Arch Enemy zählen zu den größten Exportschlagern der schwedischen Melodic-Death-Metal-Szene. Mit „Deceivers“ steht nach fünfjähriger Release-Pause nun das elfte Album der Band bereit. ntv.de spricht mit Sängerin Alissa über Frauen in Männerdomänen und die Sinnhaftigkeit von Veganismus.
Arch Enemy zählen zu den erfolgreichsten Exportschlagern, die die schwedische Melodic-Death-Metal-Szene zu bieten hat. Gerade mit ihren letzten beiden Alben „War Eternal“ und „Will To Power“ hat sich die Band aus Halmstad einen Namen weit über die Grenzen ihres schönen Landes hinaus gemacht. Fünf Jahre liegt die Veröffentlichung des letzten Werks nun aber bereits zurück. Zeit für etwas Neues, und so erscheint jetzt mit „Deceivers“ das elfte Album von Arch Enemy. Material, das sie eben erst auf dem Wacken live präsentierten.
Seit 2014 als Frontfrau mit dabei ist Alissa White-Gluz, die dem Erfolg der 1996 gegründeten Band um Michael Amott noch einmal neuen Schwung verliehen hat. Mit ntv.de spricht die gebürtige Kanadierin über den kritischen Zustand der Menschheit, die Vorteile von jahrelangem Veganismus und die Rolle von Frauen in einer von Männern dominierten Metal-Szene.
ntv.de: Fünf Jahre ist es her, dass euer letztes Album erschien. Hat Corona eine Rolle dabei gespielt, dass sich der Abstand zwischen zwei Releases dieses Mal vergrößert hat?
Alissa White-Gluz: Mir selbst kommt es gar nicht so lange vor, was wohl daran liegt, dass wir nach „Will To Power“ bis 2019 permanent auf Tour waren. Also hätten wir womöglich sowieso erst in diesem Jahr wieder etwas veröffentlicht. Aber ja, da sind Dinge passiert in den letzten zwei Jahren, die das nicht gerade beschleunigt haben. (lacht) Im Grunde konnte oder musste sich doch jeder eine zweijährige Auszeit von seinem gewohnten Leben nehmen. Und wenn man es so sieht, waren es dann doch nur drei Jahre. Das ist ja eine normale Zeitspanne …
Hat die veränderte Situation die Themen auf eurem Album beeinflusst? Beschäftigen euch heute andere Dinge als noch davor?
Wir haben es natürlich vermieden, die Pandemie selbst zum Thema zu machen. Davon haben wir langsam doch alle genug gehört. Und wenn du neue Musik schreibst, ist es immer gut, sie so zeitlos wie möglich zu machen, damit Menschen sie auch in 20 oder 50 Jahren hören und fühlen können. Aber sicherlich haben die weniger offensichtlichen Konsequenzen der Pandemie eine Auswirkung auf unsere Songs gehabt. Bei „House Of Mirrors“ zum Beispiel geht es um die psychologischen Effekte der Isolation und wie sich das Konzept von Zuhause verändert hat, das sich plötzlich anfühlt wie ein Gefängnis, dem du entkommen willst.https://www.youtube-nocookie.com/embed/1DvDjeRs-_o?rel=0&showinfo=0
Immer wieder wird die Rolle der Frau im Musikbusiness diskutiert, vor allem in Hinblick auf Festival-Line-ups. Im Metal ist die Quote an Frauen besonders gering. Was muss passieren, dass auch hier Gleichberechtigung Einzug hält?
Diese Frage stellen mir in der Regel Männer. (lacht) Ich habe leider keine Antwort darauf. Das Business ist von Männern dominiert, wie viele andere Bereiche auch – die meisten Automechaniker sind ja ebenfalls männlich. Es gibt vielleicht noch nicht viele Frauen im Metal, aber immerhin sind es schon ein paar. Und wir arbeiten hart, kennen uns alle und unterstützen uns gegenseitig. Das ist wichtig, denke ich. Es ist toll, mehr und mehr Frauen in Festival-Line-ups und auf Tourplakaten zu sehen. Es ist sicher gut, dass es Festivals gibt, bei denen nur Frauen auf der Bühne stehen, aber es wäre doch schöner, wenn Männer und Frauen gleichberechtigt auf demselben Event spielen würden.
Wie hast du das zu Beginn deiner Karriere erlebt? Kam die Unterstützung eher von Frauen oder von Männern?
Definitiv von Frauen. Typen haben in mir nur ein „Hot Chick“ gesehen, die haben mich kaum unterstützt. Frauen haben mich auch deutlicher beurteilt als Männer. Und wenn ich selbst sehe, wie toll meine Kolleginnen ihren Job machen, feiere ich das. Es macht mich stolz und glücklich. Mit allen Frauen aus der Szene, die ich bereits getroffen habe, bin ich befreundet. Mit allen anderen wäre ich es gerne und freue mich darauf, sie kennenzulernen.
Stört es dich, wenn in Magazinen oder auch im Rahmen von Festivals das „Hottest Chick“ gekürt wird? Solche sexistischen Ranglisten gibt es ja nur von Männern über Frauen, kaum umgekehrt. Und das spricht Bände …
Ich versuche, nicht allzu persönlich darauf zu blicken. Aber natürlich gibt es Sexismus in der Szene, und viele Typen finden auch heute noch, dass das Ganze ein Club für Männer bleiben sollte, an dem es keinen Platz für Frauen gibt. Viel Glück dabei, wir sind hier und haben nicht vor, wieder zu gehen. (lacht) Manche Leute werden das nie akzeptieren. Männer, die glauben, eine Frau in einer Band sei nicht mehr als ein Gimmick. Wir Frauen lieben Metal aber ebenfalls und wollen ihn spielen. So einfach ist das. Ich selbst erfahre allerdings nicht viel Sexismus in meinem Leben. Klar gibt es entsprechende Kommentare im Internet, aber das ist ja nicht das echte Leben. Alle um mich herum – meine Bandkollegen, unsere Crew, andere Bands – sind cool mit mir. Doch wir können gerne mal eine Liste der stylischsten Männer im Metal aufstellen ….ANZEIGE
Die wird womöglich sehr kurz.
Auch wieder wahr! (lacht)
Du bist ja nicht nur Feministin, sondern auch Veganerin, was auf Tour sicher nicht immer ganz einfach ist …
Ich bin seit 1998 vegan und finde es – gerade heute – super einfach, auch auf Tour. Es gibt nichts für mich, das daran schwierig ist.
Wie sauer machen dich Leute, die 2022 noch immer behaupten, sie könnten niemals vegan leben, denn der Mensch sei für diese Art der „Mangelernährung“ nicht gemacht.
Die Dinge brauchen immer ihre Zeit, um bei den Leuten anzukommen. Es gab mal eine Zeit, da durften Frauen nicht wählen. Heute ist das – zumindest bei uns – unvorstellbar. Große Veränderungen werden immer erstmal abgelehnt, ehe die Menschen den Weg doch einschlagen. Ich denke, Veganismus ist die nächste große Veränderung. Essen ist etwas sehr Persönliches, das seine Wurzeln in Traditionen und teilweise sogar in der Religion hat. Für viele bedeutet es Zeit mit der Familie, ist etwas sehr Intimes. Wenn dann klar wird, dass vieles davon ethisch und moralisch nicht mehr vertretbar ist, geraten die Menschen in eine Abwehrhaltung. Ich verstehe das. Aber wenn man begreift, dass man eine Wahl hat, dass man sich für Dinge entscheiden kann, die ethisch und nachhaltig sind, dann ist es in der Verantwortung jedes Einzelnen, diese Entscheidung zu treffen. Wenn Menschen also sagen, sie könnten das nicht, haben sie es einfach nur noch nie versucht, sonst wüssten sie, wie einfach es ist.
Es ist frustrierend, wenn man sieht, was andere in ihren Einkaufswagen werfen. In Plastik eingeschweißtes Billigfleisch, jede Menge Wurst, Aufschnitt … Wie verlierst du nicht die Hoffnung darauf, dass sich das mal bessert?
Man muss begreifen, dass man auch als einzelne Person einen Unterschied macht, um nicht frustriert zu sein. Allein in meinem Leben habe ich durch mein Verhalten rund 1000 Tieren das Leben gerettet, die nicht für den Verzehr durch mich gestorben sind. Ich habe in meinem Leben noch nie Fleisch gegessen und finde blutige Körperteile in Gefriertruhen ekelhaft. Dazu kommt, dass ich in dem Moment, in dem ich Leute über Veganismus aufkläre, sich das Ganze verbreitet, potenziert, weil ich so die eine oder andere Person vielleicht zum Umdenken bewegen kann. Ich bekomme immer wieder Nachrichten von Fans, die schreiben, sie seien jetzt auch Veganer – meinetwegen oder wegen der Band. Jeder Einzelne ist wichtig, selbst wenn du vegan lebst und es niemandem erzählst – du rettest jeden Tag Leben. Für diese Tiere bist du wichtig.
Zumal das Ende der Massentierhaltung auch noch einen Großteil unseres Klimaproblems lösen würde, was jedoch kaum diskutiert wird, weil hier viel zu viel Lobbyismus drin steckt.
Die Wissenschaft und die Logik geben uns Veganern recht. Global gesehen töten die Menschen jedes Jahr mehr als 70 Milliarden Tiere, und da sind die Millionen und Abermillionen von Meerestieren noch nicht mit eingerechnet – Fische, Beifang und jene Meeresbewohner, die durch Umweltverschmutzung ums Leben kommen. Wir füttern und töten 70 Milliarden Landtiere – bei gerade einmal acht Milliarden Menschen auf dieser Erde. Es verbraucht so viele Ressourcen, Getreide anzubauen, um es dann Kühen zu füttern, diese zu halten, sie zu schlachten, zu verarbeiten und das Fleisch zum Menschen zu bringen … Die Industrie, die dafür verantwortlich ist, ist aber so eng mit den Regierungen verknüpft, dass gar kein Interesse daran besteht, etwas zu ändern. Stattdessen wird das auch noch subventioniert, obwohl es alles heute gar keinen Sinn mehr ergibt. Und klar, Flugreisen, Autos und so weiter schädigen die Umwelt auch, aber es wäre das Einfachste, bei der Ernährung anzufangen und den veganen Burger oder das vegane Eis vorzuziehen.
Vielleicht bekommt man die Leute eher über ihre eigene Gesundheit? Du hast beispielsweise fantastische Haut, tolle Haare und genug Energie, um auf der Bühne alles zu geben. Das ist sicherlich auch deiner Ernährung zu verdanken …
(lacht) Vielen Dank! Und ja, es gibt auch noch den gesundheitlichen Aspekt. Ich stehe gerne für die Stärke, die Veganer mitbringen. Du kannst auch mit veganer Ernährung einen körperlich fordernden Job machen, und ich freue mich immer wieder, das auch bei anderen zu beobachten.
Du selbst kannst das jetzt auch endlich wieder auf der Bühne tun …
Exakt. Unsere letzte Show vor der Pandemie war Ende 2019. Die für 2020 geplanten Gigs wurden verschoben, die Tour 2021 ebenfalls. Wir sind jetzt mit Napalm Death durch Nordamerika getourt, das war fantastisch. Toll, wieder unterwegs zu sein, denn so eine lange Pause wie davor hatte ich noch nie. Umso besser war es jetzt. Und bald kommen wir dann auch nach Europa, worauf wir uns schon sehr freuen.