Amerika befindet sich im Umbruch. Die Ära Bush neigt sich endlich dem Ende zu, und einer, der dies mit Freude beobachtet, ist Richard Melville Hall aka Moby. Er war nie ein großer Fan der Republikaner und des aktuellen US-Präsidenten. Als ich ihn anlässlich seines neuen und damit insgesamt zehnten Albums Anfang Dezember 2007 in New York City treffe, geht bis zur nächsten Präsidentschaftswahl allerdings noch gut ein Jahr ins Land.
ImageNiemand weiß, wer bei dem Demokraten das Rennen machen wird, liefern sich Hillary Clinton und Barack Obama doch gerade noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Und auch eine erste Tendenz für den Regierungswechsel am 4. November 2008 ist noch nicht abzusehen. Und so steht das Thema Politik diesmal nicht auf ganz oben auf meinem Interviewfragenzettel. Es ist kalt in New York.
Als ich am Vorabend unseres geplanten Gesprächs auf dem JFK-Airport lande, liegt sogar noch vereinzelt Schnee. Ein bisschen ärgere ich mich schon, dass der bebrillte Glatzkopf sein Album nicht einfach mal im Sommer oder Herbst veröffentlichen kann. Nein, natürlich liegen die Temperaturen bei meinem erneuten NYC-Besuch mal wieder weit unter Null, auch wenn es nicht ganz so frostig ist wie vor drei Jahren, als ich mich anlässlich der Veröffentlichung von „Hotel“ hier mit ihm traf. Aber ich will mich nicht beklagen, bin ich doch froh, überhaupt hierher kommen und einmal einen privateren Blick hinter die Moby-Kulissen werfen zu dürfen, schließlich findet das Interview am Montag dann in seinem Loft in der Lower East Side, der hippsten Gegend Manhattens, statt. Klar geht ein so früher Interviewtermin ein bisschen zu Lasten der Aktualität, aber das Album klingt auch vier Monate später ja nicht anders als kurz nach seiner Fertigstellung. „Last Night“ lautet der Titel des Longplayers, mit dem der New Yorker nach einigen Ausflügen in chartkompatiblere Pop-Gefilde endlich mal wieder die Tanzflure aufmischen will und wird. 15 danceorientierte Tracks lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass Moby sich unlängst seiner Wurzeln besonnen und muskalisch einen Blick zurück in die Zeiten von „Feeling So Real“ und „Go“ geworfen hat. Radio- und damit charttaugliche Nummern wie sie noch das Vorgängeralbum „Hotel“ mit „Lift Me Up“ oder „Slipping Away“ bot, sucht man hier vergebens. Frisch und doch oldschool, so klingt „Last Night“, und so ist es vom Künstler selbst auch gewollt. Eine Nacht in New York City soll es darstellen, und die klingt nunmal so. Das zumindest erklärt er mir, als ich im obersten Stockwerk des Hauses nahe der Prince Street angekommen bin, mich durch den schmalen, an der rechten Wand mit goldenen Schallplatten gepflasterten und an seinem linksgelegenen kleinen Wohnzimmerstudio vorbeiführenden Flur geschoben und auf dem kleinen weißen Sofa im Wohn/Essbereich seines Lofts Platz genommen habe. „Ich habe vor rund eineinhalb Jahren angefangen, dort drüben in meinem kleinen Studio am neuen Album zu arbeiten. Ich schrieb Dancesongs, Punkrocksongs und experimentelles Ambientzeug. Irgendwann aber stellte ich schlussendlich fest, dass ich gerne ein Dancealbum machen würde, mit dem ich den Hörer durch eine achtstündige Partynacht in New York City führe, gebündelt in etwa 65 Minuten. Was hier in den Undergroundclubs abgeht, ist sehr speziell und vielseitig. Dort hörst du DJs, die die verschiedensten Genres vermischen, Dancetracks ebenso wie die Rolling Stones spielen, dann wieder Kraftwerk, aber auch HipHop-Nummer, und immer Altes mit Neuem zusammenbringen. Eben dies wollte ich auch mit meinem Album, eine Spaßplatte, die einem eine Nacht in meiner Stadt vermittelt.“
Und so verbindet auch „Last Night“ Rave- mit HipHop-Elementen, Oldschool mit NuSchool. „Hier in dieser Gegend sind eine Menge Bars und Clubs, und ich gehe wirklich viel aus. Mein Bestreben war, das was ich hier erlebe, auf einer Platte zu transportieren. Dabei habe ich mich allerdings keineswegs bewusst dafür entschieden, einen ganz bestimmten Sound zu kreieren. In New York gibt es nur einige große Clubs, der Rest sind eher kleine Bars und winzige, undergroundige Locations, und diese bevorzuge ich. Dort ist der Sound westenlich abwechslungsreicher, während in den großen Läden doch eher konventionellere Clubmusik gespielt wird.“ Und Moby ist keineswegs lediglich stiller Beobachter der Szene, sondern mischt seit geraumer Zeit auch wieder selbst im Partygeschehen des Big Apples mit. Jeden Donnerstag findet im Hiro Ballroom in der 16. Straße seine „Degenerates“-Partyreihe statt, bei der er die Nacht an den Decks höchstpersönlich bestreitet. Auch dies ist ein Grund dafür, dass er stets einen Blick weit über den musikalischen Tellerrand New Yorks im Speziellen und den USA im Allgemeinen hinauswirft. „Ich habe nie die DJs verstanden, die lediglich eine bestimmte Art von Musik spielen. Am Ende des Tages soll natürlich jeder machen, was wer will, aber für mich ist es wichtig, sehr viele verschiedene Richtungen zu hören und zu spielen. Einige meiner DJ-Freunde legen zum Beispiel ausschließlich Minimal Techno auf. Ich mag Minimal Techno, aber doch bitte nicht den ganzen Abend lang. Ich finde es ziemlich beschränkt, sich selbst so in seiner Freiheit zu beschneiden.“ Die wütende Disco-Diva habe eine lange Tradition, erklärt mir Moby, als ich ihn darauf anspreche, dass nicht unbedingt alle Titel des Albums zunächst positive und gut gelaunte Vibes zu vermitteln scheinen, wie „Disco Lies“ oder „Degenerates“ beispielsweise. „Erinnere dich an ‚I Will Survive’, ein sehr wütender und doch positiver Discosong. Und so gibt es auch bei mir sowohl sehr gut gelaunte, aber auch wütende Stücke.“
Eines der bessergelaunten ist „Everyday It’s Like 1989“, wohl die oldschooligste Rave-Nummer des Albums neben dem ähnlich angelegten „The Stars“. „1989 war der Zeitpunkt, an dem die ganze Ravegeschichte begann. Damals war alles sehr viel idealistischer und noch ganz neu, es war die Zeit der großen Hymnen. Und so ist diese Nummer dann auch eine pianolastige Ravehymne. Wenn ich ganz ehrlich bin, mache ich mir meist aber wenig Gedanken um die Namen der Tracks. Ich bin da anders als Michael Stipe von R.E.M. oder Radiohead, die Jahre damit verbringen, über ihre Songtitel nachzudenken“, lacht er. Und doch passt in diesem Fall der Name wie die berühmte Faust aufs Auge. Neben dem Pianolauf sind es die Vocals, die diesen Track zu einem traditionellen Anthem nach altem Muster machen. Überhaupt hat Moby für „Last Night“ auf eine Menge Gäste zurückgegriffen, die den einzelnen Titeln ihren ganz eigenen Charme verleihen. „Ich habe im Laufe meiner Musikkarriere schon mit einer Vielzahl von Sängern zusammengearbeitet. Es waren sowohl sehr bekannte Größen, wie aber auch absolut unbekannte Künstler dabei, Menschen, die ich gut, andere die ich vorher gar nicht kannte. Für ‚Last Night’ habe ich aussschließlich mit Leuten gearbeitet, mit denen ich schon lange gut befreundet bin. Das ist der einfachste und unkomplizierteste Weg. Die Freunde kommen vorbei, man produziert gemeinsam, anschließend geht man zum Essen. Man muss nicht vorher jede Einzelheit ausdealen und mit Managern oder Plattenfirmen sprechen. Man greift einfach zum Telefon, ruft seinen Freund an und fragt ihn, ob er Lust hat, herüber zu kommen.“ Dies ist dann auch der Grund dafür, dass man beinahe keinen der Künstler, die man auf „Last Night“ zu Ohren bekommt, bereits kennt. „Nur zwei Sänger sind ein bisschen bekannter, denke ich. Grandmaster Caz, den man auf ‚I Like To Move In Here’ hört, hat damals, Anno 1979, ‘Rappers Delight’ geschrieben. Die andere ist Sylvia Gordon, Sängerin der New Yorker Band Kudu, die die Vocals zu ‚Last Night’ eingesungen hat.“ Die Stimme bei „Hyenas“ gehört zu einem algerischen Sänger, den Moby in einer Karaokebar beim Intonieren eines James-Brown-Titels aufgerissen hat. Der Rap bei „Alice“ hingegen geht auf das Konto der britischen HipHop-Aktivisten 419 Crew und Aynzil.
Mobys zweite große Leidenschaft ist die Rockmusik, und hier gründete er erst im vergangenen Jahr mit einigen Freunden die Band The Little Death NYC und spielte ein paar Shows in seiner Heimatstadt. „Ich mag eigentlich jede Art von Musik, ob Dance, Klassik, Punkrock oder HipHop. Diese Band haben wir lediglich wegen des Spaßfaktors gegründet. Wir haben keine großen Ambitionen, Platten zu machen oder auf Tour zu gehen. Wir treffen uns, trinken ein paar Bier, spielen sehr laute Rockmusik, und das wars auch schon. Mag sein, dass das einige Leute verwirrt. Donnerstags lege ich Clubsound im Hiro Ballroom auf, am Sonntag spiele ich dann irgendwo anders mit meiner Rockband. Das läuft bei mir alles parallel. Es gibt nichts, das ich phasenweise lieber mag, ich mag alles zur jeder Zeit gleich. Im wundervollen Zeitalter des iPods hat sich die Art, Musik zu hören, ohnehin verändert. Die Leute stellen ihren Player auf Shuffle, und so wechseln sich Rock-, Dance- oder auch Klassiksongs ab. Das finde ich sehr gesund so.“ Aber auch in Sachen Rock, um darauf noch einmal zurückzukommen, ist Moby eher der oldschoolige Typ. Mit neuen Bands kann er wenig anfangen, und so finden sich auf der Liste seiner Lieblingsacts altgediente Künstler wie die Sex Pistols, The Buzzcocks, The Clash, oder Sonic Youth wieder. „Die neuen Bands und ihre Musik sprechen mich nicht auf die gleiche Art und Weise an, wie es die alten tun. Ich finde sicherlich viele aktuelle Bands okay, aber warum soll ich ihre Musik hören, wenn ich in der gleichen Zeit The Buzzcocks hören kann“, lacht er. Den Sound von The Little Death NYC beschreibt er dann übrigens als eine Mischung aus Led Zeppelin und Janis Joplin, klingt interessant und irgendwie psychedelisch. Führt ihn die Arbeit mit dieser Band wohl niemals auf einen Weg außerhalb der Grenzen New York Citys, so soll dies natürlich mit dem Album „Last Night“ gänzlich anders sein. Während er mit „Hotel“ in 2005 noch auf große Livetour mit einer gut aufgestellten Band ging, sind es jetzt allerdings DJ-Gigs, die er anstrebt. Im Februar war er bereits einmal im Düsseldorfer 3001 zu Gast, doch soll es dabei nicht bleiben. „Ich war den größten Teil der letzten zehn Jahre auf Tour, und irgendwie mag ich das alles nicht mehr so sehr. Es wird auch einige Live-Termine geben, aber nicht mehr mit einer konventionellen Band, also ganz anders als noch zu ‚Hotel’. Nicht, dass wir uns da falsch verstehen, ich liebe es, mit der Band auf der Bühne zu stehen. Nur das ganze Drumherum, die Monate fern von daheim, das Leben im Tourbus etc., das ist mir alles zu viel. Das Schöne am DJing ist, dass du irgendwo hinfliegst, auflegst, im Hotel schläfst und es am nächsten Tag auch schon wieder nach Hause geht.“
Und wo wir schon mal beim Thema sind… Wo war er im vergangenen Jahr am 25. August, als er eigentlich bei der Loveparade in Essen auf der Bühne stehen sollte? Gerüchte über einen verpassten Flug aufgrund eines vergessenen Ausweises gab es, doch wie sieht die Wahrheit aus? „Der wahre Grund für meine Abwesenheit bei der Loveparade war der Irak-Krieg“, erklärt Moby und sucht eine Weile nach den richtigen Worten. „Es gab seitens der Regierung Probleme mit meinem Pass, nur leider ist es mir nicht erlaubt, weiter ins Detail zu gehen. Nur soviel: Seit 9/11 gibt es den sogenannten ‚Patriot Act’ [Gesetz zur Stärkung und Einigung Amerikas durch Bereitstellung geeigneter Werkzeuge, um Terrorismus aufzuhalten und zu blockieren – Anm. d. A.], und wenn dein Name hier auf einer speziellen Liste auftaucht, kann die Polizei dich davon abhalten, in einen Flieger zu steigen, ohne Gründe dafür nennen zu müssen. Nun, und aufgrund meiner politischen Aktivitäten stand mein Name zu diesem Zeitpunkt auf einer solchen Liste. Du siehst, es war schon ein bisschen komplizierter, als es am Ende der Einfachheit halber der Öffentlichkeit präsentiert wurde.“ Mittlerweile ist der „Weg nach draußen“ für Moby wieder offen, gab es aufgrund dieses Vorgehens seitens der Regierung seiner Aussage nach in den letzten Jahren wohl einfach zu viele Skandale. „Es standen soviele Namen auf solchen Listen, die niemals politisch aktiv waren. Zum Beispiel ein siebenjähriger Junge, dem es so nicht erlaubt war, ein Flugzeug zu besteigen. Langsam aber sicher musste die Regierung dieses Vorgehen dann einstellen.“ Möglicherweise besteht also in diesem Jahr die Chance auf Nachholung des DJ-Gigs auf der großen Loveparade-Bühne, dann allerdings in Dortmund. Ob es soweit kommt, stand allerdings zum Redaktionsschluss noch nicht fest. Es bleibt somit spannend…Kommen würde er sicherlich gerne, da Deutschland nach wie vor eine große Bedeutung für ihn hat. Immerhin startete er Mitte der 90er einst seine DJ-Karriere bei uns. „Deutschland ist sowas wie der Nabel der Welt in Sachen elektronische Musik. Ich hätte also wirklich sehr gerne bei der Loveparade gespielt und war sehr enttäuscht, dass das nicht geklappt hat.“ Ein weiteres großes Event im vergangenen Jahr war das von Al Gore initiierte „Live Earth“-Konzert, das zeitgleich auf allen sieben Kontinenten stattfand und im Zeichen des Umweltschutzes so manchen Top-Act präsentierte. Moby, selbst Veganer, Tier- und Umweltschützer, war nicht dabei. Hätte diese Kollaboration für das Konzert in New York nicht nahe gelegen? „Die haben mich nicht gefragt. Am Ende war ich aber sehr froh, nicht involviert gewesen zu sein, erschien mir das Ganze doch als reine Zeitverschwendung. Da machen die ein so großes Event, um auf die globale Erwärmung hinzuweisen… unzählige Menschen reisen an, essen ihre Hot Dogs, die Künstler werden eingeflogen und so weiter. All das produziert doch nur zusätzliches Kohlendioxid. Die Intention war sicherlich eine gute, aber letztendlich ändert ein solches Event doch rein gar nichts.“ Was aber ändert etwas? Was tut Moby selbst, um der Welt noch mehr globale Erwärmung zu ersparen? „Auf privater Ebene versuche ich alles Menschenmögliche zu tun. Beruflich ist es dann doch eher schwer. Es gibt eine Menge Plastik-CDs mit meinem Namen drauf. Wenn ich auf Tour gehe, bin ich mit einem Tourbus unterwegs. Zu meinen DJ-Gigs fliege ich mit dem Flugzeug. Privat aber tue ich einiges. Zum einen bin ich Veganer, und 20 Prozent des Co2-Ausstoßes kommen aus der Fleischverarbeitung. Zum anderen lebe ich in New York City, und das ist das Beste, was man machen kann, um die Umwelt zu schonen. Niemand hier hat ein Auto. Ich greife auf Second-Hand-Möbel zurück, ich recycle… Aber ich kann mir ganz sicher nicht auf die Schulter kopfen dafür, da ich eben auf beruflicher Ebene zu tief mit drinstecke. Aber ich denke, dass dank der Entwicklung digitaler Technologien die Welt in Zukunft ein etwas grünerer Ort werden wird, da so viel weniger verarbeitende Industrie nötig ist.“ Sein Wort in Gottes Ohr, seine Musik in unseren. Ein schönes, positives Schlusswort…