Tom Odell: „Die Menschen sind einsamer als je zuvor“

Tom Odell: „Die Menschen sind einsamer als je zuvor“

Vor neun Jahren stürmt Tom Odell mit „Another Love“ die Charts. Es folgen drei Alben, ehe es 2018 ruhiger um ihn wird. Nun meldet sich der Brite nach einer persönlich schwierigen Phase zurück. Mit ntv.de spricht er über seine inneren Dämonen und Dinge, die ihm weit mehr Sorgen machen.

Bereits neun Jahre ist es her, dass Tom Odell mit „Another Love“ die Charts stürmte. Ein Jahr später veröffentlichte er sein Debütalbum „Long Way Down“, gefolgt 2016 von „Wrong Crowd“. Wieder zwei Jahre später kam „Jubilee Road“ auf den Markt, ehe es ruhiger um den heute 30-Jährigen wurde.

Nun meldet er sich nach einer persönlich schwierigen Phase zurück und veröffentlicht ein neues Album. Nach vielen dunklen Tage und in dieser ohnehin schwierigen Zeit ist „Monsters“ nicht nur voll von echten Emotionen, sondern auch mit ganz viel Zuversicht versehen. Mit ntv.de sprach der Brite über seine inneren Dämonen und die Dinge, die ihm weitaus mehr Sorgen bereiten als sein eigener Zustand.

Tom, wie geht es dir gerade?

Tom Odell: Mir geht es ganz gut. Ich bin gestern zum ersten Mal gegen Corona geimpft worden. Mein Arm tut mir ein bisschen weh. Aber abgesehen davon, fühle ich mich gut. Ich liebe es, neue Musik zu veröffentlichen. Nach 18 Monaten der Isolation und des Abgeschnittenseins von anderen Menschen ist es besonders toll, etwas Neues herauszubringen und die Reaktionen der Leute zu erhalten. Es ist kommunikativ, das mag ich sehr.

Du hast vor allem 2019 unter Panikattacken und einer Angststörung gelitten. Wie ist es heute um deine mentale Gesundheit bestellt?

Ich bin heute an einem deutlichen besseren Punkt als zu der Zeit, als ich das Album geschrieben habe.

Haben dich die Probleme damals aus dem Nichts erwischt oder hattest du schon vorher einmal mit Ähnlichem zu kämpfen?

Ich habe immer gedacht, Ängste hätte man eher vor etwas Speziellem, situationsabhängig und nicht so diffus und über einen längeren Zeitraum. Aber vermutlich hatte ich sie schon früher, und sie haben mich womöglich überhaupt erst dazu gebracht, Musiker zu werden. Ich hatte beispielsweise immer Probleme damit, still zu sitzen und mich zu entspannen. Schon vor der Pandemie hatte ich das Gefühl, dass die ganze Welt irgendwie verrückt geworden und außer Kontrolle geraten ist. Es fühlte sich für mich an, als würden wir uns auf ein Desaster zubewegen – von der Pandemie, die dann kam, jetzt mal ganz abgesehen.

Hast du mit „Monsters“ deine Probleme analysiert und zum Ausdruck gebracht?

Es geht in den Texten vor allem um Dinge im Außen. Kapitalismus zum Beispiel. Als ich das Album geschrieben habe, wollte ich herausfinden, warum ich mich so fühle und was mir Angst macht. Und ich wollte mich damit auseinandersetzen, warum ich überhaupt Panikattacken bekam.

Und das sind vorrangig äußere Faktoren?

Ja, das glaube ich. Wenn jemand ein Problem mit seiner mentalen Gesundheit hat, wird er dazu angehalten, den Fehler in seinem Innern zu suchen. Dabei kann das Problem gerade im Außen liegen, in einer Situation, in der du steckst. Die Welt, in der wir leben, ist das Problem. Davon bin ich überzeugt. Die Korruption ist nicht in meinem Kopf, sie ist in unserer Gesellschaft. Ich denke, jemand, den das alles nicht tangiert, der ist der eigentliche Verrückte.

Wo siehst du neben Korruption und Kapitalismus die größten Gefahren für die Psyche?

Noch nie haben wir in einer Zeit gelebt, in der wir 24 Stunden mit all den schlechten Nachrichten aus der ganzen Welt bombardiert wurden. Wir werden ständig gefüttert. Und Social Media fordert ständig eine Meinung zu all dem von uns. Das überfordert uns. Auch hinsichtlich der Pandemie macht mir der mentale Gesundheitszustand der Menschen deutlich mehr Sorgen als alles andere. Die Menschen sind einsamer als je zuvor. Mit Instagram, Facebook, Tiktok … das alles ist nur dafür da, immer mehr Geld zu machen, Daten zu sammeln und uns zu versklaven. Sorry, ich schweife ab. (lacht)

Nein, gar nicht. Was tust du, um dich davon nicht völlig vereinnahmen zu lassen und deine mentale Gesundheit zu bewahren?

Ich kann es heute besser regulieren. Viele haben nicht das Glück, das ich hatte. Ich habe meine Freundin kennengelernt, und wir hatten beide ähnliche Probleme, als wir uns trafen. Und so haben wir uns gegenseitig geholfen. Davor war ich sehr einsam, und nun fühle ich mich nicht mehr so. Dabei geht es nicht nur um Romantik. Ich habe mich davor immer weiter von anderen Menschen entfernt, und das passiert in einer sehr selbstbezogenen und individualisierten Gesellschaft wie unserer schnell. Uns wird ständig gesagt, wir sollen auf uns achten. Doch es limitiert uns, wenn wir den Blick immer nur auf uns selbst richten.

Die Songs sind alle bis kurz vor der Pandemie entstanden, oder?

Stimmt, ich war Anfang 2020 mit dem Schreiben der Songs fertig. Dann habe ich alles während der Pandemie aufgenommen. Letztes Jahr im Dezember war ich dann auch damit fertig. Das war alles nicht einfach. Aber ich bin stolz auf das Album, es ist sehr ehrlich. Ich habe versucht, etwas anderes zu machen, und ich denke, das ist mir gelungen.

Sind bereits Konzerte geplant?

Nächstes Jahr touren wir erstmal durch Großbritannien. Aber wir wollen natürlich auch im Rest von Europa spielen. Und in den USA gern. Ich vermisse das Spielen, das Touren, die Aufregung dieser Abende und vor allem auch die Menschen. Während der Pandemie haben wir uns schon häufiger gefragt, ob das überhaupt jemals wieder möglich sein wird.

Aber das ist ja als britischer Künstler nicht nur aufgrund von Corona schwierig, sondern vor allem auch wegen des Brexits …

Ich erinnere mich an den Tag der Wahl 2016, wir hatten einen Gig beim Southside Festival. Wir waren völlig schockiert. Ich war damals schon zehn Jahre unterwegs und habe überall gespielt, bin ständig über Grenzen gereist. Es ist für jeden jungen Menschen furchtbar. Um ehrlich zu sein, war ich sehr lange wütend. Aber das bringt nichts. Ich will touren und bin sicher, es wird einen Weg geben.

In der Pandemie ist die Kunst- und Kulturszene von den Regierungen vieler Länder vernachlässigt oder gänzlich ignoriert worden. Wie sieht es hier mit deiner Wut aus?

Die Kunst hat stark gelitten. So viele meine Freunde aus dem Bereich hatten und haben jetzt Probleme. Ich habe einige Live-Streams gemacht, um meine Crew zu unterstützen. Man versucht, irgendwie zu helfen. Aber es muss definitiv mehr getan werden. Es braucht Fonds und Charitys, denn die Regierungen interessiert das alles nicht. Was mich nicht überrascht, das war schon vor der Pandemie so. Aber es ist natürlich beschämend. Ich verstehe in gewisser Weise, dass es in einer solchen Krisensituation nicht ganz oben auf der Prioritätenliste steht. Aber es betrifft nicht nur die Künstler, sondern auch alle Techniker und so weiter. Ich konnte Musik schreiben in der Zeit und hatte zu tun, aber alle anderen aus dem Live-Bereich hatten überhaupt kein Einkommen. Das geht doch nicht.

Da sich die Situation voraussichtlich erst im kommenden Jahr wieder bessern wird, was sind deine Pläne für die zweite Hälfte von 2021?

Ich baue mir ein neues Studio auf. Ich habe eins im Gartenhaus, was meine Freundin jetzt immer mehr zu ihrem Atelier gemacht hat. Nun vergrößere ich mich also und baue ein Studio, in dem ich alles aufnehmen kann. Und natürlich werde ich weiter Songs schreiben und Musik machen.


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