Ziemlich genau drei Jahre ist es her, dass ein bis dahin noch unbekanntes Schülerquartett aus dem Südwesten Londons mit der Single »Crystalised« und dem Debütalbum »xx« Indie- und Electronica-Fans gleichermaßen begeisterte. Mit unaufdringlichen »Shoegaze meets 80er-Synth«-Klängen gelang es Jamie Smith, Romy Madley Croft, Oliver Sim und Baria Qureshi Musikfreunde und -kritiker zu überzeugen und seither nicht mehr in Vergessenheit zu geraten. Drei Jahre also sind vergangen. Drei Jahre, in denen durch den Ausstieg Barias aus dem Quartett ein Trio wurde. Drei Jahre, in denen die verbliebenen drei Freunde Konzerte rund um den Globus gaben. Drei Jahre, in denen Smith als Jamie XX mit Remixen und Produktionen für Adele, Radiohead und andere auch solo überzeugte, und drei Jahre, in denen ein zweites Album entstand. Dieses erscheint am 7. September unter dem Titel »Coexist« auf XL/Beggars und kann vor allem eins: All jene begeistern, die schon 2009 von »xx« ganz hingerissen waren. Denn »Coexist« tritt in Sachen unterkühlter Atmosphäre und dabei tiefgründiger Emotionalität in die großen Fußstapfen des Vorgängers und füllt sie mehr als aus. So hat sich die Schülerband von einst in diesen drei Jahren zu einem gereiften Musikerkollektiv entwickelt, ist erwachsen geworden, fühlt sich so und lässt uns das nun hören und fühlen.
»Wir haben viel herumexperimentiert, waren lange auf Tour und dabei selbst noch so wahnsinnig jung. Ich bin froh, dass wir uns eine Weile eine Auszeit nehmen konnten, um wieder zur Normalität zurückzufinden. Um zu tun, was unsere Freunde so tun, um bei unseren Eltern auszuziehen und so weiter«, fasst Romy diesen Reifeprozess zusammen. Die Namensgebung für Album #2 war dann eine Art logische Konsequenz: »Wir haben uns für den Titel ‚Coexist‘ entschieden, weil wir finden, dass es die Natur vieler Beziehungen ehrlich und realistisch zusammenfasst. Die vergangenen Jahre beinhalteten verloren gegangene, aber auch neu gewonnene Liebe, und so beschreibt ‚Coexist‘ den Lernprozess, friedlich neben den Leuten zu koexistieren, wenn die Umstände mal nicht ideal sind. Das spiegelt sich auch im Artwork wider.«
Das Cover ziert das bereits vom Debüt bekannte X, diesmal auf weißem Hintergrund, gefüllt mit der Fotografie von sich vermengendem Öl und Wasser. Eine dieser besagten verlorenen Verbindungen war die zu Keyboarderin Baria, als sie 2009 die Band verließ. »Persönliche Differenzen« hieß es, und den verbleibenden drei Freunden war gleich klar, dass man als Trio weitermachen würde. »Barias Ausstieg hat keine großen Auswirkungen auf uns gehabt. Wir drei funktionieren einfach sehr gut zusammen und fühlen als Dreiergespann absolut vollständig.« Man kennt sich gut, man ist sich ähnlich, und so ist es der Produktion durchaus zuträglich, dass alle drei keine Frühaufsteher, sondern eher Nachtschattengewächse sind. »Wir funktionieren alle am besten, wenn es dunkel ist. Wir gehen gegen 17 Uhr ins Studio und arbeiten bis etwa ein Uhr in der Nacht. Wenn wir mit den Aufnahmen fertig sind, mischt Jamie das Ganze dann noch bis in den Morgen.«
Und ja, möglicherweise würden The xx bei einem anderen Tagesablauf anders klingen, scheint sich die nächtliche Düsternis doch immer wieder auch in ihrer Musik auszudrücken. Eine gewisse Zartheit und Verletzbarkeit bestimmen die Soundästhetik, die von Beginn an extrem ausgereift klingt. Dabei waren sie noch Teenager, als sie der Erfolg nach mehrjähriger Schülerbandgeschichte überrollte. Verändert hat sie dies nach eigener Einschätzung jedoch nur wenig. »Wir sind beste Freunde und arbeiten außerdem mit Menschen zusammen, die uns sehr unterstützen. Daher war das eigentlich nie ein Thema. Unser Erfolg war in allen Belangen ein positives Erlebnis, und er erlaubt uns, das zu tun, was wir lieben.«
Auf die Veröffentlichung des Debüts folgten neben Lobhudeleien an allen Ecken Auszeichnungen und hohe Platzierungen in den Jahresrückblicken vieler Magazine. Erfolgsdruck kann da schon mal die Folge sein. Auch an The xx ging er nicht ganz spurlos vorbei. »Wir haben uns dieses Mal definitiv mehr Gedanken darüber gemacht, dass die Songs, die wir da produzieren, von einer Menge Leute mehr als nur uns selbst gehört werden. Die Musik, die wir machen, klingt aber trotzdem immer noch wie wir, und darüber sind wir sehr glücklich. Besser könnte es nicht laufen. Der Druck, den wir uns selbst machen bzw. unsere eigenen Erwartungen – sie sind um einiges höher als die aller anderen.«
Auch wenn das akustische Ambiente des zweiten Albums dem des ersten nicht unähnlich ist, wechseln sich die dunklen Momente doch auch immer wieder mit auditiven Lichtblicken ab und verpassen dem Werk ein positiveres Kolorit. »Dieses Album ist eine direkte Reflektion der vergangenen zwei Jahre meines Lebens, in denen es Hochs und Tiefs gab, die sich alle in meinen Kompositionen ausdrücken,« erklärt Songschreiberin Romy den dezenten Stimmungswechsel. Am Ende gelingt es The xx, einen ganz eigenen Sound zu kreieren, der frei von äußeren Einflüssen zu entstehen und nicht für Schubladendenker gemacht zu sein scheint. Das macht es einem Musikjournalisten schwer, eben jene in seinem Beruf immer wieder benötigte Schublade dafür zu finden. New Wave, Indie Pop, Electronica … Ja was denn nun? »Ich akzeptiere, dass die Menschen dem Kind einen Namen geben, unseren Sound in den üblichen Kategorien beschreiben wollen. Es stört mich nicht, doch ich schenke dem, was geschrieben wird, nur wenig Aufmerksamkeit. Ich glaube, es würde nur zu zu viel Ablenkung führen, nähme ich mir alles zu Herzen.«
Eines Punktes, der in der Vergangenheit immer wieder mal mokiert wurde, hat man sich allerdings dann doch angenommen, und zwar der mangelnden Interaktion mit dem Publikum während ihrer Konzerte. Echte Rampensäue sind The xx nämlich nicht. Vielmehr scheint es ihnen stets ein wenig unangenehm zu sein, auf der Bühne zu stehen. Da wird dann schon mal über lange Zeiträume lieber auf die eigenen Schuhspitzen gestarrt. »Wir versuchen es eigentlich immer, ins Publikum zu schauen, werden aber doch häufig von unserer Schüchternheit übermannt. Performen wurde uns irgendwie nicht in die Wiege gelegt. Allerdings haben wir das inzwischen besser im Griff, so dass jeder Einzelne von uns endlich auch mit dem Publikum und mit den Kollegen auf der Bühne kommunizieren kann.« Von diesem neu gewonnenen Selbstbewusstsein überzeugen können sich einige Glückliche bei der bisher einzigen und bereits ausverkauften Deutschlandshow am 4. September in Berlin, der hoffentlich später weitere Termine folgen werden. »Aktuell konzentrieren wir uns alle drei komplett auf The xx, allerdings kommt Jamie sogar auf Tour mal dazu, an anderem Material zu arbeiten. Er scheint dann komplett in seine eigene Welt abzutauchen.« So oder so ähnlich ist ist auch Jamies 2011 erschienenes und so hörenswertes Solo-Projekt Jamie XX and Gil Scott-Heron »We’re New Here« entstanden. Am Laptop.
Mit Kopfhörern. Auf Tour. Folglich lohnt es sich, neben dem neuen The xx-Material auch Augen und Ohren nach Jamies Soloaktivitäten offen zu halten.