passt. Und leider etwas, das auch Frankreichs Regierung nicht beherzigt. Dass nun zurückgeschossen wird, ist noch so ein Punkt, der meine Wut befeuert. Dabei könnte der Song, den die Eagles of Death Metal spielten, als der Terror im Bataclan begann, so symbolisch sein: „Kiss The Devil“ – ausgelegt als Aufforderung, seinem Feind mit Liebe statt mit Gewalt den Garaus zu machen. Dass ich diese Band nun nicht mehr hören kann, ohne an Paris zu denken, macht mich übrigens auch ziemlich sauer.

I’ll love the Devil
I’ll kiss his tongue
I will kiss the Devil on his tongue

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