So sehr Bianca Casadys Stimme seit jeher auch vor Naivität strotzt, so intelligent eröffnet sich dem Hörer der musikalische Kosmos von CocoRosie. Im Teenageralter voneinander getrennt und erst viele Jahre später wieder zueinandergefunden, stehen die Schwestern Sierra und Bianca Casady heute für einen Mischung aus elektronischen Samples, klassischen Instrumenten und zu solchen umfunktionierten Alltagsgegenständen.
Das Ergebnis dieser kunstliebenden Schwesternpaarung weist zahlreiche bunte und unterschiedliche Projekte auf, darunter das Theaterstück „Nightshift“ und die Pop-Oper „Soul Life“ im Hamburger Kampnagel 2012. Im selben Jahr kuratierten sie das Donaufestival in Krems. Bianca stellte zudem als bildende Künstlerin in NYC aus, Sierra spielte auf dem Meltdown Festival in London. Zuletzt entwickelten die zwei Musik für eine Bühnenversion von „Peter Pan“, die Robert Wilson seit April am Berliner Ensemble zeigt. Im März kollaborierten die Schwestern in Paris für eine einmalige Aufführung mit Laurie Anderson. Außerdem wird Bianca Casady noch in diesem Jahr die Kunstpublikation „Girls Against God“ veröffentlichen. Angelehnt an dieses Projekt haben die Casadys gemeinsam mit Antony Hegarty (Antony And The Johnsons), Kembra Pfahler (The Voluptuous Horror Of Karen Black) und Johanna Constantine die „Future Feminists“ gegründet, deren erklärtes Ziel es ist: “to free society and protect the planet from the corrosive effects of patriarchal belief systems”.
Das alles, sowie vier gemeinsame Alben gingen bislang auf das Casady-Kreativkonto – zugegebenermaßen nicht allesamt gleichsam überzeugend. Nun ist mit „Tales Of A Grass Widow“ das fünfte Werk erschienen, und dieses gestaltet sich einmal mehr experimentierfreudig bis avantgardistisch und doch eingängiger als zuletzt. Dass Bianca häufig klingt wie Björk und der Name des Produzenten Valgeir Sigurðsson – Isländer und Ex-Produzent Björks – lautet, ist nicht mehr als ein Zufall. War der Vorgänger „Grey Oceans“ reduzierter, gehen Bianca und Sierra mit „Tales Of A Grass Widow“ wieder ein Stück zurück in ihre eigenen musikalische Vergangenheit und fügen ihr zudem einen rhythmischen Beat hinzu. Elektronik trifft Organik, Futuristisches auf Retroeskes. Bianca und Sierra selbst bezeichnen „Tales Of A Grass Widow“ als „Dance Album“, und tatsächlich ist wohl das erste, in Auszügen tanzbare Werk.
„Transformative ecstasy in the face of harmful neglect” lautet das Leitmotiv des Longplayers, der inhaltlich einige düstere, tragische Geschichten erzählt – wie beim Stück „Gravediggers“, in dem ein Waisenkind eine Totengräberin bittet, seine Liebe zu begraben, sie zu beschützen und sicher aufzubewahren. Wehmut, Melancholie und Schmerz treffen immer wieder auf Hoffnungsschimmer. Sämtliche Songs des Albums streifen thematisch der Schwestern ganz persönliche Antwort auf die Mission der „Future Feminists“ – ein Thema, das die Casadys schon immer begleitet und sicher nie loslässt.