Der Psycho-Thriller „Inside“ ist eine One-Man-Show, in der Willem Dafoe seinem Können als Charakterdarsteller freien Lauf lassen kann. Anlässlich der Berlinale in Berlin schwärmte der 67-Jährige im Interview von der Hauptstadt und erklärt, warum er nicht nur mit etablierten Regisseuren zusammenarbeitet.
Willem Dafoe ist das, was man ohne jedweden Zweifel einen Charakterdarsteller nennen kann. Romantische Komödien mit dem heute 67-Jährigen findet man in seiner nunmehr gut 40 Jahre andauernden Karriere eher nicht. Stattdessen spielt er mit vollem Körpereinsatz am liebsten schräge Bösewichte oder Männer in Extremsituationen.
Auch im nun startenden Thriller „Inside“ des griechischen Regisseurs Vasilis Katsoupis befindet sich die von Dafoe verkörperte Figur Nemo in einer äußerst misslichen wie auch extremen Lage. Der Profidieb bricht in ein New Yorker Luxusapartment ein, um vor allem eine besondere Malerei zu stehlen, als die hoch technisierte Bude plötzlich die Schotten dicht macht und ihn für unbestimmte Zeit einschließt. Es beginnt ein einsamer Kampf ums Überleben inmitten teuersten Interieurs und einzigartigen Kunstobjekten.
„Inside“ feierte bei der diesjährigen Berlinale im Februar seine Deutschlandpremiere, zu der auch Willem Dafoe der Hauptstadt einen Besuch abstattete. Ein Besuch von vielen, wie er ntv.de im Interview unter anderem erklärte.
ntv.de: Mr. Dafoe, 2018 sind Sie bei der Berlinale mit dem Preis für Ihr Lebenswerk ausgezeichnet worden. Nun kehren Sie auf mit einem neuen Film zurück. Fühlen Sie sich willkommen in der Hauptstadt?
Willem Dafoe: Sehr, und ich war schon viele Male hier, denn ich mag Berlin und habe eine lange Geschichte mit der Stadt. Ich habe hier viele Filme gedreht und Theater gespielt. Aber ich bin auch schon als Tourist hergekommen. Das habe ich bereits in jungen Jahren getan – vor der Mauer, während der Mauer und auch danach. Ich habe tatsächlich noch immer viele deutsche Freunde.
Mauern sind auch „Inside“ das Problem von Protagonist Nemo. Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie das Projekt vorgeschlagen bekommen beziehungsweise das Drehbuch gelesen haben?
Das ist beides ungefähr zur selben Zeit passiert. Als Erstes habe ich geschaut, wer der Regisseur ist, der diesen Film machen will, dann haben wir uns kennengelernt. Er hatte nicht viele Arbeiten, die er mir hätte zeigen können, nur einen Dokumentarfilm. Aber ich hörte ihm zu, als er von seinen Recherchen erzählte. Hörte, wie er auf die Idee gekommen war und dachte: „Das ist interessant.“ Es begann ein langer Prozess, Vasilis trug die Geschichte davor auch schon eine ganze Weile mit sich herum. Er hatte ein Drehbuch, aber das war unvollkommen, eher eine Blaupause. Das Wichtigste war, die Kunstsammlung zu finden und das Gebäude, der Rest ergab sich dann. Am Ende mussten wir das Apartment mit all seinem Hightech und Design allerdings im Studio bauen.
Sie haben schon mit den ganz großen Regisseuren – von Wes Anderson über David Lynch und Oliver Stone bis Lars von Trier – gearbeitet. Dementsprechend war dieser Job ja schon ein Risiko …
Ich arbeite immer wieder gern mit neuen, noch unbekannten Regisseuren, um ein Gleichgewicht herzustellen. Ich denke, es ist ein Fehler, nicht auch mal mit neuen Leuten zu arbeiten, denn sie bringen einen anderen Enthusiasmus mit. Eine Süße und Ehrlichkeit, die einige Leute verlieren, wenn sie erfolgreich werden. Und manchmal verlieren sie auch, wenn sie genau das nicht sind. Neue Regisseure bringen eine andere Frische rein.
Sind bei den Angeboten, die Sie erhalten, in jüngerer Zeit auch vermehrt Frauen dabei?
Ja, viel mehr. Aber ich habe schon früher viel mit Frauen gearbeitet. Bevor es modern war. (lacht) Nein, im Ernst. Ich hatte zwei große Beziehungen in meinem Leben, und beide Frauen waren Regisseurinnen, mit denen ich viele Projekte gemacht habe. Eine war beim Theater, die andere bei Film. Und es gab noch ein paar mehr, mit denen ich gearbeitet habe. Aber es stimmt schon, aktuell gibt es ein großes Verlangen nach mehr Frauen in solchen Positionen. Und es gibt heute mehr Möglichkeiten für Frauen. Ich hoffe, das bleibt so, bis es sich irgendwann ausgleicht und gleich viele Männer wie Frauen dabei sind. Noch ist das Filmbusiness ein Männerverein.
Ihre Figur Nemo ist ein Kunstdieb, aber auch ein Kunstliebhaber. Hat er zumindest Letzteres mit Ihnen gemeinsam?
Absolut, Kunst ist ein Teil meines Lebens. Ich bin in einer Zeit in New York aufgewachsen, in der die Kunstszene geradezu explodierte, und viele junge Künstler, mit denen ich befreundet war, lebten sehr einfach. Aber sie haben hart gearbeitet und sind sehr erfolgreich geworden. Das habe ich miterlebt. Ich habe heute noch viele Freunde, die Künstler sind, die ich in ihren Ateliers besuche oder zu deren Ausstellungen ich gehe. Das inspiriert mich, denn Kunst kann etwas bewirken. Sie kann gewisse Denkweisen infrage stellen, und das ist ein großes Vergnügen.
Nemo ist mit viel inspirierender Kunst in einem luxuriösen Penthouse auf sich allein gestellt, das heißt, auch Sie als Schauspieler haben niemanden, mit dem Sie vor der Kamera interagieren. War das die größte Herausforderung bei diesem Projekt?
Das Schwierigste war, die richtige Balance zu finden, sodass alles organisch ist und wir nicht einfach nur die nächste Robinson-Crusoe-Geschichte erzählen. Wir wollten uns auch die Zeit nehmen, um abzuschweifen und uns in die Stimmung hineinzuversetzen, in der sich Nemo befindet. Wie er psychologisch mit den Dingen umgeht. Vor Ort mussten wir immer wieder Dinge anpassen. Man muss aufpassen, dass man nicht das zeigt, was jeder schon kennt – und so ist der Film voller Metaphern und Allegorien.
Besonders spannend finde ich, dass man überhaupt nicht sagen kann, wie lange Nemo in diesem Apartment gefangen ist … Sind es Tage? Wochen? Monate … Es gibt nur eine einzige Stelle, die eine Ahnung zulässt.
Exakt. Ursprünglich gab es im Drehbuch diesen Punkt, an dem er struppige Haare und einen Bart hat. Das war eines der ersten Dinge, bei denen ich gesagt hab: „Vergesst das.“ Ab dem Moment, in dem er dort ankommt, ist die Zeit abstrakt. Wenn du länger als zwei Tage dort bist, bekommst du eine Krise. Hast du kein Wasser und kein Essen, wird es zu einem echten Problem, mit dem du fertig werden musst. Die Zeit war also ein wenig dehnbar. Klar, Haare und Bart wachsen, er wird ein wenig dünner … aber abgesehen davon ist es abstrakt. Und das war einfach, denn wenn du zwölf Stunden am Tag mit der Crew und einem Schauspieler in einem geschlossenen Raum arbeitest, verlierst du jegliches Zeitgefühl. Es gab keinen Morgen, es gab keine Nacht.
Nemo muss sich immer mehr auch mit dem Gedanken anfreunden, allein in diesem Luxusapartment zu sterben, wenn er keinen Ausweg findet. Wäre das etwas, das auch Ihnen Angst macht?
Klar habe ich Angst davor, aber am Ende sterben wir alle allein. Die besondere Herausforderung, wenn man älter wird, ist aber vielmehr, das Alleinsein zu genießen. Man muss etwas in sich finden, das einem Freude bereitet – auch jenseits dieser Welt. Der einzige Weg, das zu tun, ist, nach innen zu gehen – und das wiederum geht nur in der Isolation. In Nemos Fall ist es nicht ein Wald oder so etwas, sondern eine Waldtransformation. Ich denke, dass er sich verwandelt, so kaputt wie er ist. Er fängt an, Dinge zu erschaffen und sich zu wenden. Er sucht nach einer Art von Sinn.
Sie haben mal in einem Interview vor ein paar Jahren gesagt, in Ihrer Jugend hätten Sie sich oft gelangweilt, heute haben Sie immer zu tun. Soll das am besten für immer so bleiben?
Die Wahrheit ist, dass ich bis zu einem gewissen Grad immer arbeite, denn ich arbeite gern. Selbst wenn ich nicht drehe, bereite ich normalerweise etwas vor oder suche nach etwas, das ich tun kann – und das kann eine Menge Arbeit sein. Manchmal lese ich viel, und zwar nicht nur Drehbücher, sondern auch Hintergrundmaterial zu bestimmten Themen. Das ist mein Job. Und dann reise ich auch viel, um Filme zu unterstützen und solche Sachen. Außerdem lebe ich an verschiedenen Orten, und das hält einen auf Trab, denn wenn man weg ist, kommt man zurück und alles ist ein Chaos. Und das muss man erstmal wieder auf Vordermann bringen. (lacht)