„Bis wir tot sind oder frei“ – Von echtem Schmerz und wahrer Freiheit

„Bis wir tot sind oder frei“ – Von echtem Schmerz und wahrer Freiheit

Ausbrecherkönig Walter Stürm gilt als Symbol des linken Freiheitskampfs in der Schweiz der 1980er-Jahre. Oliver Rihs hat sich dessen Geschichte angenommen, rückt dabei jedoch die Anwältin Barbara Hug in den Mittelpunkt und stellt die berechtigte Frage nach der Definition von Freiheit.

Schon vor eineinhalb Jahren war „Bis wir tot sind oder frei“ eigentlich startklar, dann passierte längere Zeit aus gegebenem Corona-Anlass wenig bis nichts. Jetzt aber kommt das Drama von Oliver Rihs tatsächlich doch noch in die Kinos.

Rihs ist gebürtiger Schweizer sowie Wahlberliner und dem hiesigen Publikum am ehesten durch seinen 2006 erschienenen Episodenfilm „Schwarze Schafe“ ein Begriff. Für „Bis wir tot sind oder frei“ hat er sich von wahren Begebenheiten und Figuren inspirieren lassen und sich auf ein Thema fokussiert, das durch die Entwicklungen der vergangenen Jahre und Monate einmal mehr zur Grundlage für viele Diskussionen wurde: den Begriff der Freiheit.

Die Story basiert auf der Biografie von Walter Stürm, der – gespielt von Joel Basman – eine der Hauptfiguren des Films ist. Stürm gelangte in den 1970er und 1980er Jahren in der Schweiz als Ausbrecherkönig zu zweifelhaftem Ruhm. Acht Mal konnte er dem Gefängnis entkommen. Seine Fluchten wurden als subversive Kommentare zur Isolationshaft und der Enge der Schweizer Bürgerlichkeit interpretiert, weil die linke Jugendbewegung gerade eine Galionsfigur brauchte. Ob Stürm tatsächlich so politisch war, wie ihn die Linken gern gehabt hätten, konnte nie final geklärt werden, darf aber bezweifelt werden. Nicht wenige aus der Szene blieben desillusioniert zurück, als sie feststellten, dass er nicht der moderne Robin Hood war, für den sie ihn lange gehalten hatten.

Kampf für einen Mythos

Es war vor allem seine Anwältin Barbara Hug, die sich immer wieder für ihn einsetzte und für seine vermeintliche Freiheit kämpfte. Sie und ihren aufopferungsvollen Kampf gegen das menschenverachtende Strafvollzugssystem der Schweiz rückt Rihs in den Mittelpunkt seines Films.

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Heike (Jella Haase) im Kreise ihrer Mitstreiter.(Foto: Contrast Film/Philippe Antonello)

Die körperlich angeschlagene Hug (Marie Leuenberger) vertritt Anfang der 1980er Jahre linke Aktivisten und Aktivistinnen, so wie Heike (Jella Haase), die im Rahmen einer Demo verhaftet wurde. Die Anwältin nutzt das Gericht als Bühne, die Verhandlungen als Möglichkeit, auf die Missstände des rückständigen Schweizer Strafrechts hinzuweisen.

Zur selben Zeit entkommt Walter Stürm einmal mehr aus dem Gefängnis und befindet sich auf der Flucht. Auch er kämpft für die Freiheit und die Würde des Menschen, allerdings hat er dabei vor allem sich selbst im Sinn. Nicht nur Heike ist begeistert von dem charismatischen Kriminellen, auch Barbara findet Gefallen an ihm. Und so steht sie nicht nur aus ideellen Gründen an seiner Seite und setzt sich für ihn ein – ob er will oder nicht.

Freiheit vs. Isolation

In 119 Filmminuten stellt Rihs in den schönen und teils bedeutungsschwangeren Bildern von Kameramann Felix von Muralt immer wieder Freiheit und Isolation gegenüber. Er zeigt eine idealistische Hug, die trotz ihres eigenen Schicksals für Stürm, den Mythos und die Sache kämpft. Walter Stürm dagegen kämpft in erster Linie für sich selbst und nimmt dabei wenig Rücksicht auf andere – am allerwenigstens auf Hug. Er ist ein Gefangener seiner selbst, und das ist eine Haft, der er deutlich schwerer entkommt als dem Schweizer Strafvollzug.

Die Darsteller machen ihre Sache sehr gut, allen voran Marie Leuenberger als körperlich eingeschränkte Barbara Hug. Die wechselnden Verkleidungen, die Stürm zum Untertauchen nutzt, wirken dagegen oft eher lächerlich als überzeugend und lassen das Ganze schon mal ins Klamaukige abrutschen. Die linke Zelle im Schwarzwald und ihre Protagonisten haben etwas Scherenschnitthaftes. Und dass Hug in Stürm verliebt war, wird ihr von Rihs und den übrigen Autoren des Drehbuchs lediglich angedichtet. Belege dafür gibt es wohl nicht.

Alles in allem ist „Bis wir frei sind oder tot“ aber ein sehenswertes Drama mit nur einigen Längen. Die Darstellung von Barbara Hug speist sich in weiten Teilen – aufgrund mangelnder Quellen – aus der Fantasie aller Beteiligten. Dass Stürm-Darsteller Joel Basman jahrelang rein zufällig Tür an Tür mit der gealterten Anwältin lebte, könnte durchaus ebenfalls eingeflossen sein.

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