Shirley Manson von Garbage: „Es ist Zeit für neue Ideen“

Shirley Manson von Garbage: „Es ist Zeit für neue Ideen“

Fünf Jahre ist es her, dass Garbage ihr letztes Album veröffentlicht haben. Nun kommt mit „No Gods No Masters“ der siebte Longplayer der US-Band rund um die schottische Frontfrau Shirley Manson heraus. ntv.de spricht mit ihr über alte weiße Männer und die Hoffnung auf Veränderung.

Gegründet im Jahr 1993, haben Garbage mit ihrem Mix aus harten Gitarrenriffs und elektronischen Einflüssen die Musik der Post-Grunge-Ära maßgeblich geprägt. Grund dafür war neben Butch Vig, der zuvor schon als Produzent von Bands wie Nirvana arbeitete, die schottische Frontfrau Shirley Manson. Die Band aus Madison, Wisconsin, landete Hits wie „Only Happy When It Rains“ und „Stupid Girl“ und verkaufte in der Folge bislang mehr als 17 Millionen Alben.

Mit „No Gods No Masters“ steht nun der siebte Longplayer bereit, auf dem sich Garbage politischer denn je präsentieren. Sie lehnen sich in ihren Texten auf gegen Rassismus, Sexismus, Kapitalismus und die Vorherrschaft alter weißer Männer. ntv.de spricht mit Shirley Manson über deren hoffentlich bröckelnde Macht und die derzeit mangelnde Wertschätzung junger Künstler.

Shirley, auf welchem Platz der Beliebtheitsskala stehen bei dir Interviews im Zuge der Album-Promo?

Shirley Manson: Irgendwo in der Mitte, wenn ich ehrlich bin. Oft ist es ein Privileg, manchmal aber auch sehr anstrengend. Es kommt darauf an, mit wem man spricht. (lacht)

Dann sollte ich die Frage wohl am besten erst am Ende stellen – oder besser auch gar nicht.

Genau. (lacht) Nein, im Ernst. Es ist wirklich ein Privileg, dass es Menschen wie dich gibt, die nach 20 Jahren immer noch mit einem sprechen wollen und uns die Möglichkeit geben, ein Publikum zu erreichen. Und dafür bin ich dankbar.

Du hast seit zwei Jahren mit „The Jump with Shirley Manson“ deinen eigenen Podcast und kennst beide Seiten. Was magst du lieber, Fragen zu stellen oder Fragen zu beantworten?

Mich stresst es schon sehr, andere Leute zu interviewen, aber ich mag es auch. Für mich ist es entspannter, interviewt zu werden. Aber mich haut es jedes Mal um, wie sehr mich die Künstler, mit denen ich spreche, in den Interviews inspirieren. Ich lerne von ihnen und absorbiere ihre Energie. Nach der Aufnahme des Podcasts bin ich immer ganz aus dem Häuschen.

Es sind ja mit Juliette Lewis, Peaches oder auch Perfume Genius tolle Leute dabei. Sie alle stellen einen für sie wichtigen Song aus ihrem eigenen Werk vor. Welcher wäre es in deinem Fall?

In einer langen Karriere hat man eigentlich mehr als einen Song, der für einen wichtig ist. Aber ich würde mich jetzt aktuell für „Waiting For God“ vom neuen Album entscheiden.

Warum?

Es ist ein wichtiger Song. Es war für mich eine neue Herangehensweise ans Schreiben, eine Art kreative Weiterentwicklung.

Eine gute Überleitung zum Album. Ihr habt bereits 2018 an „No Gods No Masters“ gearbeitet. Hat die Pandemie den Prozess verzögert?

Die Pandemie hat uns ein volles Jahr gekostet. Das Album sollte eigentlich schon im letzten Jahr herauskommen.

Die erste Single sowie der Opener des Albums ist der Song „The Men Who Rule The World“ – über die männliche weiße Elite. War es euch wichtig, nach fünf Jahren gleich mit einem echten Statement zurückzukehren?

Nun, wir leben in wirklich intensiven Zeiten, sofern man ein Mensch ist, der sich für die Dinge um ihn herum interessiert. Es wäre für mich schwierig gewesen, meine privaten Gedanken von der Platte, die wir machen, zu trennen. Es ist doch schwer, sich nicht von diesen patriarchalen Anführern betrogen zu fühlen oder die furchtbaren Auswirkungen des Kapitalismus zu übersehen. Diese Gedanken haben die Stimmung des Albums bestimmt, aber geplant war das in keiner Weise. Wir haben die Platte ganz kurz vor dem ersten Lockdown fertig gehabt und waren selbst überrascht, wie aktuell sie thematisch im Laufe des vergangenen Jahres noch einmal wurde.

Glaubst du, dass die Pandemie die Probleme, die es schon vorher gab, noch einmal verstärkt hat – sie also wie ein Brennglas funktioniert? Oder bist du optimistisch, dass sie vieles auch geraderückt?

Ich glaube definitiv, dass sich etwas zum Besseren verändern wird. Das war im Laufe der Jahrhunderte immer so. Mein Lifestyle ist schon so viel besser als der meiner Mutter beispielsweise. Auch wenn wir immer noch große Probleme auf diesem Planeten haben, denke ich, dass die Generationen nach uns wesentlich bewusster damit umgehen als wir. Sie kümmern sich um die Probleme, die wir nicht gelöst bekommen haben. Und ich freue mich darauf, wenn mehr Frauen, People of Colour, non-binäre Menschen et cetera endlich zu Wort kommen anstatt der Regierungen weltweit, die momentan hauptsächlich von alten weißen Männern geführt werden. Männer, die seit einem Jahrhundert dieselben alten Ideen anbieten. Es ist Zeit für neue Ideen, wir brauchen sie ganz dringend.

Kommen diese Ideen dann noch rechtzeitig – zum Beispiel in Sachen Klimaschutz?

Ja, auch das glaube ich. Wenn dein Überleben davon abhängt, musst du dich um die Probleme kümmern und tust es auch. Die jüngeren Generationen müssen sie energischer angehen, als es vorangegangene getan haben. Doch ich bin natürlich keine Wissenschaftlerin. Aber wir haben eine grobe Idee davon, was passiert, wenn wir nichts ändern. Die Menschen haben über Jahrhunderte bewiesen, dass sie in der Lage sind, sich anzupassen und sich zu verändern. Es gibt für mich keinen Grund zu denken, dass sie das nicht weiterhin tun. Das alles muss natürlich jetzt schnell passieren.

Wie hast du das letzte Jahr erlebt? Hat dich die Pandemie auf persönlicher oder auf beruflicher Ebene härter erwischt?

Ich bin eine 54-jährige Frau, und das Business toleriert ältere Frauen nicht so sehr. Da ist ein Jahr aus dem Berufsleben gerissen zu werden, schon ziemlich frustrierend. Aber es lässt sich ja nicht ändern. Und ich bin aufgrund der Karriere, die ich bisher haben durfte, auch gar nicht in der Position, mich zu beklagen. Ich habe ein Dach über dem Kopf, ich habe genug zu essen, ich bin glücklich verheiratet. Aber frustrierend ist es natürlich trotzdem.

Garbage gibt es nun seit fast 30 Jahren. Glaubst du, dass es heute für junge Künstler schwieriger ist, im Business derartig Fuß zu fassen?

Für Solokünstler ist es etwas leichter, denn Plattenfirmen wollen heute keine Bands mehr, das ist ihnen einfach zu teuer. Daran verdienen sie nicht so viel. Ich denke, deswegen sehen wir immer weniger Bands. Es ist einfacher, ein Musiker zu werden, aber es ist fast unmöglich, davon zu leben. Oder du musst absoluter Mainstream werden, etwas, das die Massen erreicht. Wenn du zu laut oder zu aggressiv bist, wirst du nicht im Radio gespielt, dann ist es fast unmöglich, groß herauszukommen.

Geld verdient man als Band mit dem Touren, denn das Streaming bringt ja erstmal so gut wie nichts ein. Wenn nach Corona viele kleinere Clubs womöglich nicht mehr aufmachen können, fehlt den jungen Musikern der Ort zum Spielen. Ist das in den USA und UK ebenfalls ein Problem?

Die Musik- und Veranstaltungsszene ist auch hier von der Regierung komplett ignoriert worden, und das bringt mein Blut zum Kochen. Das gefährdet die Entwicklung einer kompletten Generation neuer, junger Künstler. Die kleinen Läden können den Lockdown allein nicht überstehen. Das kreiert ein riesiges Problem, das macht mich so wütend. Jeder, der vor der Pandemie einen Job hatte, hat in Großbritannien zumindest für ein Jahr 80 Prozent seines Gehalts bekommen. Musiker nicht. Als wären sie wertlos, bedeuteten nichts. Ich habe keine Antwort darauf, es macht mich verrückt.

Gibt es bei Garbage denn hinsichtlich des Tourens bereits Post-Pandemie-Pläne?

Diesen Spätsommer spielen wir hier in Nordamerika mit Alanis Morrisette und Liz Phair. Und dann geht es nach Großbritannien mit Blondie. Nächstes Jahr möchten wir dann natürlich auch wieder allein touren und nach Europa kommen.

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